Zu viel «Ghüderwirbel»
Recycling ist für viele «Bund»-Leserinnen und -Leser selbstverständlich. Doch vielen, die im Stadtgespräch mitdiskutierten, geht das Berner Farbsack-Trennsystem zu weit.

Dieser Artikel wurde erstmals 2019 publiziert. Anlässlich der Abstimmung zum Farbsacksystem in der Stadt Bern am 28. November veröffentlichen wir ihn an dieser Stelle erneut.
Das Abfalltrennsystem mit sechs farbigen Säcken, das in der Stadt Bern getestet wird, regt auf und zum Nachdenken an. Dieses Fazit lässt sich aus dem Stadtgespräch zum Thema ziehen. Eines fällt auf: Die meisten der Leserinnen und Leser, die sich daran beteiligt haben, trennen im Alltag ihren Müll. Sie liefern damit einen weiteren Beleg, warum die Schweiz als Weltmeisterin im Recycling gilt. Bärbl Jaggi aus Jegenstorf etwa sammelt Papier, Glas, PET-Flaschen, Plastik, Blechdosen, Kaffeekapseln und Kompost. Sie tut damit das, was der Pilotversuch in der Stadt Bern in etwa abdeckt.
Dennoch geht dieser vielen zu weit. Nur in 3 von 34 Beiträgen wird er begrüsst: «Die Entsorgung aller Abfälle vor dem Haus ist sehr praktisch und erspart individuelle Entsorgungsfahrten», sagt Kurt Widmer. Die Container vor dem Haus führen aber auch zu Bedenken. Für die einen verunstalten sie die Umgebung, andere befürchten Lärm unter dem Schlafzimmerfenster, wenn künftig das Altglas jederzeit dort entsorgt würde. Aline Berger macht sich derweil Sorgen, wie sie ein solches System in ihrer Wohnung unterbringen könnte: «Unsere Kücheneinrichtung ist dafür gemacht, dass gerade ein Ghüdersack Platz hat. Wir haben nicht im Sinn, für die fünf weiteren Säcke zusätzliche Schränke aufzustellen.»
Die meisten Beiträge beschäftigen sich konkret mit dem Berner Testlauf, obwohl das Thema des Stadtgesprächs offener formuliert war. Rolf Helbling öffnet den Blickwinkel und hinterfragt das individuelle Verhalten: «Die Welt retten wir nicht mit Abfalltrennung. Wer glaubt, er könne nach Lust und Laune Autofahren und in die Ferien fliegen, nur weil er seinen Abfall trennt, hat ein massives Brett vor dem Kopf.»
Richtige Lehren ziehen
Etliche erkennen im Pilotprojekt dann eine Chance, wenn daraus die richtigen Schlüsse gezogen werden. Sofern es gelinge, daraus «ökologische und wirtschaftliche Lehren» zu ziehen, würden alle gewinnen, findet Urs Schläfli. Jürg Wohlfahrt formuliert Leitplanken dazu. Er erwartet, dass die Separatsammlung von Wertstoffen auch Einkünfte ermöglicht und damit tiefere Abfallgebühren. «Nur dann ist die Einführung des Trennsacksystems zu verantworten.» Ansonsten sei der «Ghüderwirbel» mehr Ideologie als Sachpolitik.
Hans Zürcher glaubt nicht an eine nüchterne Analyse. Für ihn ist schon klar, dass er nie mitmachen würde an einem derartigen «Farbsäckli-Irrsinn» aus der Direktion von Gemeinderätin Ursula Wyss. Warum ihm das Vertrauen fehlt, ist eventuell aus Bea Vogelsangers Beitrag herauszuhören. Sie gehört zu den 2500 ausgewählten Testhaushalten des Farbsack-Trennsystems: Die Briefe der Projektleitung würden stets betonen, wie gut der Versuch laufe. Höre sie sich in ihrem Haus um, töne es jedoch ganz anders. In den bisherigen von der Projektleitung gemachten Umfragen gaben die Mitwirkenden dem System tatsächlich gute Noten. Allerdings war die Beteiligung an den Umfragen bisher tief. An der letzten nahm nur jeder zehnte der ausgewählten Haushalte teil.
Zufrieden, wies ist
Gabriela Zouggari hätte nichts dagegen, wenn in Sachen Entsorgung alles beim Alten bliebe: «Mit dem bestehenden Abfallsammlungssystem komme ich, und es scheint mir die Mehrheit, ganz gut zurecht.» Tatsächlich bekommt die Stadtverwaltung dafür auch Lob. Ueli Schranz erinnert in seinem Beitrag daran: «Die Stärken des heutigen Systems sind eindeutig: Bern verfügt über eine Abfallentsorgung, die gut etabliert ist und geschätzt wird. In Zufriedenheitsumfragen werden regelmässig sehr gute Werte erzielt.»
Gelesen hat Ueli Schranz dies im Kreditantrag zum Pilotprojekt, den der Gemeinderat 2017 dem Stadtrat vorgelegt hatte.

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