Entwicklungshilfe aus Afrika
Die Rückblicke aufs Popjahr 2008 sind getätigt, nun gilt es vorwärtszuschauen. Wie könnte das als Krisenjahr geweissagte Jahr 2009 klingen? Wo schlummern die Trends? Wird sich die elektronische Weltmusik oder die Mundharmonika durchsetzen? Eine Prophezeiung.

Wir schrieben das Jahr 1973, als das Wirtschaftswunder mit einem Schlag in eine veritable Wirtschaftskrise umschlug. Der Umstand, dass die Araber ihre Öl-Pipelines gen Westen zu schliessen beliebten, stürzte die halbe Welt in eine wirtschaftliche und emotionale Baisse. Und welches war die Tonspur dieser Krise? Bernd Clüvers Gassenhauer «Der Junge mit der Mundharmonika» schoss 1973 in die Top 3 der Jahreshitparade. In dieser Woche rangiert – quasi als Ouvertüre zur Krise – wieder eine sentimentale Mundharmonika an der Spitze der Hitparaden: «Der Mann mit der Mundharmonika» heisst das Album des deutschen Casting-Helden und Melodramatikers Michael Hirte, das in der Schweiz und in Österreich auf Platz 1 thront, in Deutschland lediglich vom Best-of-Album des nationalen Krisentrösters Herbert Grönemeyer auf den zweiten Rang verwiesen wird. Ein denkbar schlechtes Omen für ein Jahr, das schon bevor es überhaupt begonnen hat eine sagenhaft schlechte Street-Credibility geniesst. Die Krise ist also vorherbestimmt, doch die alte Weisheit, dass die dringlichste Kunst in der Regel nicht in der grössten Wonnezeit entsteht, könnte darauf verweisen, dass diese Krise das Musikschaffen eher zum Guten verleiten könnte. Empirische Studien gibt es dazu freilich nicht. Die Top-Hits der ärgsten Rezessionsjahre 1981 und 1982 waren der muntere Discostampfer «Stars on 45» und F. R. Davids Synthie-Pop-Hymne «Words» – 1982 reihte sich zudem das nicht sonderlich nachdenkliche «Da Da Da, ich lieb dich nicht, du liebst mich nicht» in die Top 3 der Schweizer Hitparade. Dennoch lassen sich bereits einige verbindliche Voraussagen für das Krisenjahr 2009 anstellen. Bereits am 27. Februar dürfte die Welt wieder eine wesentlich bessere sein. Auf dieses Datum ist nämlich das neue Album der Weltverbesserer-Combo U2 angekündigt. Es ist in weiser Voraussicht auf den Namen «No Line on the Horizon» getauft worden. Und es kursieren natürlich bereits Indizien, wie dieses Tonwerk klingen wird. So sei die Band vor zwei Jahren mit den Produzenten Brian Eno und Daniel Lanois nach Marokko gereist, um mit diversen afrikanischen Musikern an neuen Songs zu arbeiten. Gitarrist The Edge gab einen guten Grund für die Reise nach Afrika an: «Die Band ist dort, um zu forschen und neue Dinge zu entdecken.» Einige Monate später verkündete er, dass das neue Werk vollkommen anders klinge als alles, was die Band bisher gemacht habe – Afrika sei Dank.U2 als Weltmusiker? Das klingt ähnlich anmassend wie das gigantische Bauprojekt, das U2 in diesem Jahr gegen allen Widerstand aufgebrachter Denkmalschützer bewerkstelligen wollten: einen 130 Meter hohen U2-Tower im Hafen von Dublin, auf den nun aber wegen der Finanzkrise vornehm verzichtet wird. U2 goes Worldmusic – immerhin würde sich das am Rande mit der Vorhersage des «Spiegel»-Musikjournalisten Uh-Young Kim decken, der in seinem Aufsatz «Der Süden hilft den Müden» darlegt, dass immer mehr regionale Stile aus der südlichen Hemisphäre für eine Explosion der Vielfalt auf hiesigen Tanzflächen sorgen wird: «In den lokalen Szenen abseits der Pop-Zentren brodelt es mächtig», hat er ausgemacht. «Baile Funk, Kwaito, Kuduro und Cumbia sind dabei, die althergebrachte Ordnung in der Clubwelt auf den Kopf zu stellen.» Schön wäre das, allerdings haben Stile wie Baile Funk aus Rio oder der Kuduro