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Basel-Stadt bietet gratis Deutschkurse für Migranten an
Erstmals erhalten Zuzüger kostenlos Deutschkurse. Eine weitergehende Initiative lehnt das Volk aber ab.
Integration durch Sprache wird gefördert: Doch was, wenn zu viel Geld bezahlt wurde? Bildungsdirektorin Silvia Steiner hat Strafanzeige eingereicht.
«Das ist eine unschöne Sache», sagt die neue Bildungsdirektorin und Ex-Staatsanwältin Silvia Steiner (CVP). Die verwaltungsunabhängige Finanzkontrolle des Kantons Zürich hatte die Subventionsvergaben für Deutschkurse in den Jahren 2013 und 2014 geprüft und festgestellt, dass «nicht geschuldete und überhöhte Pauschalbeiträge» an zwei private Bildungsinstitutionen ausgerichtet wurden. Dabei sollen «mindestens 7,1 Millionen Franken zu viel ausbezahlt worden sein», teilte die Bildungsdirektion mit.
Silvia Steiner, die erst im Mai 2015 Vorgängerin Regine Aeppli (SP) ablöste, hat Strafanzeige gegen unbekannt wegen ungetreuer Amtsführung eingereicht. Festgestellt wurden die Unregelmässigkeiten im Mittelschul- und Berufsbildungsamt. Dabei geht es um Deutsch- und Alphabetisierungskurse für Ausländer. Die erhöhten Beiträge wurden an die beiden Institute Ecap und ENAIP ausgerichtet. Beides sind Nonprofitorganisationen, die in den 60er-Jahren von italienischen Migranten und Gewerkschaften gegründet wurden, um Gastarbeitern die Anpassung in der Schweiz zu erleichtern. Heute unterrichten diese Schulen auch Flüchtlingskinder aus den aktuellen Krisenländern.
Noch keine Entlassungen
Wie Silvia Steiner auf Anfrage sagte, seien alle Angestellten des Mittelschul- und Berufsbildungsamts noch im Amt, auch Amtschef Marc Kummer, der den Posten seit 2007 ausfüllt. «Alle meine Mitarbeiter geniessen zum jetzigen Zeitpunkt mein volles Vertrauen», sagt Steiner. Für sie alle gelte die Unschuldsvermutung. Es sei noch nicht ganz klar, ob es eindeutig strafrechtlich Verantwortliche gebe, erklärt Steiner weiter. Auch müsse die Staatsanwaltschaft klären, ob bei den beiden Sprachinstituten ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliege. «Wir prüfen aber in jedem Fall eine Rückforderung.»
Beide Sprachschulen haben erst gestern durch die Medien von den überhöhten Beiträgen zu ihren Gunsten erfahren. Ecap-Chef Guglielmo Bozzolini sagt: «Die ausgerichteten Pauschalbeiträge entsprechen genau den gesetzlichen Vorgaben und den tatsächlich durchgeführten Kursen. Unregelmässigkeiten seitens unserer Stiftung oder ihrer Mitarbeiter liegen nicht vor.» Auch Vincenzo Travaglione, stellvertretender Geschäftsführer von ENAIP, sagt: «Wir wurden exakt nach den Leistungsvereinbarungen entschädigt; ich kann vollkommen ausschliessen, dass an uns zu viel ausbezahlt wurde.» ENAIP bezeichnet sich als «erste Adresse für Migrantinnen und Migranten, die erfolgreich sein wollen», und beschäftigt 120 Mitarbeiter, die für viele Gemeinden und Kantone arbeiten.
Subventionen als Schwachstelle
Eine Analyse dieses Falles in der Bildungsdirektion fällt auch gestandenen Kantonsrätinnen und Kantonsräten schwer. «Wir haben eine ausgezeichnete Finanzkontrolle», sagt die grüne Bildungspolitikerin Esther Guyer. Da dürfte also eine Fehleinschätzung dieser Instanz wegfallen. «Unbestritten ist», so Guyer, «dass das Thema Subventionen noch immer eine Schwachstelle der Regierung ist – vor allem, wenn Finanzströme über mehrere Direktionen fliessen. Seit 2010 fordern SP, FDP und Grüne im Kantonsrat mehr Klarheit bei der Vergabe von Aufträgen im Bildungswesen. Die Regierung allerdings wollte nichts davon wissen und antwortete auf ein Postulat: «Zusätzliche gesetzliche Grundlagen sind nicht erforderlich.»
Beobachter sind sich einig: In der Bildungsdirektion dürfte es kaum einen einzelnen Täter geben, wie beim Skandal um die Pensionskasse BVK, als der Anlagechef mit grosser krimineller Energie in den eigenen Sack wirtschaftete. Im Fall der Bildungsdirektion liegt der Verdacht nahe, dass es sich um ein systematisches Versagen handelt – allenfalls ein unbeabsichtigter Fehler durch Nachlässigkeit, Nichtwissen oder schlechte Kontrolle. Dieser Verdacht wird durch die Aussage von Bildungsdirektorin Steiner bestätigt, dass kein einziger Mitarbeiter freigestellt worden sei.
