«Bund im Gespräch» im Liveticker«Neutralität wird oft mit Gleichgültigkeit verwechselt»
Wieso liefert die Schweiz keine Waffen in die Ukraine? Und ist die Neutralität reine Bequemlichkeit? Bundesrat Ignazio Cassis hat im «Bund» im Gespräch dazu Stellung genommen.
«Ich habe schon immer kritisch gedacht und habe auch immer kritisch über die ukrainische Regierung gedacht», sagt Pivovar. Selenskyj solle in der aktuellen Situation mehr bitten statt verlangen. Sie wünscht sich zudem, dass Geflüchtete, die in der Ukraine geblieben sind, besser vom Staat unterstützt werden. In der Schweiz seien die Verhältnisse viel besser.
In Bern hat Pivovar auch viele Landsleute getroffen. Viele seien sehr motiviert eine Arbeit zu finden. Andere würden viel meckern. «Von diesen distanziere ich mich aber.» Sich zu integrieren sei auch deshalb wichtig, um sich nicht einsam zu fühlen. Pivovar fühlt sich inzwischen wie Zuhause in Bern. Sie wohnt in Ostermundigen mit ihrer Familie. Doch auch dort ist der Krieg ein Thema. «Wenn meine Tochter schläft oder nicht zuhause ist, telefoniere ich mit meinen Verwandten. Ich mache mir grosse Sorgen und schaue ständig auf mein Handy.»
«Ich hatte Angst, dass in der Schweiz alles sehr teuer ist.» Doch auch von der Sprachbarriere hatte sie Respekt. «In Deutschland wurde gesagt, dass in der Schweiz schreckliches Deutsch gesprochen wird.» Das habe sich aber nicht bewahrheitet. «Berndeutsch mag ich sogar sehr gerne.» Das Leben in der Schweiz schätzt sie. «Zum Beispiel ist hier die Korruption nicht überall zu spüren.»
«Ich habe per SMS vom Kriegsbeginn erfahren.» Das sei ein Schock gewesen. Pivovar hat ihre Mutter gefragt, was sie machen solle, da sie schon Erfahrungen im Krieg gesammelt hat. «Sie hat schon alle möglichen Szenarien wie Luftangriffe erlebt.» Ihre Mutter habe ihr dann gesagt, das sei bloss Politik und es werde nicht weiter eskalieren. «Wir sind dann aber doch bald nach München zu Freunden gefahren. Meine Mutter hat wohl auch ein schlechtes Gefühl.»
«Vor einem Jahr war ich viel mutiger, als heute», sagt Pivovar. Auch materielle Dinge haben für sie an Wichtigkeit verloren. «In der Ukraine habe ich Monate für einen neuen Fernseher gespart. Heute ist es mir egal, was für ein Gerät im Wohnzimmer steht.» Sie wolle sich mehr an der Lebensart der Schweizerinnen orientieren. «Einfach kein Stress.»
«Vor einem Jahr hätte ich nie gedacht, dass ich einmal in der Schweiz lebe», sagt Pivovar. Doch auf einmal habe sich alles verändert. Was geht ihr durch den Kopf, wenn sie solche Bilder wie vom gezeigten Video sieht? «In den letzten Monate habe ich versucht, mich vom Krieg zu distanzieren.» Sie wolle nicht, dass ihre kleine Tochter zu viel davon zu sehen bekommt. Doch dieses Video haben sie zusammen geschaut. Im Video kommen auch viele Städte vor, die Pivovar besucht hat. «Es ist sehr schmerzhaft, diese schönen Städte zerstört zu sehen.»
Millionen von Menschen sind direkt betroffen, sind auf der Flucht. Eine von ihnen ist Yulia Pivovar. Seit bald einem Jahr lebt sie in Bern und redet nun über ihre Erlebnisse in der Schweiz. Das Interview führt Bern-Redaktorin Simone-Klemenz.
Jacobi zum Video: «Als ich dieses Video zum ersten Mal gesehen habe, war ich überrascht, wie emotional ich reagierte, und ich realisierte, dass ich seit einiger Zeit versuche, diesen Bildern aus dem Weg zu gehen. Weil sie zu erschütternd sind. Aber wir müssen diese Bilder ansehen.»
Doch bevor es zur Aussenpolitik geht, gibt es einen kleinen Ausflug in die Kunstwelt. Es wird ein Video vom Multimedia-Künstlers Cee-Roo. Der junge Bieler hat eine eindrückliche Monatge gemacht mit Bildern aus den ersten Kriegsmonaten. Es zeigt, wie sich speziell jüngere Menschen mit dem Ukraine-Krieg auseinandersetzen und dem Leid.
«Bund»-Chefredaktorin Isabelle Jacobi begrüsst das Publikum und stimmt auf den Abend ein. Der thematische Ausgangspunkt ist der Krieg in der Ukraine. Es ist fast ein Jahr her, seit dem völkerrechtswidrigen russischen Angriff.
«Der 24. Februar 2022 war eine Zäsur in der Weltgeschichte», sagt Jacobi. Das Ende des Kriegs mitten in Europa ist nicht abzusehen, und die Folgen sind auch für die Schweiz spürbar. Existenzielle Fragen stehen im Raum, unter anderem ist die schweizerische Neutralität stark unter Druck geraten.
«Bund» im Gespräch meldet sich zurück. Und das mit einigen Erneuerungen. So findet der Traditions-Talk nicht mehr im Hotel Bellevue statt, sondern wird nun im Konzertsaal vom Bierhübeli durchgeführt.
Zudem sorgen wir bei der Premiere an neuem Ort für ein spannendes Rahmenprogramm. Bevor das Gespräch mit zwischen «Bund»-Chefredaktorin Isabelle Jacobi und Bundesrat Ignazoi Cassis beginnt, befragt Bern-Redaktorin Simone Klemenz die ukrainische Geflüchtete Yuliya Pyvovar zu ihrem neuen Leben in der Schweiz.
Damit ist das Thema des Abends bereits gesetzt. Der Krieg in der Ukraine dauert nun fast ein Jahr. Global entstehen neue Machtblöcke. Was bedeutet die «Zeitenwende» für die Schweiz? Hat unsere Neutralität Zukunft? Oder isolieren wir uns im falschen Moment? Auf die Antworten von Aussenminister Cassis darf man gespannt sein.

Fehler gefunden?Jetzt melden.