«In Kopenhagen beraten Politiker, die brauchen keine Wissenschaftler»
Die Klimadebatte ist verpolitisiert, Spekulationen werden zu Wahrheiten aufgemotzt, sagt Hans von Storch.

Herr von Storch, wir treffen uns in München, wieso sind Sie nicht in Kopenhagen?
Weil ich Wissenschaftler bin, nicht Politiker. In Kopenhagen beraten Politiker, die brauchen bei den Verhandlungen keine Wissenschaftler.
Ich nehme an, es sind auch viele Wissenschaftler in Kopenhagen.
Was die dort machen, ist mir ein Rätsel.
Ist das auch eine Distanzierung von dem, was in Kopenhagen läuft?
Nein. Ich begrüsse den politischen Prozess in Kopenhagen sehr, aber die Wissenschaft hat ihren Rat schon abgeliefert. Er besteht im Wesentlichen darin: Wenn wir mehr CO2 in die Atmosphäre blasen, wird es wärmer und das Klima verändert sich. Wenn nun die Politik sagt, sie wolle nur zwei Grad Temperaturzunahme, sagen wir, mit wie vielen Emissionen man diese zwei Grad vielleicht erreichen kann.
Heute Donnerstag, an dem wir das Interview führen, liegt noch kein Abkommen vor. Wie wichtig wäre es, dass etwas zustande kommt?
Als Bürger, nicht als Klimaforscher sage ich dazu: Es ist enorm wichtig, dass wir Massnahmen zur Begrenzung des Klimawandels einleiten. Ob wir uns aber unbedingt auf die nicht mehr als zwei Grad Erwärmung festlegen müssen, weiss ich nicht. Wenn es ein Abkommen in Kopenhagen gibt, sollte das Ziel erreichbar sein, keine riesigen Prozentzahlen, die man nicht einhalten kann.
Ist es schlimm, wenn die Begrenzung auf die zwei Grad Zunahme nicht gelingt?
Ich bin ziemlich sicher, dass es nicht gelingt. Dennoch: Unsere technologische Entwicklung wird so sein, dass immer mehr Produkte entstehen, die weniger CO2 emittieren. Das ist gut so. Es wird also in jedem Fall eine Trendwende eintreten. Ob aber so radikal, wie das 2-Grad-Ziel andeutet, sei dahingestellt.
Was passiert, wenn die Temperatur um mehr als diese zwei Grad steigt?
Es gibt Wissenschaftler, die sagen, wenn wir zwei Grad überschreiten, passieren furchtbare Dinge. Ich halte das für Gerede. Was genau mit Grönland oder anderen Regionen passiert, wissen wir nicht, unsere Modelle können nicht zwischen zwei oder zweieinhalb Grad Temperaturerhöhung unterscheiden. Die zwei Grad sind eine politische Zahl: Um politischen Druck auszuüben, hat man das, was man gerade noch erreichen kann, als das bezeichnet, was unbedingt erreicht werden muss. Da ist eine ganze Menge Spekulation zu endgültiger Wahrheit aufgemotzt worden.
Kann man also auch nicht sagen, was bei einer Erhöhung um vier Grad passieren würde?
Nur das: Je höher der Anstieg, desto schwieriger wird es für uns und die Ökosysteme, damit umzugehen.
Hat sich das Klima nicht schon immer verändert?
Ja, aber nicht so schnell. Die Veränderungen, die wir in den letzten Jahrzehnten, im letzten Jahrhundert gesehen haben, sind deutlich schneller als alles, was wir als menschliche Gesellschaft jemals erlebt haben. Es kann sein, dass es während der Eiszeit auch mal sehr schnelle Veränderungen gab, aber da gab es noch keine Menschen, die Städte am Meer hatten.
Gegen die Klimaerwärmung wird angeführt, in den letzten zehn Jahren sei zwar immer mehr CO2 ausgestossen worden, aber die Temperatur sei nicht gestiegen.
Das wundert mich nicht, aber als Wissenschaftler kann ich Ihnen dafür eine Deutung anbieten: Das Klima wird zum einen geschoben durch erhöhte Treibhausgasemissionen, Sonnen- oder Vulkanaktivität oder auch Landnutzungsveränderungen. Zum andern ändert sich das System aber auch von alleine, Stichworte dazu sind «El Niño» und andere Phänomene. Beide Faktoren sind immer gleichzeitig da und können sich über einige Zeit aufheben. In der öffentlichen Diskussion geht unter, dass Wärmerekorde auch durch natürliche Faktoren entstanden sein können.