Die Ergebnisse der Untersuchungen könnten durchaus brisant sein. Eine kantonale Direktion, durch die jährlich mehrere Milliarden Franken fliessen, hat eine gut dotierte Finanzabteilung. Da ist es kaum denkbar, dass ein einzelner Mitarbeiter einfach so sieben Millionen zu viel ausbezahlt. Interessant in diesem Zusammenhang sind auch die beiden Regierungsbeschlüsse vom 17. Dezember 2014, welche die Subventionen an die beiden Bildungsinstitute für 2013 und 2014 regeln. Darin steht, dass das Mittelschul- und Berufsbildungsamt, das nun unter dem Verdacht des Amtsmissbrauchs steht, bloss Ausgaben in der Höhe von rund 700 000 Franken bewilligen durfte. Der Regierungsrat dagegen konnte gemäss Beschluss für Ecap «höchstens 9,9 Millionen Franken» und für ENAIP «höchstens 2,5 Millionen Franken» ausgeben.
SVP will externe Untersuchung
Da stellt sich die Frage: Wo waren die damalige Bildungsdirektorin Aeppli und die Kontrollinstanzen in ihrer Direktion? In ihrer Medienmitteilung stellte Bildungsdirektorin Steiner klar, dass sie eine Administrativuntersuchung eingeleitet habe. SVP-Bildungspolitikerin Anita Borer fordert nun explizit, dass diese Untersuchung «extern und gänzlich unabhängig durchgeführt wird». Eine «Sauhäfeli-Saudeckeli-Mentalität» dürfe nicht geduldet werden. Beim BVK-Skandal hatte die Finanzdirektion ebenfalls externe Untersucher beauftragt: einen Verwaltungsrechtsprofessor und zwei Wirtschaftsprüfer. Bei direktionsinternen Untersuchungen besteht immer die Gefahr, dass sich Amtskollegen nicht gerne wehtun. Auch CVP-Fraktionschef Philipp Kutter fordert eine vollständige Aufklärung. «Wir sind für Nulltoleranz.»
Ende Januar liess die Solothurner Gemeinde Egerkingen aufhorchen: Auf den Pausenhöfen sollen keine Fremdsprachen gesprochen werden. Kinder, die sich nicht daran halten, müssen mit einem Straf-Deutschkurs rechnen. Der Protest war gross. Gemeindepräsidentin Johanna Bartholdi krebste darauf zurück, betonte aber ihre Motivation: «Wir verstehen dies als aktive Integrationsförderung.» Es sei unbestritten, dass die Kenntnis der Landessprache eine der wichtigsten Massnahmen sei.
Diese Ansicht ist tatsächlich breit akzeptiert – auch beim Bund. Das Staatssekretariat für Migration in Bern hatte schon im Jahr 2009 das Sprachenlernsystem Fide entwickelt. Fide steht für «Französisch, Italienisch, Deutsch in der Schweiz – lernen, lehren, beurteilen». Dabei sollen die Ausländer lernen, wie sie sprachlich in Alltagssituationen bestehen können: Wie vereinbare ich am Telefon einen Arzttermin? Auf was muss ich beim Gespräch mit dem Vermieter achten? Integration durch Sprachförderung.
Die Kantone beteiligen sich an diesem Leistungsauftrag. So unterstützt Zürich mehrere Sprachschulen jährlich mit einem Beitrag im zweistelligen Millionenbereich. Wie sich die Summe präzis zusammensetzt, ist allerdings kaum zu ermitteln. Dies, weil sich verschiedene Departemente mit teils unterschiedlichen Motiven daran beteiligen. So entsteht ein unüberschaubares Geflecht von Finanzströmen – mit unliebsamen Folgen, wie der publik gewordene Fall der zu viel bezahlten 7,1 Millionen Franken zeigt.
16 Franken pro Teilnehmer
Als Empfänger dieser Millionen werden die Non-Profit-Organisationen Ecap und Enaip genannt. Aus Regierungsratsprotokollen geht hervor, dass die Ecap von der Bildungsdirektion im Jahr 2014 knapp 6 Millionen Franken erhielt und die Enaip etwas über 1,5 Millionen. Es wird festgehalten, dass die durchgeführten Deutschkurse mit 16 Franken pro Teilnehmer und Lektion subventioniert werden. Die angeblich zu viel gezahlten 7,1 Millionen sind in der Auflistung nicht zu erkennen. Seit 2014 erhalten beide Institutionen keine Subventionen mehr vom Bildungsdepartement.
Die Sprachschulen hängen auch am Tropf anderer Departemente. Die Volkswirtschaftsdirektion etwa teilt auf Anfrage des TA mit, dass sie für Deutschkurse jährlich mehrere Millionen Franken auszahlt. So wurden der Ecap im Jahr 2014 über 2 Millionen Franken ausbezahlt. Die Arbeitslosenversicherung finanzierte damit Deutschkurse oder Deutscheinschätzungen (zur Bestimmung des Sprachniveaus) für Stellensuchende. Weitere Geldempfänger der Volkswirtschaftsdirektion waren die Migros und die Stiftung SAG/Akrotea.
Wie sehr die Sprachschulen von der staatlichen Unterstützung abhängig sind, zeigt das Beispiel Ecap. Aus der Jahresrechnung 2014 geht hervor, dass die nicht gewinnorientierte Stiftung einen Dienstleistungsertrag von 34,4 Millionen Franken aufweist. Davon gehen 21,8 Millionen auf Subventionen zurück. Der grosse Rest – gut 12 Millionen Franken – setzt sich aus Kurserträgen zusammen.
Martin Sturzenegger
DerBund.ch/Newsnet
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