Wie man am besten Geld vernichtet
Die Finanzkrise ist eine monströse Geldvernichtungsmaschine: Schon über 20 Billionen Dollar soll sie verschluckt haben. Schaut man allerdings ein wenig genauer hin, merkt man, dass es gar nicht so einfach ist, Geld zu verbrennen. Ausser man nimmt es wörtlich.
Schlagzeile diese Woche auf dem «Bund»-Onlineportal: «Englische Topbanker entschuldigen sich für Krise: ,Wir haben viel Geld vernichtet.‘» Vernichtet? In den Ofen gesteckt, in Flammen aufgehen lassen, durch den Schredder geschickt? Nichts dergleichen, und folgerichtig haben sie sich auch nicht ganz so geäussert – da hat ein Redaktor bei der Übersetzung ein wenig nachgeholfen. Entschuldigt haben sich die Manager tatsächlich, aber nicht dafür, Geld «vernichtet», sondern dafür, «eine Menge Geld verloren zu haben».Es ist ein kleiner, aber nicht unwesentlicher Unterschied. Denn es passiert dieser Tage leicht, dass Geld verloren geht (eine lässliche Sünde – mal gewinnt, mal verliert man). Geld zu vernichten jedoch ist von anderem Kaliber. Und es ist auch nicht ganz so einfach; manche Experten behaupten sogar, es sei so gut wie unmöglich. Der Wirtschaftsjournalist René Zeyer, der soeben den Bestseller «Bank, Banker, Bankrott. Storys aus der Welt der Abzocker» veröffentlicht hat, schrieb kürzlich: «Wie konnte es so weit kommen, dass ein paar Finanzakrobaten weit über 1000 Milliarden Dollar verrösten konnten, ohne auch nur den kleinsten Rauch aufsteigen zu lassen? Interessanterweise darum, weil nichts verbrannt wurde. (...) Denn man muss sich immer vor Augen halten: Geld verschwindet nicht, wird auch nicht vernichtet (ausser durch eine galoppierende Inflation), sondern umverteilt. Hat einer weniger, hat ein anderer mehr; so einfach ist das mit dem Geld.»Ähnlich klang es im November in der «Zeit»: «Wo ist das Geld geblieben?», fragte das Blatt in einem Dossier, um gleich im Lead zu antworten: «Die Milliarden sind nicht verschwunden – sie werden gerade neu verteilt.» Und weiter unten im Text: «Auf der Suche nach dem Geld wird sich zeigen, dass es selten dauerhaft verschwindet und noch seltener verbrennt. Dass es aber ziemlich oft den Besitzer wechselt. Wo also steckt das Geld?»Ja, wo bloss? Der Wirtschaftsprofessor Manfred Gärtner von der Uni St. Gallen ist da auch nicht so sicher. Zunächst einmal plädiert er für eine Begriffsklärung: Oft meinten wir, wenn wir von Geld reden, eigentlich Vermögen. Wenn Zertifikate irgendwelcher Art an Wert verlieren, weil es «Präferenzveränderungen» gegeben hat, dann geht Vermögen verloren, nicht Geld. «Wenn wir», sagt Gärtner, «zum Beispiel plötzlich der Ansicht wären, es sei viel schöner, in Höhlen zu wohnen, dann wären Häuser nichts mehr wert.» Bei der derzeitigen Krise sieht aber auch er nicht in erster Linie solche Präferenzveränderungen als Ursache. «Das Geld ist nicht verschwunden. All die Häuser beispielsweise sind ja tatsächlich gebaut worden.» Deshalb sieht er auch verschiedene Gewinner: Leute, die die faulen Wertpapiere im richtigen Moment verkauft haben, all die Investmentbanker, die Provisionen aus den windigen Geschäften gezogen haben, und nicht zuletzt die Bauunternehmer.Vermögen zu vernichten geht also relativ leicht – beim Geld ist das schon schwieriger. Aber auch da gibt es Mittel und Wege. Am einfachsten und gleichzeitig effektivsten lässt sich die Geldvernichtung per Streichholz bewerkstelligen. Auf eindrückliche Weise vorgemacht hat das vor gut fünfzehn Jahren die englische Künstlergruppe K Foundation. Hinter der Gruppe stecken die beiden Musiker Bill Drummond und Jimmy Cauty, die Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre als The KLF die Hitparaden gestürmt hatten. 