«Dann heisst es oft: Ach, die Deutschen»
Zwischen Schweizern und hier lebenden Deutschen gibt es Irritationen und Missverständnisse. Der deutsche Wissenschaftler Peter Vermathen engagiert sich als Trainer beim FC Länggasse und trotzdem fühlt er sich nicht völlig integriert – wegen der Sprache.

Das Thema ist heikel. Als der «Bund» kürzlich auf die simple Tatsache hinwies, dass es Schweizer mit Vorurteilen gegenüber Deutschen gibt, und eine Szene auf einem Kinderspielplatz beschrieb, kamen böse E-Mails: Der «Bund» transportiere jetzt selber Vorurteile, beklagte eine Deutsche. Dabei bemühe sie sich doch um volle Integration, erzähle ihren Kindern berndeutsche Gute-Nacht-Geschichten und sei Fan der Schweizer Fussball-«Nati».Die Empfindlichkeit auf beiden Seiten ist manchmal gross. Mit der starken Zuwanderung in den letzten Jahren ist die Zahl der deutschen Arbeitskollegen und deutschen Nachbarn gewachsen (siehe Kasten). Trotzdem wissen viele Schweizer und Deutsche immer noch nicht so recht, wie sie miteinander umgehen sollen. Kristallisationspunkt vieler Irritationen auf beiden Seiten ist die Sprache, obwohl sie im Gegensatz zum Verhältnis mit anderen Zuwanderergruppen gerade keine grundsätzliche Verständigungsbarriere bildet. Aber Schweizer empfinden Deutsche als eloquent, während das eigene holperige Hochdeutsch Minderwertigkeitsgefühle weckt. Der Deutsche Peter Vermathen lebt seit neun Jahren in Bern und erlebt die Situation gleich andersrum: «Ich bin der Dumme, weil ich kein Berndeutsch spreche und die Schweizer wegen mir hochdeutsch reden.» Warum die Schweizer Komplexe haben, versteht er nicht: «Die Schweizer haben doch allen Grund, sich gut zu fühlen, denn sie leisten mir einen Gefallen, wenn sie hochdeutsch sprechen.» Vermathen beneidet die Schweizer um ihre Vielsprachigkeit und bedauert, dass er selber nicht sprachbegabt sei. Als er mit Schweizer Arbeitskollegen in Frankreich unterwegs war, bestellten im Restaurant alle ausser ihm das Essen auf Französisch.Ideale JobsPeter Vermathen ist mit seiner Frau Martina 1999 in die Schweiz gekommen, nach viereinhalb Jahren in San Francisco. Für das Akademikerpaar aus Münster in Nordrhein-Westfalen war die Schweiz aus mehreren Gründen attraktiv: Nach dem Entschluss, wieder Richtung Heimat zurückzukehren, fand er in einer ihm bekannten Forschergruppe am Berner Inselspital einen spannenden Job. Vermathen, inzwischen habilitiert, entwickelt Methoden zur Verbesserung der Magnetresonanz-Tomografie zur bildlichen Darstellung von Krankheiten wie etwa Tumoren. Seine Frau, die damals gerade das erste Kind zur Welt gebracht hatte, bekam eine vom Nationalfonds mitfinanzierte Teilzeitstelle am Chemischen Institut. Das ermöglichte ihr, Forschung und Familie unter einen Hut zu bringen. Für die Schweiz sprachen nebst idealen Jobs die erträgliche Distanz zu den verwitweten Müttern in Deutschland, der Wunsch, die Kinder in einem angenehmen Umfeld aufwachsen zu lassen und der Umstand, dass die Schweiz im deutschen Sprachraum liegt. Die Kinder – Maria und Johannes – sprechen tadellos Berndeutsch, und Martina Vermathen ist froh darum: «So gehören sie voll dazu.»Freunde sprechen mit Vermathen und seiner Frau meist berndeutsch, auch wenn die beiden nicht immer jedes Wort verstehen. Wenn Schweizer im Gespräch mit Deutschen oft automatisch ins Hochdeutsche kippen, ist das zwar gut gemeint und häufig nötig. Aber so wird letztlich