Wer trägt Mitschuld am falschen Doktortitel?
Annette Schavan steht nicht alleine da: In Deutschland wird mittlerweile regelmässig Politikern der Doktortitel aberkannt. Dahinter steckt System, wie die Debatte zeigt.
Die deutsche Bildungsministerin Annette Schavan erlebt eine peinliche öffentliche Demontage: Nach nicht versiegen wollenden Plagiatsvorwürfen hat der Fakultätsrat der Universität Düsseldorf entschieden, der Christdemokratin den Doktorgrad zu entziehen. Gegen das Verdikt zieht Schavan vor Gericht, und eine Demission von ihrem politischen Amt – wie sie von der Opposition gefordert wird – lehnt sie bislang ab. Schavans akademische Fehlleistung reiht sich zwar ein in eine Kaskade ähnlich gelagerter Fälle von prominenten Politikern, denen der Doktortitel entzogen wurde. Aber die Häme in Deutschland ist jetzt umso grösser, als ausgerechnet die Bildungsministerin unlauterer wissenschaftlicher Methoden überführt wurde.
Über den anfänglich selbstgerechten Spott der deutschen Öffentlichkeit spannt sich nun jedoch eine breitere Debatte über die Standards wissenschaftlichen Arbeitens. Und die ist insofern von grösserer Tragweite, als sie Missstände und Fehlleistungen an deutschen Universitäten entblösst: Landauf, landab sind sich die Kommentatoren einig, dass Doktorväter und Universitäten eine Mitverantwortung an den Arbeiten ihrer Doktoranden tragen – eine Verantwortung, die allerdings gerne verschwiegen werde, urteilt «Die Welt».
Zahlreiche Beteiligte
Konkret braucht es – und das ist in der Schweiz nicht anders – für die Entstehung einer Doktorarbeit neben dem Aspiranten mindestens einen Doktorvater oder eine Doktormutter. Daneben ist ein Zweitgutachter sowie bei Zweifeln ein Drittgutachter involviert. Zudem wird die Dissertation wochenlang im Dekanat ausgelegt, sodass sich jedes Fakultätsmitglied mit der Arbeit befassen kann – zumindest theoretisch. Nicht zuletzt sollte auch der Dekan das Verfahren begleiten und einen Blick ins Manuskript werfen. Insofern ergibt sich für die dem Doktoranden fachlich nahestehenden Fakultätsmitglieder eine «moralische Mithaftung», wie die «Welt» findet. Und auch die «Süddeutsche Zeitung» verweist darauf, dass die Universität Düsseldorf mit ihrem Entscheid verschleiere, mit welcher Nachlässigkeit in ihrer Philosophischen Fakultät geforscht und gelehrt wurde.
Dass die theoretischen Kontrollmechanismen faktisch nicht selten versagen, wurde bereits im Fall Guttenberg, dem ehemaligen deutschen Verteidigungsminister, offenkundig: Sein Betreuer hatte ihm das Megathema eines Vergleichs von europäischem mit amerikanischem Verfassungsrecht anvertraut. «Die Überforderung lag also bereits im Ansatz und hätte auf ein zuträgliches Mass reduziert werden sollen», so die «Welt».
Zu vages Thema
Das gilt auch im Fall Schavan. Das Thema ihrer Dissertation lautete «Person und Gewissen». Doch auch der Untertitel, für gewöhnlich eine klare Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands, vermochte nicht zu konkretisieren: «Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung». Wer mit wissenschaftlichem Arbeiten vertraut ist, der weiss, dass weniger mehr ist, denn bereits in vermeintlich eng eingegrenzten Themengebieten tun sich grosse Fragen auf. Ein solches Dissertationsthema sei vage und setze viel Können voraus, um nicht an der schieren Grösse zu scheitern, schreibt denn auch die «Süddeutsche».
Doch Pädagogikprofessor Gerhard Wehle, Schavans damaliger Doktorvater, hatte sie nicht davor gewarnt. Und dieser war letztinstanzlich verantwortlich für die Wahl des Gegenstands. Wehle sieht den Sachverhalt anders: Noch im Herbst 2012 hatte er die umstrittene Dissertation als beachtliche Arbeit bezeichnet. Sie habe dem damaligen wissenschaftlichen Standard entsprochen, wurde er in der «Rheinischen Post» zitiert.
Das lässt man in Deutschland nicht gelten: Eine unselbstständige Arbeit sei schon in den 80ern eine solche gewesen, so die «Süddeutsche». Und dass ihre Arbeit in einigen Teilen aus Wiedergaben fremder Standpunkte besteht, hätte dem Betreuer auffallen müssen. Und wenn nicht, dann einer der weiteren involvierten Instanzen.
Doktoranden keine Einzelkämpfer mehr
Wie soll also die Flut fragwürdiger Doktortitel in Deutschland eingedämmt werden? Der Zugang zum Titel sollte erschwert werden – so wie es im angelsächsischen Raum längst üblich ist, fordert etwa «Spiegel online». In Deutschland werde geradezu inflationär promoviert; entsprechend gross sei die Zahl schlechter Doktorarbeiten. Gemessen an ihrer Kapazität würden die Professoren zudem zu viele Doktoranden ausbilden. Fehlende Innovationsleistung zu verhindern, sei schliesslich besser möglich, wenn Professoren einen oder zwei Studenten betreuten – wie in Grossbritannien – anstatt zehn bis 20 wie in Deutschland. Zahlen belegen den Missstand: Während in Grossbritannien gemäss «Spiegel online» jährlich 15'000 Promotionen abgeschlossen werden, sind es in Deutschland deren 23'000.
Wie es um das Betreuungsverhältnis an Schweizer Universitäten steht, lässt sich gemäss Beat Müller, Medienbeauftragter der Universität Zürich, nicht mit einer Zahl beziffern: Die Quoten würden lediglich an den einzelnen Lehrstühlen erhoben, sagt er gegenüber Redaktion Tamedia. Allerdings handle es sich heutzutage bei Doktoranden nicht mehr um Einzelkämpfer: Häufig seien sie in sogenannte Graduate-Programme eingebunden, bei denen sie an verschiedenen Veranstaltungen teilnehmen und so auch den Austausch mit anderen Doktoranden pflegen könnten.
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