aus Lissabon ihren Siedepunkt bereits vor zirka fünf Jahren erreicht. Dass ausgerechnet diese Ethnotronic-Spielarten im Jahr 2009 zum grossen Hype werden könnten, ist nur darauf zurückzuführen, dass man in der vermeintlichen Trendsetter-Metropole London erst jetzt darauf aufmerksam wird. Die Zeitung «The Guardian» hat sich neulich bei den Hype-Stimmungsmachern in ebendiesem London umgehört und nach den nächsten Helden des Pops gefahndet. Traut man diesen Aufzeichnungen, so wird im Jahr 2009 die elektronische Musik eine Renaissance erleben. Eine Entwicklung, die zu begrüssen wäre, beginnen doch die ungezählten Neo-Post-Punk-Combos sich langsam und ungut im Kreise zu drehen. Eine, die in der «Guardian»-Umfrage gleich mehrfach als Heilsbringerin genannt wird, ist die Sängerin La Roux, die bereits einen neckischen kleinen Vorboten ihres Schaffens in die Welt gesetzt hat: Die Single «Quicksand» bietet leicht retro-orientierten Elektropop mit aparter Stimme. Eine andere Strömung weht im Windschatten der sri-lankischen Elektro-Revoluzzerin M.I.A. heran: Damen mit Migrationshintergrund, die sich gesanglich zu lässig-nachlässig programmierten Beats exponieren, werden 2009 Hochkonjunktur erleben. Die schillerndste davon heisst Ebony Bones, produziert einen abenteuerlich-schrillen Ethno-Funk-Hybriden und wird nächstens ihr sehnlichst erwartetes Debüt veröffentlichen. M.I.A. selbst hat kürzlich ein eigenes Label gegründet und als erstes die Nachwuchsrapperin Rye Rye unter Vertrag genommen, von der nun alsbald erste Wundertaten erwartet werden. Noch ein bisschen mehr Talent darf einer Dame namens Thunderheist attestiert werden, und das von Lissabon nach London emigrierte Buraka Som Sistema wird der Welt 2009 mit seinem Album «Black Diamond» offiziell in den afrikanischen Rudimentär-Techno-Sound Kuduro einweihen (die Band gastierte bereits vor zwei Jahren im Berner Wasserwerk). Und wenn wir schon beim Mix aus Weltmusik und Elektronik sind, so darf sich die Welt ganz besonders auf das neue Album des österreichischen Ragga-Finsterlings Stereotyp freuen – selten hat dieses sonnige Genre bedrohlicher geklungen als auf dessen für 2009 angekündigten, zappendusteren Werk. Etwas, worauf sich ein musikalisch leicht anders disponierter Teil der Welt freut, ist das Comeback der 69-jährigen Tina Turner. Sie wird Mitte Februar mit betagtem Hitgut und dauergespannter Beinmuskulatur zwei Abende lang durchs Zürcher Hallenstadion staksen und gebührend Entzücken entfachen. Vermutlich braucht sie das Geld, nur so ist es zu erklären, dass sie ihr Bühnen-Comeback letztes Jahr ausgerechnet an der Feier zum 15. Geburtstag des russischen Energie-Monopolisten Gazprom gab. Ein anderer Künstler, der die Finanzkrise zu spüren bekommen dürfte, ist David Bowie, der 1997 als erster Künstler seine ganzen Musikrechte an eine Gruppe von Bankern verkaufte, die den Engländer in der Folge an der Börse feilboten. Ein anderer Trend hat die Musikwelt bereits in der ersten Woche des Jahres 2009 beschäftigt: Die Krise nimmt ihren Lauf. In Grossbritannien musste der CD-Händler Zavvi (ehemals Virgin Megastore) Insolvenz anmelden. Und in den USA sind die neuesten Hochrechnungen der CD-Verkaufsrückgänge publik geworden: Sie sollen erneut die 20-Prozent-Marke überstiegen haben. Analysten gehen nun davon aus, dass das Jahr 2009 das letzte sei, in welchem die CD als Handelsgut überhaupt noch relevant sei. Ach ja: Immerhin ist das Jahr 2009 zum Europäischen Jahr der Kreativität und Innovation ausgerufen worden. So wie es aussieht, wird viel davon nötig sein.
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