In diesen Zusammenhang gehört die Kontroverse um die Hockeystick-Kurve. Sie besagt, dass die Temperaturen in den vergangenen Jahrhunderten zurückgingen, es aber seit etwa 1830 einen markanten Anstieg gegeben habe, eben die nach oben zeigende Schaufel des Sticks.
Das Dumme war, dass diese Kurve zur Wahrheit erklärt wurde, nicht zur Hypothese, über die noch weiter zu diskutieren wäre. Der Anstieg seit 1850 beruht im Wesentlichen auf Thermometerdaten und ist einigermassen unstrittig. Der Griff des Sticks aber, der als glatt dargestellt wurde, ist in Wirklichkeit sehr wackelig, es gab immer wieder Ausschläge, es kann sogar sein, dass es früher höhere Werte als heute gegeben hat. Stress macht uns heute auch nicht die Temperatur selbst, sondern die Geschwindigkeit der Veränderung.
Gewisse Gebiete können ein paar zusätzliche Grade gut ertragen.
Ich könnte dann in der Ostsee öfters baden. Nur: Es gibt natürlich auch andere Gebiete, und grundsätzlich gilt: Schneller Wandel ist für Mensch und Ökosystem schwierig zu handhaben. Langsamen Wandel aber hat es immer gegeben, denken Sie daran, wie die Schweiz im Jahr 1900 ausgesehen hat und wie sie heute aussieht. Wir haben den Wandel hingekriegt. Es gibt natürlich auch Gebiete auf der Welt, wo man technologisch nicht so gut auf Wandel eingerichtet ist wie etwa die Holländer, die mühelos Deiche bauen.
Sie reden von der Dritten Welt. Entwicklungsländer werden mit der Klimaveränderung viel weniger gut fertig als wir.
Das fragt sich. Ich war vor einiger Zeit in Südafrika, und da habe ich den Vorwurf des Ideenimperialismus gehört: Wir Europäer würden, wie vor hundert Jahren schon einmal, anfangen, diesen bedauernswerten Leuten, die nicht selbst für sich planen könnten, zu sagen, was ihre Probleme seien. Der Umgang mit der Dritten Welt ist fortgesetzt ein problematischer, im Sinne von Bevormundung, Besserwissen.
Von dieser Seite kommen aber jetzt auch klare Forderungen, sie verlangen Milliarden wegen der Klimaveränderung.
Sie wären blöd, wenn sie das nicht tun würden. Entwicklungsländer wollen vor allem, dass der Klimawandel nicht zu stark ausfällt, und sie wollen auch Unterstützung haben, damit sie sich besser an die Gefahren des Klimas heute und in Zukunft anpassen können. Denken Sie an den Wirbelsturm «Nagris», der 2008 in Burma 100 000 Tote forderte. Dieser Sturm hatte mit dem Klimawandel nichts zu tun, es war ein normaler Taifun, der aber auf einen völlig unvorbereiteten Staat traf. Es war klar, dass dort der Küstenschutz miserabel war. Wir haben aber keinerlei Druck gespürt zu helfen. Wir wollen zwar weniger CO2 ausstossen, fahren mehr Fahrrad und retten so Leute in 50 Jahren vor dem Ertrinken.
Mit anderen Worten: Es ist auch wichtig, sich heute um konkrete Massnahmen zu kümmern, heute schon Dämme bauen.
Wir müssen zwei Dinge tun. Wir müssen die Emissionen vermindern, aber wenn wir über die Dritte Welt reden, müssen wir sie so weit bringen, dass sie sich selber besser helfen kann, gegenüber den heutigen Gefahren des Klimas und den in Zukunft allenfalls verschärften Gefahren. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir vorschreiben wollen, wie sie zu kochen haben.
Wie verändert sich das Klima, wenn die Temperaturen steigen, gibt es mehr Stürme, mehr Wüsten?
