Wo bleibt die weibliche Lust?
Sofia Coppola hat «The Beguiled» feminisiert. Warum, ist unklar.

«Wie alt bist du, Amy?» – «12, im September 13.» – «Alt genug für einen Kuss.» Und drückt ihr einen auf die Lippen, während ringsum der Bürgerkrieg tobt. Ein Lüstling, dieser Corporal John McBurney, 66. Regiment New York, zurückgelassen von seinen Unionstruppen. Mit einer Schrapnellwunde am Bein liegt er 1864 im Mooswald von Virginia in den verfeindeten Südstaaten, wo die junge Amy beinahe über ihn stolpert. Sie bringt ihn zum Mädchenpensionat, wo sie mit ein paar anderen Schülerinnen zur Wohlanständigkeit erzogen wird, in einer herrlichen, von der Welt vergessenen Südstaatenvilla. Dort liegt der Corporal dann im Bett und beginnt damit, die Frauen zu bezirzen und gegeneinander auszuspielen.
Mit einigem Genuss gab Clint Eastwood diesen Prachtsoldaten in der Verfilmung des Romans «A Painted Devil» von Thomas Cullinan. US-Regisseur Don Siegel, sowieso ein Unverfrorener, wo es ums Ausleben von Leidenschaften geht, legte sie als delirierender Reigen nicht weit vom Softporno an: lüsternes Knutschen und ein lustvolles Betrügen und Sündigen auf beiden Seiten. Ein Gaudi aus dem Jahr 1971 halt, und so etwas geht heute natürlich gar nicht mehr.
Es geht offenbar so sehr nicht mehr, dass Sofia Coppola nun höflich beklatscht wird dafür, dass sie in ihrer Version von «The Beguiled» dieselbe Story erzählt, bis hinein in die einzelnen Szenen und Kameraeinstellungen, aber nun halt einfach als Frau. So beginnt es jetzt mit Gesumme und verwunschenem Wunderwald, von fern hört man Kriegsdonner, und im Gestrüpp liegt Colin Farrell mit Bart. Die Pilze sammelnde Amy wuchtet den Corporal ins Pensionat zurück, auf den unanständigen Kuss verzichtet die amerikanische Regisseurin selbstverständlich. Auch die Figur der Sklavin im Pensionat lässt sie weg, es war wahrscheinlich einfacher so.
Was sie offensichtlich mehr interessiert, ist erstens der Ennui im von der Aussenwelt abgeschnittenen Pensionat und zweitens die psychologische Dynamisierung innerhalb einer Frauengemeinschaft. Sowie der Soldat verletzt im Musikzimmer liegt und allen Frauen und Mädchen gleichermassen Aufmerksamkeit schenkt, machen sich die Bewohnerinnen zurecht: Lehrerin Edwina (Kirsten Dunst) trägt nun plötzlich eine hübsche Brosche, Schülerin Alicia (Elle Fanning) macht dem Corporal unverschämt schöne Augen. Schulleiterin Miss Martha (Nicole Kidman) versucht derweil als Mutterhenne, die Übersicht zu behalten über die Gefahr, die die Anwesenheit eines feindlichen Soldaten in ihrem Pensionat bedeutet, wie auch über die Fortschritte der Mädchen im Nähen und im Französisch sowie in den Lehren der christlichen Nächstenliebe.
Geschmackvoll statt pervers
Man fragt sich dann aber doch, warum Sofia Coppola das alles interessiert. Wegen der zarten Ästhetik? Es gibt wieder die Tableaus entrückter Isolation wie in «Marie Antoinette» oder in «The Virgin Suicides». Doch wo Don Siegels Version unerhört war – gerade auch hinsichtlich einer weiblichen Lust –, ist Coppolas Variante nur noch stimmungsvoll. Und wo der alte Film die Erregung (und den Sexismus) hochtrieb, bleibt der neue so temperiert wie schlicht. Ein brutaler Racheakt, den Miss Martha am Corporal verübt, verliert im Southern Gothic von Sofia Coppola seine Mehrdeutigkeit. Er wirkt jetzt eher wie eine rasch abgespulte Wendung, denn mit dem Saft des Genrekinos konnte diese Regisseurin noch nie viel anfangen. Das mag der grösste Frevel ihres Films sein: dass aus dem Fiebertraum einer genuin perversen Idee etwas Geschmackvolles geworden ist.
In Zürich in den Kinos Arthouse Le Paris, Capitol und Riffraff.
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