Briefmarke zum Weltjugendtag in PortugalWie der Papst beinahe zum Kolonialisten wurde
Der Vatikan zieht eine Briefmarke zum Weltjugendtag in Lissabon zurück. Denn sie zeigt das Kirchenoberhaupt auf einem Nationaldenkmal – anstelle eines Sklavenhändlers.

Es hätte ein gutes Motiv sein können: Papst Franziskus, wie er dynamisch, das rechte Bein vorangestellt, mit dem Arm in die Ferne weisend eine Gruppe gut gelaunter Kinder anführt. Den Blick hält der Papst auf den Horizont gerichtet, die linke Hand gestützt auf die Ferula, den Stab mit dem Kreuz. Die Kinder hinter ihm stammen augenscheinlich aus allen Teilen der Welt, eines schwenkt eine portugiesische Flagge, ein anderes rennt mit einem Ball hinterher.
Es ist eine lustige Schar, die der italienische Illustrator Stefano Morri da rund um das Kirchenoberhaupt gezeichnet hat. Morri hat schon öfter Briefmarken entworfen, für den Vatikan, auch für das Fürstentum Monaco oder für die Republik San Marino. Diesmal allerdings hat sich Morri ungeschickt angestellt, so die einhellige Meinung vieler Portugiesen.
Kritik des portugiesischen Bischofs im Vatikan
«Äusserst geschmacklos» nennt etwa Carlos Moreira Azevedo das Motiv der Briefmarke. Azevedo ist portugiesischer Kurienbischof im Vatikan und Delegat des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften.
Ihn hatte offenbar niemand gefragt, als es darum ging, vor dem Weltjugendtag Anfang August in Lissabon eine Briefmarke herauszubringen. Azevedo hätte vermutlich von diesem Motiv abgeraten. Denn Illustrator Morri inspirierte sich, der Gedanke liegt nahe, an einer der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der portugiesischen Hauptstadt: dem Padrão dos Descobrimentos, dem Denkmal der Entdeckungen. Es steht im Stadtteil Belém, unweit des Hieronymitenklosters (ein weiterer Touristenmagnet), am Ufer des Tejo.
«In einem achtbaren Land müsste man das Denkmal eigentlich zerstören.»
Was weder dem Illustrator noch seinen Auftraggebern im Vatikan bewusst gewesen sein dürfte: Das Denkmal der Entdeckungen gilt im heutigen Portugal als durchaus kontrovers.
Vor zwei Jahren erst erregte der streitbare sozialistische Abgeordnete Ascenso Simões Aufmerksamkeit, indem er forderte, das riesige Monument zu schleifen. «In einem achtbaren Land müsste man das Denkmal eigentlich zerstören», sagte Simões und löste damit eine Debatte aus. Diese flammte kurze Zeit später erneut auf, als im Sommer 2021 der Sockel des Monuments von einem Graffito verunziert wurde: Ist der heutigen Jugend denn nichts mehr heilig?

Aus Sicht der Kritiker ist das Denkmal der Entdeckungen ein Beispiel für einen höchst fragwürdigen Umgang mit Portugals kolonialer Vergangenheit. Das Werk zeigt unter anderem Eroberer und Missionare wie Ferdinand Magellan, Vasco da Gama, Francisco de Xavier oder Pedro Álvares Cabral, den Entdecker Brasiliens. Allen voran steht Heinrich der Seefahrer, als Auftraggeber der Entdeckungsreisen mitverantwortlich für die weltverändernden europäischen Expansionsbestrebungen – und für das Leid, das sie in den Kolonien auslösten.
Heinrich der Seefahrer oder Infante Dom Henrique, wie er in Portugal heisst, war insbesondere für Diktator António de Oliveira Salazar ein Nationalheld, den es zu ehren galt. Salazar liess das monströse Bauwerk 1960, zum 500. Todestag Heinrichs, errichten. Es sollte an die Zeit erinnern, als Portugal noch Weltmacht war, und einen Stolz hochhalten, den das Regime des Estado Novo, des Neuen Staates, aus der Kolonialgeschichte des Landes abzuleiten versuchte.
Portugal arbeitet seine Kolonialgeschichte auf – dem Premier zum Trotz
An die Stelle ebenjenes Nationalhelden Heinrich nun setzte der italienische Illustrator den Papst, ausgerechnet. Nach Ansicht von Kurienbischof Carlos Azevedo identifiziere sich «Papst Franziskus sicherlich nicht mit diesem nationalistischen Bild», schliesslich widerspreche es «der universellen Brüderlichkeit». Immerhin stammt der argentinische Papst selbst aus der Neuen Welt.
Bei «Vatican News» hatte es über die neue Briefmarke noch geheissen, der Papst führe darauf junge Menschen auf dem Boot des Petrus stehend, «so wie Heinrich der Seefahrer seine Mannschaft bei der Entdeckung der Neuen Welt angeführt» habe. Wenig kritisches Geschichtsbewusstsein also auch hier.
Es ist die Geschichte eines Missverständnisses, das indes in Portugal auf wenig Nachsicht stösst. Anders als etwa Spanien ist Portugal bei der Aufarbeitung seiner kolonialen Vergangenheit bereits weit vorangekommen. Angetrieben wird der Diskurs nicht zuletzt von Portugiesinnen und Portugiesen, die selbst aus den ehemaligen Kolonien stammen und sich nun in Nichtregierungsorganisationen und Verbänden engagieren.
Wobei das nicht für alle gilt: Auch die Familie von Premierminister António Costa stammt aus einer ehemaligen Kolonie, aus Goa. Costa selbst allerdings betont stets, dass seine Herkunft keine Rolle spiele. Er gehört damit zu einer anderen Generation als die Aktivisten, die sich nun über die päpstliche Briefmarke beschwerten.
Der Vatikan hat auf ihre Kritik prompt reagiert: Die Briefmarke wurde aus dem Verkehr gezogen, nachdem sie vorige Woche erst präsentiert worden war. Portugiesische Medien berichten, dass bald ein neues Motiv erscheinen soll.
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