Das ungewöhnlichste Musikfestival Berns«Sollten wir einmal auf mysteriöse Weise verschwinden, wissen Sie, was los ist»
Einst verspottet, heute eines der wichtigsten Festivals für neuen Jazz: Wir haben Co-Veranstalter Benedikt Reising gefragt, woran an der 15. Berner Jazzwerkstatt gewerkelt wird.

Als Sie vor 15 Jahren zusammen mit den Musikern Marc Stucki und Andreas Schaerer die erste Jazzwerkstatt organisierten, ahnten Sie da, dass Sie einmal als Veranstalter eines der bedeutendsten Jazzfestivals des Landes gelten würden?
Wir haben uns ehrlich gesagt nicht viel gedacht. Wir hatten einfach Lust darauf und wollten das so lange tun, bis die Lust wieder erlischt. Die Frage ist jetzt, ab wann ein Festival bedeutend ist.
Jazzfestivals mit 23 auftretenden Bands und internationaler Ausstrahlung sind in diesem Land selten geworden. Haben Sie schon gewisse Grossveranstalter-Allüren entwickelt?
Eher Anti-Allüren. Wir sind uns ständig am Überlegen, wie wir das Festival – auch unter Einbezug von Kuratorinnen und Kuratoren – noch mehr von uns entkoppeln können. Es soll auch ohne uns funktionieren. Am Jazzfestival Leipzig ist der Veranstalter auf einmal untergetaucht. Junge haben übernommen, und das Festival ist besser denn je.
Also ist Untertauchen auch für Sie eine Option?
(lacht) Ja, sollten wir einmal auf mysteriöse Weise verschwinden, wissen Sie, was los ist.
Die Jazzwerkstatt ist ja nicht nur ein Festival, sondern auch ein grosser Netzwerk-Anlass, an dem schon viele neue Formationen entstanden sind. Sie widerlegt das Klischee, dass in der Schweiz die Spontaneität unter Musikschaffenden eher unterentwickelt ist und ohne dreimonatige Vorlaufzeit nichts geht.
Das erlebe ich hier tatsächlich ganz anders. Man trifft sich während des Festivals spontan zu Jam-Sessions, und im Sonarraum wurde auch schon kurzerhand ein Album aufgenommen. Allerdings ist die Jazzwerkstatt keine typisch schweizerische, sondern mittlerweile eine recht internationale und eklektische Angelegenheit, für die wir nicht unbedingt die grossen Namen anlocken, sondern Musikerinnen und Musiker, die uns spannend erscheinen und die eine gewisse Offenheit mitbringen.
«Mich würde ein Festival langweilen, an dem jede Band versucht, möglichst naturgetreu ihr letztes Album nachzuspielen.»
Definieren Sie spannend.
Leute, die in ungewöhnliche Richtungen denken und arbeiten, die Musik machen, die uns überrascht. Mich würde ein Festival langweilen, an dem jede Band versucht, möglichst naturgetreu ihr letztes Album nachzuspielen.
In ihren Anfängen wurde die Jazzwerkstatt von anderen Impro-Organisatoren in Bern angefeindet und verspottet. Man warf Ihnen vor, Jazz zur Party machen zu wollen. Wie ist das Verhältnis heute?
Den Umstand, dass ich das schon fast vergessen hatte, werte ich als gutes Zeichen. Was zu Recht kritisiert wurde, war, dass wir für unsere erste Austragung keinen Eintritt verlangten. Das würden wir nicht mehr so machen. Heute gibt es zwar frei wählbare Preiskategorien – aber Musik soll einen Wert haben.
Und den Jazz zur Party machen, das ist noch immer ein Anspruch?
Sagen wir es so: Wir wollen niederschwellig sein, ohne dabei Electro-Swing zu machen oder Ute Lemper oder Sven Regener einladen zu müssen. Auch wir fragen uns immer mal wieder, ob der Begriff Jazz für unser Festival noch Sinn macht. Aber einig sind wir uns darin, dass sich Party und anspruchsvolle Musik keinesfalls ausschliessen.
