«Wir müssen noch besser erklären»
Nationalbank-Vizepräsident Thomas Jordan hält der Kritik an den massiven Devisenkäufen die «dramatische» Bedrohungslage für die Schweizer Wirtschaft im Frühling 2009 entgegen.

Erst drang aus dem Bundesrat das vermeintliche «50 Rappen je Euro»-Zitat von Nationalbank-Präsident Philipp Hildebrand via Indiskretion nach aussen, dann forderte Christoph Blocher den Rücktritt Hildebrands, und nun wirft die SVP der Nationalbank in Inseraten «sinnlose Devisenspekulationen» vor. Was braut sich da über Ihnen zusammen? Die Nationalbank hat auf dem Höhepunkt der Krise im Frühjahr 2009 zu unorthodoxen Massnahmen greifen müssen. Das führt in der Öffentlichkeit unweigerlich zu Fragen über die Art der Massnahmen und deren Notwendigkeit. Es ist für mich ganz natürlich, dass nun eine über das übliche Mass hinausgehende Diskussion über die Geldpolitik der Nationalbank stattfindet. Für uns ist wichtig, unsere Politik verständlich zu machen und zu erklären, weshalb wir bestimmte Massnahmen in bestimmten Situationen ergriffen haben.Deutet die Kritik der SVP darauf hin, dass es Ihnen nicht gelungen ist, diese Politik «verständlich zu machen»? Das ist möglich. Es ist auch alles andere als einfach, weil die besagten Massnahmen ausserordentlich waren, besonders was ihre Grössenordnungen betrifft. Nie zuvor haben wir in einem derartigen Ausmass am Devisenmarkt interveniert. Dennoch bin ich fest überzeugt: Durch diese Massnahmen konnten wir grosse Gefahren von der Schweizer Wirtschaft abwenden und dazu beitragen, dass wir im Vergleich zu vielen anderen Ländern relativ gut durch diese Krise gekommen sind.Wäre es nicht zutreffender zu sagen: Die Risiken sind fürs Erste bei der Nationalbank deponiert worden? In der Tat sind die Auswirkungen der Krisenbekämpfung weniger im Haushalt des Bundes, dafür umso mehr in der Nationalbank-Bilanz sichtbar. Derzeit zeigen sich diese in Form eines beträchtlichen Buchverlusts auf unseren Devisenbeständen. Dabei handelt es sich um eine Momentaufnahme – die Kosten dieser Interventionen lassen sich aber nur über eine lange Zeit beurteilen. Im Normalfall kommt es zu Gegenbewegungen bei den Wechselkursen. Und vergessen wir nicht: Gekaufte Devisen werfen Erträge ab, die mithelfen, Verluste über die Zeit abzutragen.Wie wollen Sie Ihre Geldpolitik noch verständlicher machen? Mir scheint, als hätten Sie all Ihre Argumente ausgebreitet. Wir müssen noch besser erklären, dass wir unsere Entscheidungen aus einer Einschätzung der damals herrschenden Risiken getroffen haben. Wir können heute nicht zurückschauen und sagen, es sei ja nichts Dramatisches passiert. Die damalige Einschätzung war eben so, dass die Entwicklung ohne geldpolitisches Gegensteuern dramatisch hätte sein können. Und die richtige Politik damals war, die Geldpolitik massiv zu lockern und mit entsprechenden Devisenmarktinterventionen eine übermässige Aufwertung des Frankens zu verhindern. Dadurch konnten Deflationsrisiken für unsere Volkswirtschaft vermindert werden.Zielen die Attacken nicht primär auf den Nationalbank-Präsidenten mit seinen für viele hierzulande unbequemen Ansichten zur Finanzregulierung und weniger auf die Institution Nationalbank? Werden Personen kritisiert, wird immer auch die Institution kritisiert. Wir müssen also die Kritik auch als Kritik an der Institution auffassen und das Gespräch mit unseren Kritikern suchen.Sie und Philipp Hildebrand treten für eine stärkere Finanzregulierung ein. Sind die Angriffe auf die Nationalbank nicht Teil dieses Ringens um mehr Regulierung? Diese Diskussion über