1992 hatten die beiden allerdings genug vom Musikbusiness und beendeten ihre Karriere. Damit nicht genug, den beiden Musikern, die fortan mit Kunstaktionen auf sich aufmerksam machten, stand der Sinn offenbar nach einer radikaleren Abkehr vom Musikgeschäft. Sie wollten den gesamten Profit, den ihnen ihre vielen Hits eingebracht hatten, wieder loswerden. Und zwar nicht, indem sie ihn verschenkten, einem guten Zweck zukommen liessen oder ihn einfach aus dem Fenster warfen. Sie beschlossen, das Geld abzuheben und es dann zu verbrennen. Eine Million Pfund. Geldvernichtung ganz konkret.Es gibt ein wackliges Video der Aktion. Eine gefühlte Ewigkeit lang werfen die beiden Künstler kleine Bündel 50-Pfund-Noten in einen Kamin, wo ein Feuer gemütlich prasselt. Sonst ist es dunkel im Raum, viel ist nicht zu erkennen, es dürfte sich wohl um eine einfache Scheune handeln, irgendwo in England. Manchmal wirbelt ein angebrannter Schein durch die Luft, und jemand wühlt mit einem Pflock in der Glut. Hin und wieder macht jemand einen Witz, und es wird gelacht. Sonst wird wenig gesprochen.Auch später haben Bill Drummond und Jimmy Cauty nicht viele Worte über die Aktion verloren. Es gab Pressekonferenzen, an denen die beiden fast schon aufreizend naiv aufgetreten sind – sie hatten keine eloquenten Statements parat, kein antikapitalistisches Manifest, in dem sie unsere Abhängigkeit vom Monetären angeprangert, keine Verteidigungsrede, in der sie ihr Recht behauptet hätten, mit ihrem Eigentum anzufangen, was ihnen beliebt. Die Öffentlichkeit war konsterniert, und je länger die Aktion zurücklag, desto mehr schienen es die beiden Künstler auch. In einem Dokumentarfilm, der die Geschehnisse zwei Jahre später aufrollt, wird auch die grosse Frage nach dem Warum gestellt. Die Künstler ringen nach Antworten («ich weiss auch nicht genau, warum wir es getan haben»), aus ihren Worten wie aus ihren Gesten spricht Schuldbewusstsein. Die Geldverbrennung kommt nicht konkret zur Sprache – weiss man nicht, worum es geht, muss man den Eindruck gewinnen, die beiden seien Schwerverbrecher und sprächen über eine im Affekt verübte Tat.Eigentlich hätten wir diesen Text gern mit einem Bild des brennenden Geldes illustriert. Drummond war auf Anfrage zunächst auch gern bereit, ein Bild zur Verfügung zu stellen. Doch dann meldete er sich nicht mehr, und nach mehrmaligem Nachhaken liess er uns wissen, dass wir die Bilder nun doch nicht bekommen würden. Sie hätten damals viel Ärger gehabt und wollten lieber nicht, dass die Sache noch einmal Aufmerksamkeit errege. Es gibt noch einen Musiker, der leidenschaftlich gern (und üblicherweise mit mehr Souplesse als das KLF-Duo) auf der Klaviatur der Provokation spielte: Serge Gainsbourg. Einmal hat er Whitney Houston vor laufender Kamera ein ebenso ordinäres wie explizites Angebot gemacht, und auch das Geld-Tabu hat der grosse Provokateur nicht ausgelassen. Zur Illustration der Steuerlast in Frankreich zündete er 1984 in einem Fernsehinterview einen 500-Francs-Schein an. Das mit Whitney Houston war schon ein ziemlicher Skandal, aber es ging um Sex, da reagierten die