Von Kopf bis Fuss: Mir gehts super!Wo bleiben die Schlechte-Laune-Fotos?
Denn die immer glücklichen Instagram-Momente werden auf Dauer doch etwas langweilig.

Mein Verhältnis zu den sozialen Medien ist, vor allem in den Sommermonaten, gespalten. Einerseits freue ich mich, wenn ich auf diese Weise miterleben kann, was meine Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen sowie Familienmitglieder in ihrer Freizeit so alles treiben. Andererseits stellt sich bei mir angesichts der vielen Sonnenauf- und -untergänge, braun gebrannten (gefilterten) Körper, strahlenden Gesichter, Schnappschüsse von Fauna und Flora, Bilder von bunten Cocktails, neu erlernten Yogaposen und frisch bepflanzten Terrassen schnell einmal eine gewisse Sättigung ein.
Bei all den Hochglanzfotos, die wir posten, glauben wir mit der Zeit beinahe selbst, dass wir Idylle pur erleben.
Der Sommer muss gefeiert werden! Vor allem nach den langen und schwierigen Corona-Monaten wollen wir das Leben geniessen. Und alle sollen sehen, wie gut es uns geht. Sei es beim Sünnele, Grillieren, Wandern, Schlemmen, in der Badi, in der heimischen Stube, auf dem Balkon oder am See. Vor allem bei Ferienfotos fällt mir auf, dass alle möglichen Schattenseiten ausgeblendet werden. Selbst wenn das reichhaltige Mittagsbuffet im «All-inclusive-Hotel» öfters zu Magenverstimmungen führt, die Mückenplage den Schlaf raubt und der Kampf um die Liegestühle am Pool selbst beim friedfertigsten Zeitgenossen Aggressionen weckt. Bei all den Hochglanzfotos, die wir posten, glauben wir mit der Zeit beinahe selbst, dass wir Idylle pur erleben.
Zwar wird auch im Sommer gelitten, geweint und gestorben, aber so genau wollen wir es dann doch nicht wissen. Sorgen, Trauer und Schmerz passen einfach nicht zu Tagen voller Licht und Nächten voller Fröhlichkeit.
Schattenseiten gehören dazu
Eigentlich steht es mir nicht zu, andere zu kritisieren, denn ich gehöre selber zu jenen, die erst kürzlich Ferienfotos gepostet haben. Es waren nicht viele Bilder, aber fast alle zeigten mich fröhlich und vergnügt, unter anderem beim Strandspaziergang mit meinen Hunden, beim morgendlichen Schwimmen im Hotelpool und beim Geniessen zahlreicher Köstlichkeiten. Und natürlich freute ich mich über die vielen Likes und netten Kommentare.
Wenn ich die Fotos im Nachhinein betrachte, so vermitteln auch sie auf den ersten Blick, dass meine Ferienwoche ungetrübt war. Was so aber nicht genau stimmt. Wie viele Menschen hatte auch ich in den ersten Nächten am neuen Ort Schlafprobleme, gelegentliche Stimmungstiefs und kurzzeitige Magenverstimmungen.
Doch ich habe die Tage genossen. Auch gerade darum, weil ich mir bewusst bin, dass ein paar Tage Auszeit nicht reichen, um mich vom Alltag mit all seinen Anforderungen zu verabschieden, konnte ich das Schöne, das ich erleben durfte, geniessen.
Es ist okay, nicht okay zu sein
Einen kleinen, komplett ungeschönten Einblick in meine Ferienwoche gab es dann aber doch. Wer mich etwas besser kennt, weiss, was es bedeuten könnte, wenn mich mein Mann bei strahlendem Sonnenschein tief unter der Bettdecke vergraben fotografiert – und ich das Bild auch noch poste.

Nicht etwa, um Mitleid zu erwecken. Nein, ich wollte damit zeigen, dass es auch okay ist, wenn man sich nicht gut fühlt, obwohl alle äusseren Umstände stimmen. Diesen Einblick zu geben, hat mich auch keinerlei Überwindung gekostet, denn ich poste schon seit längerer Zeit bewusst immer wieder mal Fotos, auf denen man – zumindest auf den zweiten Blick – sieht, dass in meinem Leben nicht gerade Jubel und Heiterkeit herrscht.
Manchmal kann bereits ein kleiner Hinweis, ein spezielles Foto oder eine selbstironische Bemerkung zum Nachdenken anregen.
Ich fände es schön, wenn ich in den sozialen Medien allgemein häufiger Fotos sehen würde, die mir einen Hinweis darauf geben, dass auch bei anderen nicht immer alles rund läuft. Das muss nicht mit einem optischen Holzhammer passieren. Sprich, die verweinten Augen, die körperlichen Unpässlichkeiten oder die allfällig schlechte Laune kann ich mir auch so bildlich vorstellen. Ich erlebe das ja auch selbst immer wieder mal.
Manchmal kann bereits ein kleiner Hinweis, ein spezielles Foto oder eine selbstironische Bemerkung zum Nachdenken anregen. Und vielleicht auch dazu inspirieren, beim Posten etwas kreativer zu sein. Denn wenn man durch die sozialen Medien schon Einblicke in sein Leben gibt, dann sollten diese zumindest hin und wieder ehrlich sein. Schliesslich bleiben wir auch in den Ferien Menschen. Mit allem, was dazugehört.
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