UBS-Börsenchef in New York: «Es ist wie in der Ehe»
Arthur Cashin, Börsenchef der UBS in New York, macht sich Sorgen. Das Sanierungspaket des Kongresses dürfte nur wenig bewirken; die Börsen könnten erneut auf Talfahrt gehen.

Sie stehen seit 45 Jahren auf dem Börsenparkett in New York und haben mehrere Krisen miterlebt, auch den Crash von 1987. Ist die Lage heute mit dem damaligen Kollaps vergleichbar? Der Absturz von Anfang Woche war ziemlich erschreckend, aber bei weitem nicht so sehr wie der Crash von 1987. (Am 19. Oktober 1987 stürzte die New Yorker Börse um 20,47 Prozent ab, die Red.) Die Kreditlinien für Händler und Spezialisten wurden gekappt; und der Handel für Blue Chips nach und nach eingestellt. Das US-Finanzsystem drohte damals zu kollabieren. Anderseits gab es noch nie eine so lange Phase von Unsicherheit wie heute. Notenbankchef Ben Bernanke und Finanzminister Henry Paulson haben bereits sieben oder acht Feuerschutzwände errichtet; doch das Feuer ist über alle hinweggesprungen. Das macht Sorgen. Der letzte Montag war der neuntgrösste Sturz an der Börse, sieben der neun Crashes ereigneten sich in der Depression der 1920/30er-Jahre. Das zeigt, dass die heutige Krise vergleichbar ist mit jenen Tagen.
Kann die Finanzmisere wie damals in eine Depression münden? Die aktuellen Verhältnisse weisen Parallelen zu dem auf, was wir über damals wissen. Noch ungewiss ist allerdings, ob die Krise auch so lange anhalten wird. Jedermann ist derzeit auf dem Wachtposten und versucht, die Dämme vor einem Bruch zu schützen. Ben Bernanke ist gar daran, die Notenbank neu zu erfinden.
Der Aktienmarkt brach am Montag ein, hat sich am Dienstag deutlich erholt und ist nun erneut unter Druck geraten. Was steht hinter solch abrupten Bewegungen? Am Montag wurden an einem einzigen Tag in Europa fünf Banken reorganisiert oder verstaatlicht. Hier in den USA wurde Wachovia, die viertgrösste Bankengruppe, in eine «Shotgun»-Heirat mit der Citigroup gezwungen. Diese Ereignisse allein haben uns etwa 290 Punkte in die Tiefe gezogen. Als das Abgeordnetenhaus das Sanierungsgesetz verwarf, sind wir weiter getaucht und bei einem Minus von 770 Punkten angelangt. Am Dienstag keimte Hoffnung auf, dass sich der Kongress doch noch auf ein Gesetz einigen könnte; und wir erholten uns um gut 400 Punkte. Was dabei vergessen ging: Wir kehrten nur zu jenem Punkt zurück, den wir erreicht hatten, bevor das Gesetz durchfiel.
Warum finden die Märkte keine Ruhe? Die Optik hat sich wieder verschoben und am Mittwoch den Kreditmärkten zugewandt. Es bestand Hoffnung, dass die Kurzfristzinsen sinken würden, doch stattdessen stieg der Dreimonats-Liborsatz (für Ausleihen unter den Banken, die Red.) gar leicht an. Noch wichtiger: Die Kreditausfallswaps der GE Capital Corporation (die Versicherungprämien für die Schuldpapiere, die Red.) zogen stark an und warfen einige unangenehme Fragen auf. GE bemühte sich zwar, Gerüchte und Befürchtungen zu zerstreuen, doch die Aktie sank massiv (um über acht Prozent, die Red.) und dies wiederum weckte alte Sorgen um den Zustand der Finanzbranche.
Teilen Sie die Befürchtung, dass weitere Banken zusammenbrechen könnten? Mir macht Sorge, was wir nach einer Sitzung von Notenbankchef Ben Bernanke mit Leadern des Kongresses vor zwei Wochen hörten. Senator Chris Dodd, ein gestandener, langjähriger Parlamentarier, erklärte, er habe eben das niederschmetterndste Treffen seiner Karriere erlebt. Senator Chuck Schumer meinte, Bernanke habe mit der ernüchternden Lageanalyse jedermann aufgerüttelt. Alle beteuerten, sie wollten zusammen schnell eine Lösung finden. Was immer Bernanke gesagt hat, er muss sie zu Tode erschreckt haben. Und wenn der Chef der Notenbank besorgt ist, dann mache ich mir auch Sorgen.
Bernanke sagte, dass es «innert weniger Tage zu massiven Zusammenbrüchen» kommen könnte, auch von führenden Firmen ausserhalb der Finanzindustrie. Gemeint hat er, dass sogar Blue-Chip-Unternehmen nicht mehr genügend Mittel erhalten könnten, um sich zu finanzieren. Die Kreditmärkte sind äusserst fragil und angeschlagen. Das spiegelt sich im Auf und Ab an den Aktienbörsen.
Wird das Sanierungspaket des Kongresses die Märkte günstig beeinflussen? Psychologisch wird es kurzfristig günstige Effekte haben; aber ich zweifle, dass die Wirkung gleich stark ist, wie wenn das Programm im ersten Anlauf durchgekommen wäre. Der Glanz beginnt bereits zu verblassen. Das zweite geschenkte Fahrrad ist nicht mehr so schön wie das erste.
Dass die Banken kein Geld ausleihen, deutet auf einen enormen Vertrauensverlust. Genau. Es ist wie in der Ehe. Ist das Vertrauen einmal dahin, kann es nur schwer und langsam wiederhergestellt werden.
Einige Experten meinen, der letzte Dienstag markiere bereits die Wende zum Besseren. Der Montag erschien wie die abschliessende Korrektur, doch fehlte das nötige Handelsvolumen, um bereits den Tiefstpunkt anzunehmen. Wir haben ein echtes Risiko einer Kapitulation. Die Märkte rund um die Welt sind sehr nervös, die Banken haben Angst, gegenseitig Geld auszuleihen. Das ist ein Warnsignal. Selbst die besten und angesehensten Institutionen bekommen derzeit nicht den Respekt, den sie verdienen. Die Märkte sind wie eine Religion: Es braucht Glaube und Zutrauen. Das kann man nicht mit einem Fingerschnippen erzwingen.
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