Wie organisieren Sie diese Jazz-Party?
Wir arbeiten jedes Jahr mit neuen Kuratorinnen zusammen. Gemeinsam sichten wir die Angebote, es wird diskutiert, welche Begegnungen wir unter dem Jahr hatten, welche Leute uns interessieren – und irgendwann nimmt das Fest Formen an.
«Es kann keine Lösung sein, dass wir den Kulturaustausch zwischen Nord und Süd aus ökologischen Gründen einfach für beendet erklären.»
Sie würfeln zuweilen auch Bands zusammen. Erliegen Sie da nicht einem gerade grassierenden festivaltypischen Exklusivitätswahn?
Es gibt diesen Festival-Trend, möglichst exklusive Acts im Programm zu haben. Das ist jedoch nicht unser Antrieb. Wenn wir Leute zusammenbringen, die vorher noch nie zusammen gespielt haben, dann ist das kein Zusammenwürfeln, sondern es sind sehr bewusste Entscheide, die musikalisch Sinn machen sollen. Aber uns interessieren genauso sehr Bands, die über Jahre einen eigenen Sound entwickelt haben. Auch sie sollen einen grossen Anteil im Programm ausmachen.
In diesem Jahr tritt mit dem Trompeter Ralph Alessi eine Art Jazz-Superstar auf, der seine Alben auf dem Label ECM veröffentlicht. Er ist seit kurzem Lehrer an der Berner Hochschule der Künste. Was wird er an der Jazzwerkstatt vorstellen?
Ihm haben wir jetzt tatsächlich eine Band mit jungen und alten Wilden aus unserem Kollektiv zusammengestellt. Er fand die Idee super. Er ist auch nicht einer jener internationalen Lehrkräfte, die ewig hin- und herjetten. Er lebt in Bern und interessiert sich sehr für die hiesige Szene.
Apropos Jetten: An der letzten Jazzwerkstatt sollten keine Teilnehmenden eingeflogen werden. Die heurige Ausgabe scheint wieder internationaler zu sein, mit Musikschaffenden aus Südafrika und dem Libanon. Eine Abkehr von guten Vorsätzen?
Nein. Wir machen zum Beispiel keine Fly-ins, es spielt also niemand bei uns und fliegt dann wieder zurück. Entweder haben die Leute Lehraufträge, spielen anderswo oder sind schon in Europa. Eine Band aus London fliegt beispielsweise nicht in die Schweiz, sondern kommt mit dem Zug, auch wenn uns die Tickets dafür fünfmal teurer zu stehen kommen. Wir nehmen das Thema sehr ernst. Aber es kann auch keine Lösung sein, dass wir den Kulturaustausch zwischen Nord und Süd aus ökologischen Gründen einfach für beendet erklären. Das wäre für die Szene dort und hier fatal.
Nennen Sie uns drei Konzerte, die man heuer auf gar keinen Fall verpassen darf?
Ich freue mich sehr auf die diesjährige Libanon-Connection, also auf die Konzerte der Multiinstrumentalistin und Puppenspielerin Yara Asmar, jenes unserer Kuratorin Nadia Daou und von der in Beirut lebenden Antipopikone Aya Metwalli. Man könnte all dies als elektroakustische Klangmalerei bezeichnen. Dann ist bei uns gleich in mehreren Konzerten die junge Saxofonistin Tara Sarter zu bewundern. Eine Frau, von der man noch sehr viel hören wird, mit einem ungeheuer warmen Sound – nennen wirs Avantgarde mit Soul. Am Sonntag freue ich mich besonders auf Sainkho Namtchylak, eine Obertonsängerin aus Sibirien. Und ich bin gespannt auf unsere grosse Diskussionsrunde zum Thema Antirassismus am Samstag. Ich denke wir haben da auch in der europäischen Jazzszene noch einiges aufzuarbeiten und können sicherlich viel dabei lernen.
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