Man kann zwei Dinge generell sagen: Die Temperatur steigt fast überall, und damit gehen Veränderungen der Niederschlagsgebiete einher. Alles andere hängt von der Region ab. Für Nordeuropa besagen unsere Studien, dass Stürme langfristig etwas häufiger werden sollten.
Wie steht es mit Wirbelstürmen in der Karibik und den USA?
Wir sehen bisher keine systematischen Veränderungen. Was Stürme über dem Meer betrifft, gibt es noch nicht lange verlässliche Datenreihen. Heute haben wir Bilder von Satelliten, aber die gab es 1950 noch nicht.
Es gibt heute mehr Stürme, weil wir sie besser zählen können.
Genau. Das ist ein üblicher Fehler, wir sehen mehr Details und schliessen daraus, dass es heute mehr Ereignisse gibt.
Aus Sicht der Dritten Welt besteht wohl die grösste Gefahr in der weiteren Verbreitung der Wüsten.
Summarische Aussagen wie: Es gibt mehr Wüsten, oder: Es gibt mehr Extremereignisse, stimmen sicher nicht. Es gibt einige Gebiete, wo es mehr Wüsten gibt, andere, wo es weniger gibt. Dasselbe gilt für Extremereignisse. Die entscheidende Frage ist also: Wo werden die Wüsten grösser, und was machen wir mit den Menschen, die davon betroffen sind?
Führt die Klimaveränderung zu mehr oder zu weniger Niederschlägen?
Die Frage ist: Wo und wann? In Hamburg zum Beispiel können wir bis Ende des Jahrhunderts im Winter 30 Prozent mehr, im Sommer 30 Prozent weniger Niederschläge erwarten. Wenn das so ist, ist in Hamburg im Winter die Kanalisation möglicherweise zu klein, wir müssen die erwarteten Veränderungen berücksichtigen und Systeme bauen, die mehr Wasser fassen können. Und Deichsysteme zum Beispiel müssen so gebaut werden, dass sie bei Bedarf ohne Weiteres erhöht werden können.
Fakten zur Klimaveränderung liefert der Weltklimarat IPCC. Sie haben beim vierten IPCC-Bericht nicht mitgearbeitet. Wieso nicht?
Ich wurde eingeladen, als Review-Gutachter tätig zu sein, also zu schauen, ob alle Änderungswünsche ordentlich abgearbeitet wurden. Dazu hatte ich keine Lust. Es kann auch nicht schaden, wenn es Leute gibt, die sich frei äussern können, weil sie nicht involviert waren.
Sie sind ein Enfant terrible der Klimaforschung. Einer der ab und zu widerspricht.
Ich werde von Skeptikern und Alarmisten regelmässig angegriffen. Ich rede von «Alarmisten», weil ich meine, dass man Wissenschaft nicht überverkaufen darf. Der Schweiz muss ich aber ein Kompliment machen: Dort scheint die Anzahl der Alarmisten besonders niedrig zu sein. Gerade die Uni Bern mit Namen wie Stocker, Wanner und Pfister ist wirklich gut.
«Alarmist» heisst: die möglichen Gefahren der Klimaveränderung werden übertrieben.
Ja, und zwar, weil man glaubt, auf diese Art und Weise ein politisches Ziel eher erreichen zu können.
Ist also vieles, was man heute hört, wissenschaftlich nicht fundiert?
Ja. Die Wissenschaft ist verpolitisiert. Viele Dinge werden mit der Frage abgehandelt, ob sie zur richtigen politischen Folgerung führen. Oder es wird gefragt, ob eine Erkenntnis nicht – was das Schlimmste wäre – von Skeptikern missbraucht werden könnte. Meine Einsichten dürfen Skeptiker benutzen. Ich bin nicht Besitzer der Interpretation meiner Ergebnisse. Wenn jemand etwas Idiotisches daraus folgert, ist das schade, aber nicht unerlaubt.
Für Aufregung hat die Geschichte mit den abgefangenen E-Mails an der Universität of East Anglia gesorgt. E-Mails, die zeigen sollen, dass die Gefahr der Klimaveränderung übertrieben wird. Ist dabei versucht worden, Fundamentales zu vertuschen?
