Geschwächter Gast aus dem Süden
Von einem langen Flug erschöpft, sank der Gänsegeier entkräftet auf einer Alp ob Zweisimmen nieder. Der Greifvogel aus Spanien wird nun in Utzenstorf sorgfältig gepflegt und auf seinen Flug zurück in die Freiheit vorbereitet.
Am Dienstag erlebte die Familie Pfäffli aus Mannried eine Begegnung der ungewöhnlichen Art: Mitten auf einem Alpsträsschen bei Zweisimmen lag ein sehr grosser Vogel. Er lebte, konnte sich aber kaum mehr bewegen. Pfäfflis avisierten den zuständigen Wildhüter Peter Zysset, der den Vogel als Gänsegeier identifizierte. Ein Greifvogel also, der nicht in der Schweiz, sondern vor allem in bergigen Regionen im Mittelmeerraum lebt. Allein in Spanien existiert eine stabile Population von 8000 Tieren. Der Wildhüter erkannte sofort: Der gefiederte Gast ist stark geschwächt und braucht einen geschützten Ort, wo er sich erholen kann. So brachte Zysset den Gänsegeier, der auf der Roten Liste gefährdeter Arten geführt wird, in die Wildstation nach Utzenstorf.Schwache BrustmuskulaturBeim Besuch gestern Morgen in Utzenstorf sitzt der Greifvogel in der Ecke seiner grosszügigen Aussenflugvolière. In nicht sehr elegantem Schritt spaziert er schliesslich ein paar Meter durch das Gras, das herumliegende Kadaverfleisch interessiert ihn nicht. Die Körpermasse dieses ausgewachsenen Tiers sind eindrücklich: Die Flügelspannweite beträgt gut 2,5 Meter, das Gewicht 6,9 Kilogramm. Ulrike Cyrus-Eulenberger, Tierärztin in der Wildstation, hat den Geier nach seiner Ankunft untersucht. Ihr Befund: Das Tier hat keine offensichtlichen Krankheiten oder Verletzungen. «Aber der Nährzustand ist mässig. Das erkennt man an der schwachen Brustmuskulatur.» Der Gänsegeier müsste rund acht Kilogramm wiegen.Tierärztin Cyrus erklärt, bedingt durch den hohen Stoffwechsel und die hohe Körpertemperatur müsse der Gänsegeier häufig Nahrung aufnehmen – ansonsten er ziemlich schnell abmagert und von Kräften kommt. Dass der Geier über den Schweizer Alpen nicht genügend Nahrung gefunden hat, erstaunt Cyrus nicht: Gänsegeier sind reine Aasfresser, jagen selber also nicht. Da in den Alpen noch immer ziemlich viel Schnee liegt, ist das Fallwild vielerorts noch nicht freigeschmolzen. Zudem kommt das hiesige Gesetz dem Gänsegeier nicht entgegen: In der Schweiz werden Tierkadaver von Wildhütern entsorgt. In anderen Ländern dagegen lässt man die toten Tiere oft «verludern», wie es im Fachjargon heisst. Dass der Gänsegeier in Utzenstorf einen doch recht strengen Duft ausströmt, hängt mit seinen aggressiven Magensäften zusammen. «Die braucht er, um sich mit der oft verdorbenen Nahrung nicht zu vergiften», erklärt Erika Siegenthaler, Geschäftsführerin der Wildstation. Die Säfte verursachen die strenge Ausdünstung.Die Frage stellt sich: Was hat ein Gänsegeier aus dem Mittelmeerraum im Oberland zu suchen? Cyrus hat zwei Theorien: Entweder wurde das Tier in einem Unwetter von seiner Population getrennt. Oder es ist ein nicht brütender Single, der sich auf einer langen Reise befand. Die Vogelwarte Sempach wird anhand der Markierungen an den Flügeln versuchen, die exakte Herkunft des Gänsegeiers zu bestimmen. Die Markierungen deuten auf Spanien als Heimatland hin.Sämtliche Informationen über den Geier haben Einfluss auf den Ort seiner Auswilderung. «Hat er eine Chance alleine? Muss er zurück in seine Population? Diese Fragen sind entscheidend», erklärt Cyrus. Möglich ist also das Aussetzen in der Schweiz – «aber nicht im Berner Oberland. Dort hätte der Geier zu wenig Nahrung», sagt Siegenthaler. Möglich ist auch, dass der Geier einer Population zugeführt wird, die nach Spanien zurückfliegt. Eine solche existiert beispielsweise in Salzburg. Möglich ist aber auch die Rückführung nach Spanien. «Dazu wäre aber ein ziemlicher Papierkram nötig», sagt Siegenthaler.DNA-Analyse und VitamineVorerst aber wird der Gänsegeier weitergepflegt. Es folgen noch genauere Blut- und Kotuntersuchungen sowie eine DNA-Analyse, um Gewissheit über den Gesundheitszustand und das Geschlecht des Tiers zu erlangen. Daneben wird es laufend gefüttert, geschont und von der Öffentlichkeit abgeschirmt, sodass es sich rasch vom Gewichtsverlust und vom Stress erholt. Zum Schluss folgt eine Vitamin- und Mineralienkur, dann ist der Geier fit für die Freiheit. Wann es so weit sein wird, ist offen. «So lange wie nötig und so kurz wie möglich» werde er bleiben, sagt Cyrus. Mindestens ein paar Wochen wird der Geier aber sicher noch in Utzenstorf verbringen.>
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