Regulierung findet natürlich statt. In Kürze wird auch das sogenannte «Too big to fail»-Paket im Parlament behandelt, für das sich die Nationalbank stark einsetzt. Wenn dieses vollständig umgesetzt wird, können wir die «Too big to fail»-Problematik in der Schweiz, also das Klumpenrisiko unserer Grossbanken für den Staat und die Steuerzahler, deutlich reduzieren. Zugleich lässt das Paket auch in Zukunft einen kompetitiven Finanzsektor mit bedeutenden Banken in der Schweiz zu.Sie warnen aber immer wieder davor, das «Too big to fail»-Gesetz aufzuweichen oder einzelne Teile herauszubrechen. Das Paket beruht auf einzelnen Elementen, die aufeinander abgestimmt sind. Wenn bestimmte Elemente herausgenommen oder verwässert werden, haben wir nicht mehr die beabsichtigte Wirkung.Können Sie das näher erläutern? Es geht primär um die Abstimmung zwischen den Kapital- und den organisatorischen Anforderungen. Das Gesetz verlangt von den Grossbanken eine bestimmte Kapitalhöhe. Gleichzeitig sieht es von noch schärferen Kapitalvorschriften ab, weil es im Gegenzug die Grossbanken zu organisatorischen Vorkehrungen zwingt, damit sie im Fall enormer Verluste abgewickelt werden können. Hätten wir geringere Kapitalanforderungen, müssten die Anforderungen an die organisatorischen Massnahmen entsprechend einschneidender sein.Die Grossbanken wiederum werden nicht müde, darauf hinzuweisen, dass sie wesentlich härtere Vorschriften erfüllen müssen als ihre ausländischen Konkurrenten. Das «Too big to fail»-Paket umzusetzen, verlangt von beiden Grossbanken grosse Anstrengungen. Ist das Paket aber einmal umgesetzt, werden die Banken davon profitieren. Denn dann heben sie sich von der ausländischen Konkurrenz positiv ab bezüglich Stabilität, Kapital- und Liquiditätsausstattung.UBS-Chef Oswald Grübel ist da anderer Meinung. Im gestrigen Interview mit der «Financial Times» sagte er sinngemäss: Wenn in einem Teil der Welt 8 Prozent Eigenkapital verlangt werde und in einem anderen Teil 19 Prozent, sei klar, wohin das Geschäft gehen werde. Man muss hier zwei Dinge auseinanderhalten: zum einen das Geschäftsmodell der Schweizer Banken, auch der Grossbanken. Im Zentrum steht die Vermögensverwaltung, die stark auf Kundenvertrauen basiert. Von daher sollten die Banken an einer überdurchschnittlich hohen Kapitalisierung interessiert sein. Zum andern ist der Vergleich zwischen den 8 Prozent und den 19 Prozent nur bedingt zulässig. Im Massnahmenpaket der Expertenkommission sind ja gerade Vorkehrungen vorgesehen, um die Kosten der Kapitalhaltung für die Banken zu begrenzen. Von den neuen Kapitalanforderungen kann ein substanzieller Teil in sogenannten Cocos – Contingent Convertible Bonds – gehalten werden. Deren Kapitalkosten sind für die Banken deutlich geringer als bei normalem Aktienkapital. Die Credit Suisse hat kürzlich erfolgreich Cocos platziert – ein schöner Beweis, dass ein Markt dafür existiert.Herr Grübel bezeichnet die Cocos im besagten Interview als «sehr gefährlich». Da sich Cocos von Fremdkapital automatisch in Aktienkapital umwandeln, wenn die Bank in Not gerät, befürchtet Grübel eine Abwärtsspirale: Schwächelt die Bank, steigen die Aktionäre aus, weil sie eine Verwässerung des Eigenkapitals durch die Cocos befürchten. Was sagen Sie dazu? Ich teile diese Auffassung nicht. Aktienkurs und Aktienkapital sind zwei verschiedene Dinge. Wenn eine Bank in Not gerät und Cocos in Aktienkapital umgewandelt werden müssen, ist es ordnungspolitisch korrekt, dass die Aktionäre über eine Verwässerung einen wesentlichen Teil der Verluste zu tragen