Franzosen noch halbwegs belustigt. Bei der verbrannten Banknote aber verstanden sie keinen Spass mehr – Gainsbourg musste froh sein, dass er nicht verklagt wurde für seine Mammon-Blasphemie. Tatsächlich war das Verbrennen von Geld in Frankreich damals noch verboten – heute gibt es keinen solchen Paragrafen mehr. Anders in Belgien, dort wird, wer Geld «beschädigt oder verschmutzt» und so dessen «Gebrauch als Zahlungsmittel erschwert», mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder einer Busse bestraft. In der Schweiz ist man da liberaler: «Prinzipiell können Sie mit Ihren Banknoten machen, was Sie wollen», sagt Hans Kuhn, der Leiter des Rechtsdienstes bei der Nationalbank. Ethisch hingegen, schiebt er gleich nach, «ist das extrem verwerflich». Damit bringt er so etwas wie eine Ur-Abscheu zum Ausdruck, ein instinktives Verbot.Wenig ist mit einem so klaren Bann belegt wie die vorsätzliche Vernichtung von Geld. Aber warum? Geht es tatsächlich um all das Gute, was man mit dem Geld hätte anstellen können? Ist Geldvernichtung ein indirektes Vergehen gegen die Hilfsbedürftigen? Das wäre die praktisch-moralische Seite. Vielleicht lohnt sich aber auch der tiefenpsychologische Blick: Kann unsere reflexartige Abscheu vor einer solchen Tat unsere Beziehung zum Geld erhellen? Wenn Geld durch unkluges Wirtschaften verloren geht, dann reagieren wir nicht allzu heftig – das gehört zum Lauf der Dinge. Und noch wichtiger: Das Geld ist ja nicht verloren, es bleibt im Wirtschaftskreislauf. Es ist wie am Pokertisch: Einer spielt schlecht, verliert seine Chips und muss schliesslich vom Tisch. Sein Verlust aber ist der Gewinn der anderen: Die Chips landen nicht im Schredder, sie bleiben alle immer schön im Umlauf.Wenn hingegen jemand Geld verbrennt, dann entzieht er es dem Wirtschaftskreislauf, dann sorgt er gewissermassen für einen monetären Aderlass. Das empfinden wir als Frevel, als unnatürliche, fast schon perverse Tat. Und das gilt sogar, wenn wir wissen, dass es unabdingbar ist. An der Expo.02 wurden in der von der Nationalbank eingerichteten Ausstellung «Geld und Wert – Das letzte Tabu» von einem stoischen Roboter fast 30 Millionen Franken geschreddert – Banknoten, die ohnehin aus dem Verkehr gezogen und vernichtet worden wären, allerdings im Verborgenen, irgendwo in einem Keller der Nationalbank. Auch diese Ausstellung sorgte erwartungsgemäss für einen Skandal; diesmal allerdings nährte er sich vor allem aus der öffentlichen Inszenierung einer offenbar als ungehörig empfundenen Tatsache: die Geldvernichtung als Obszönität.Verglichen mit den Summen, die sich derzeit an den Börsen in Luft auflösen, sind die paar Bündel, die im Namen der Kunst vernichtet worden sind, natürlich nicht der Rede wert. Der Geldvernichtung an den Finanzplätzen wohnt aber etwas Irreales inne, es geht um Zahlenspiele, nicht um materielle Vernichtung. Der Skandal ist aber ohnehin ein anderer: Es geht eben nicht um vernichtetes Vermögen, sondern um umverteiltes Geld. Um Finanzlöcher, die gewiefte Banker ausgehoben haben und die nun mit Steuergeldern gestopft werden müssen. Es geht nicht nur um bedauernswerte Verlierer, sondern auch um klammheimliche Gewinner. Man sollte also aufhorchen, wenn Finanzakteure von «Geldvernichtung» reden: Es könnte sein, dass sie damit von ihrer persönlichen Geldvermehrung ablenken wollen.
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