Die Gier steht über dem Gesetz
Moses hat seinem Volk 10 Gebote verschrieben, Goldman Sachs seinen Mitarbeitern sogar 14. Doch der Fall von Fabrice Tourre zeigt: Ethik ist kein ernsthafter Gegner für die Gier.
John C. Whitehead war der erste Nichtjude an der Spitze von Goldman Sachs. Er war ein Kriegsheld und hatte aktiv am längsten Tag mitgemacht, der Landung der US-Truppen in der Normandie. Zwischen 1976 und 1984 war er zusammen mit John Weinberg Co-Vorstandvorsitzender der Investmentbank. Schon in den 1960er-Jahren hat Whitehead Spuren hinterlassen, die bis heute nachwirken. Er war der Autor der 14 Gebote, eines Verhaltenskodex für alle Mitarbeiter. «Whitehead hat institutionalisiert, was bis heute der ‹Goldman Way› ist, und er hat eine neue Generation von sehr gut bezahlten Wallstreet-Soldaten geprägt», schreibt William D. Cohan in seinem Buch «Money and Power».
Am Ursprung des Verhaltenskodex stand ein Skandal: Goldman Sachs wurde unethisches Verhalten vorgeworfen. Dem ehemaligen Finanzchef David Bevan wurde von der US-Börsenaufsicht SEC im Zusammenhang mit dem Kollaps der Eisenbahngesellschaft Penn Central «falsche und irreführende Aussagen» vorgeworfen und ein Verfahren eingeleitet. Wie heute sorgte Goldman Sachs also für wenig vorteilhafte Schlagzeilen.
Dagegen wollte Whitehead vorgehen. Sein Kodex sieht aus heutiger Sicht banal aus – «die Interessen unserer Kunden kommen immer zuerst» etc. –, doch für damalige Verhältnisse war er revolutionär. Er ist ein zentraler Punkt der Unternehmenskultur geworden. «Die Prinzipien werden immer noch bei Versammlungen von Goldman-Bankern laut vorgelesen. Und es sind Fälle bekannt, in denen die Gebote gerahmt an die Bürowand geheftet wurden», schreibt Cohan.
Kundeninteresse an zweiter Stelle
Die 14 Gebote von Goldman Sachs sind der berühmteste, aber keineswegs der einzige Verhaltenskodex an der Wallstreet. Alle Finanzinstitute investieren in Ethik und fordern ihre Mitarbeiter zu korrektem Verhalten auf. Der Erfolg hält sich in Grenzen. So berichtet die «New York Times» von einer soeben veröffentlichten Studie mit schockierenden Resultaten: Eine Untersuchung von 250 Bankern hat ergeben, dass rund ein Viertel sofort ein Insidergeschäft mit einem Gewinn von 10 Millionen Dollar abschliessen würde, wenn die Gewissheit bestünde, dabei nicht erwischt zu werden. 17 Prozent sind der Meinung, dass ihre Chefs eine Auge zudrücken, wenn sie von Insidergeschäften erfahren, und 15 Prozent sind überzeugt, dass sie es nicht den Behörden melden würden.
So wie bei Fabrice Tourre stehen die Interessen der Kunden an zweiter Stelle. 28 Prozent der Befragten geben an, dass die Bank zuerst für sich schauen würde. Was bedenklich ist: Je älter die Banker werden, desto grösser werden Zynismus und Gier. 38 Prozent der Banker, die mehr als zehn Jahre Berufserfahrung aufweisen, würden für einen sicheren 10-Millionen-Deal das Gesetz brechen.
Ein Bumerang für Oliver Stone
Die Resultate dieser Umfrage decken sich mit den Erfahrungen des Schriftstellers Michael Lewis («Lügenpoker») und des Filmemachers Oliver Stone («Wall Street»). Beide haben ihre Werke als Warnung vor dem moralisch zwielichtigen Investmentbanking verstanden. Das Resultat war ernüchternd: Sie wurden überschüttet von Anfragen von hoffnungsfrohen Hochschulabsolventen, wie man am besten bei Goldman Sachs und Co. anheuert.
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