haben. Gleichzeitig wird durch die Umwandlung die Kapitalsituation der Bank gestärkt und das Risiko für die Einleger und andere Gläubiger verringert. Das wirkt stabilisierend auf die Bank selber und auf das gesamte Finanzsystem. Das Management kann mit einer vorsichtigen Geschäftspolitik dafür sorgen, dass das mit der Umwandlung verbundene Verwässerungsrisiko reduziert wird. Diese Anreizstruktur ist erwünscht, weil sie die Marktdisziplin fördert.Muss unser Finanzplatz für mehr Stabilität den Preis bezahlen, dass Teile des Bankgeschäfts ins Ausland verlagert werden, weil sie mit den schärferen Vorschriften in der Schweiz nicht mehr rentieren? Da gilt es erst ein Missverständnis auszuräumen: Solange eine Bank ihren Hauptsitz in der Schweiz hat, gelten die hiesigen Kapitalvorschriften für den gesamten Konzern. Die Auslagerung eines Geschäftsteils allein bringt den Banken also keine Erleichterung. Was die Kapitalvorschriften des «Too big to fail»-Gesetzes aber sehr wohl bewirken: Geschäftsmodelle, die auf die reine Ausweitung der Bilanz ausgerichtet sind, lassen sich aus der Schweiz heraus kaum mehr attraktiv betreiben.Die kumulierten Bilanzsummen von UBS und Credit Suisse entsprechen derzeit ungefähr dem Fünffachen der Schweizer Wirtschaftsleistung. Ab welcher Grösse wäre das Risiko für die Schweiz einigermassen erträglich? Das lässt sich nicht exakt beantworten. Darum hat die Expertenkommission «Too big to fail» auch keine expliziten Grössenvorschriften vorgeschlagen. Stattdessen haben wir uns auf ein Konzept verständigt, das die Kapitalanforderungen progressiv mit der Grösse der Bank anhebt. So hat die Bank einen Anreiz, nicht übermässig zu wachsen. Wenn sie dies dennoch will, muss sie überproportional mehr Kapital halten. Die Banken müssen sich nun überlegen, wie sie innerhalb dieses neuen Regulierungsrahmens ein vernünftiges Geschäftsmodell aufbauen wollen. Die weltweite Nummer eins im Investmentbanking zu werden, dürfte unter diesen Vorgaben kaum die attraktivste Idee sein.Grübels Chef, Kaspar Villiger, hat an die Politik appelliert, sie solle den Krisenmodus allmählich beenden. Wie kommt das bei Ihnen an? Es geht bei den Regulierungen, auch beim «Too big to fail»-Paket, weder um Schuldzuweisungen noch um Abstrafungen. Das grösste Risiko für den Finanzplatz Schweiz sehe ich darin, dass wir ein Ereignis wie im Herbst 2008 mit der UBS noch einmal erleben. Das müssen wir unter allen Umständen vermeiden.Zum Ende des Krisenmodus könnte gehören, dass die Nationalbank die von der UBS übernommenen toxischen Papiere zurückverkauft. Laut Vereinbarung hat die UBS grundsätzlich die Möglichkeit, den StabFund nach vollständiger Rückzahlung des Darlehens zurückzukaufen. Derzeit besteht jedoch ein klares Einverständnis zwischen der Nationalbank und der UBS, dass ein Rückkauf der toxischen Papiere kein Thema ist und auch nicht ansteht.Weshalb nicht? Es gibt keinen Grund, den Rückkauf zu forcieren. Der Stabilisierungsfonds als Gesellschaft funktioniert sehr gut. Deshalb macht es mehr Sinn, die Abwicklung der Aktiven innerhalb der jetzt gewählten Form voranzutreiben.Somit muss die UBS weiter mit dem Makel der Staatshilfe leben Niemand verwendet den StabFund als Druckmittel. Der Fonds wurde geschaffen, um die Stabilität des Finanzplatzes in einer äusserst schwierigen Situation sicherzustellen. Die ganze Übung läuft bisher ausgezeichnet.Kann man daraus schliessen, dass die Nationalbank den StabFund bis zu seinem Ende abwickelt? Ich kann Ihnen keine Antwort für alle Ewigkeit geben. Im Moment besteht kein Grund, hier etwas zu ändern.