Nein, gemogelt worden ist nicht. Es ist versucht worden, die Meinungsvielfalt einzuschränken und wissenschaftliche Aussagen für die Politik mundgerecht zu machen. Das Prinzip, dass die Möglichkeit der Falsifikation von Hypothesen geschaffen werden muss, ist missachtet worden, man hat Leuten nicht erlaubt, eigene Ergebnisse kritisch zu hinterfragen.
Das heisst: Man hat verhindert, dass Daten freigegeben wurden, damit Forscher damit unabhängig voneinander arbeiten konnten?
Ja. Dass man das nicht zugelassen hat, ist unvorstellbar. Jetzt muss etwas getan werden, damit das Vertrauen in die Wissenschaft als unabhängige, nicht an politischen Zielen ausgerichtete Einrichtung wiederhergestellt werden kann. Die Leute, die in den E-Mails einen merkwürdigen Eindruck hinterlassen haben, sollten nicht weiter im IPCC mitwirken. Und der Vorsitzende des IPCC sollte ersetzt werden durch eine wissenschaftlich anerkannte Persönlichkeit.
Sie meinen Rajendra Pachauri.
Er hat kürzlich die Aussage gemacht, dass es über das Ausmass des vom Menschen gemachten Klimawandels gar keine Zweifel gebe. Pachauri ist aus politischen Gründen ausgesucht worden und benimmt sich wie ein Wissenschaftler, ist aber keiner und ist nicht Prinzipien wie Offenheit verpflichtet, sondern einer politischen Agenda. Dagegen war es die richtige Wahl, Thomas Stocker zum Leiter der Workgroup 1 zu machen. Wir wollen auf allen Ebenen Stockers haben. Ich hoffe, es schadet ihm nicht, wenn ich das sage.
Ist die Klimaerwärmung das grösste Problem, das die Menschheit hat?
Viele Menschen sehen das so, aber das ist eine westliche Sichtweise, die wir der Welt aufzudrücken versuchen, etwas mehr Bescheidenheit könnte uns nicht schaden. In Südafrika hatte ich nicht den Eindruck, dass die Klimaveränderung besonders wichtig wäre, auch nicht in China bei meiner Schwiegerfamilie. Es gibt so etwas wie eine Ökonomie der Aufmerksamkeit: Wenn wir die Klimaveränderung besonders betonen, spielen wir andere Themen herunter, etwa auch die Frage, wie viele Leute an Hunger gestorben sind, während wir dieses Interview geführt haben.
Sie selber haben offenbar eine schlimme CO2-Bilanz, Sie kommen eben aus San Francisco zurück, waren in Südafrika?.?.?.
.?.?.?noch schlimmer, auch in China. Da bin ich aber mit IPCC-Autoren in guter Gesellschaft, auch die fliegen überallhin. Privat fliege ich nie, in den Ferien fahre ich per Auto in mein Ferienhaus in Dänemark. Mein Lieblingsverkehrsmittel ist das Schiff, die Fähre.
Immerhin haben Sie auch ein CO2-freies Hobby, Sie sind Donaldist, ein Experte für Donald Duck. Wie kommt das?
Dazu bin ich als Kind der 50er-Jahre gekommen. Wir Donaldisten sehen Entenhausen als reale Welt, bei der wir herausfinden wollen, wie sie funktioniert.
Wie ist das Wetter dort?
Anders, da gelten einige physikalische Grundsätze nicht. In Entenhausen kann man an einem schönen Sommertag die Luft abkühlen und dann einen Schneesturm bekommen. Aber mich treibt noch ein anderes Thema um: diese Dinger, die Sie in der Schweiz Berge nennen. Ich bin nicht überzeugt davon, dass sie echt sind.
Das sind sie aber.
Das sagen alle. Aber wenn ich in der Schweiz bin, sind sie nicht zu sehen. Beim 60. Geburtstag von Professor Wanner in Bern habe ich eine Rede über die Nichtexistenz der Alpen gehalten und mit einer Simulation gezeigt, dass sie unnötig sind, weil sie das Wetter in Hamburg nicht verändern. Darauf hat mich Herr Wanner zu einer Exkursion in die Berge gezwungen. Man hat eben Stil in Bern.
Und da haben Sie sich überzeugt davon, dass sie existieren?
Nein, ich habe nur gesagt: Es gibt alpenähnliche Strukturen.
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