die Distanz betont. Weil die Sprache für Martina Vermathen «das letzte Stück Integration» ist, hat sie zumindest Kindern gegenüber auch schon Berndeutsch einfliessen lassen. «Aber wenn das merkwürdig klingt, hat man Angst, ausgelacht zu werden und traut sich nicht mehr.» Dialekt mit deutschem Akzent werde zudem rasch als anbiedernd empfunden. Tochter Maria sagt es so: «Wenn meine Mutter mit anderen Eltern berndeutsch spricht, finde ich das peinlich. Wenn sie hochdeutsch spricht, ist es auch peinlich, aber weniger.»Im Berner Länggassquartier, wo die Familie wohnt, fühlen sich Peter und Martina Vermathen sehr wohl und wegen ihrer Sprache nie schief angeschaut. Dank multikulturellem Umfeld: An einem Kindergartenfest der Tochter waren Kinder versammelt, deren Eltern oder Grosseltern aus 10 verschiedenen Ländern stammten.Auf dem Land dagegen hat Vermathen schon offene Abneigung erlebt. Als er in einem Restaurant vom Tisch aufstand und an der Theke zusätzliche Papierservietten holte, um den Kindern die spaghettiverschmierten Münder zu putzen, erklärte ihm die Wirtin wegen des «verschwenderischen Verhaltens» resolut: «Wir sind hier nicht in Deutschland.»Beobachtet fühlt sich Vermathen manchmal auch, wenn er bei Fussballturnieren in Regionsgemeinden die Junioren des FC Länggasse anfeuert. Als er bei einem Turnier am Schluss die Rangliste verkündete, rief ihm ein Vater zu: «bitte auf Berndeutsch». Vermathen und seine Frau engagieren sich mit Herzblut für die F-Junioren des FC Länggasse, wo ihr Sohn spielt. Wie in anderen Klubs mangelt es auch hier an Trainern. Zuerst hat Vermathen beim Training geholfen, seit 2007 betreut er die Mannschaft auch bei Turnieren. Seine Frau wäscht Trikots, berät mit ihrem Mann die Mannschaftsaufstellung, nimmt Telefone entgegen und fiebert bei Turnieren am Spielfeldrand mit.Zuerst wollte sich Peter Vermathen vom «Bund» nicht porträtieren lassen. Sonst heisse es gleich wieder, die Deutschen sähen sich als etwas Besonderes und beanspruchten eine Sonderstellung. Es ist paradox: Von den Ausländern wird erwartet, dass sie sich für die Schweiz interessieren und sich integrieren. Tun sie es, riskieren sie den Vorwurf, sich unsensibel vorzudrängen.Vermathen setzt sich im Quartier für eine autofreie Begegnungszone ein, was nicht allen gefällt. Wie in anderen Ländern höre man auch in der Schweiz Kritik an den eigenen Verhältnissen nicht gern, wenn sie von Ausländern komme, sagt Martina Vermathen: «Dann heisst es oft: ach, diese Deutschen.» Das Zitat «Heimat ist dort, wo man reklamieren darf» treffe manchmal eben doch zu.«Arrogante deutsche Ärzte»Die Deutschen: Peter Vermathen sieht sie selber mit anderen Augen, seit er in der Schweiz wohnt. Einen Teil seiner hier lebenden Landsleute empfindet er als arrogant: «Es gibt zum Beispiel tatsächlich einige arrogante deutsche Ärzte.» Sie nerven ihn viel mehr als arrogante Schweizer, «weil sie Vorurteile bestärken». Andere Deutsche versuchen sich Vermathen zufolge «anzupassen und übertreiben dabei». Ein dritter Teil sei gut integriert und falle nicht auf.Die Deutschen gehören vielerorts in der Schweiz immer mehr zum Alltag. Die gegenseitigen Irritationen werden deshalb tendenziell abnehmen. Die Junioren des FC Länggasse haben heute schon kein Problem damit, dass ihr Trainer sie auf Hochdeutsch anspornt. Für sie ist das die normalste Sache der Welt.
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