Wer hier den Finger am Abzug hat
Waffen, Pokale und andere Staubfänger: Das Schützenmuseum Bern hat nicht den allergünstigsten Ruf. Dabei steckt in so manchem Exponat eine tolle Geschichte. Wie jene von Fräulein Knecht.
Die vier Köpfe aus Stein, die aus der Fassade an der Bernastrasse ragen, muten ein wenig an wie Elch- oder Hirschtrophäen, die sich der erfolgreiche Jäger an die Wand hängt. Dabei sind es verdiente Präsidenten des Schweizerischen Schützenvereins. Und dabei hat dieses Haus, das mitten in Berns Museumsviertel gelegen ist und im Vergleich zu den grossen Institutionen doch etwas abseits steht, nichts mit Jagd zu tun. Erstens. Und es ist, zweitens, auch kein Waffenmuseum, klärt Leiterin Regula Berger drinnen im Foyer auf. Und, drittens, auch kein Militärmuseum.
Um Bräuche und Traditionen gehe es, um politische und gesellschaftliche Entwicklungen; man könne auch von einem Sportmuseum sprechen. Auch wenn das Schützenwesen, das hier dokumentiert wird, in seiner Geschichte nicht von der Wehrpflicht zu trennen ist. «Eine so ausgeprägte Schiesskultur wie in der Schweiz ist einmalig, das hat auch mit der allgemeinen Wehrpflicht zu tun», so Berger.
Schriftlich erwähnt sind Schiessgesellschaften schon im Mittelalter. Damals ging es um Fertigkeiten, die man für die Jagd oder die Verteidigung einübte, aber auch um Geselligkeit. Der grosse Aufschwung kam im 19. Jahrhundert, als sich die grossen, nationalen Schützenfeste etablierten und der Eidgenössische Schützenverein gegründet wurde (heute heisst er Schweizer Schiesssportverband; er finanziert den Museumsbetrieb massgeblich).
Auf dem Rundgang passieren wir im Treppenhaus eine Parade von Pfeilbögen, Armbrüsten und Gewehren. Da hängen auch schön dekorierte Zielscheiben, die zu festlichen Anlässen verwendet wurden, etwa an Hochzeiten oder Bischofsweihen – geschossen wurde dann auf den gemalten Bischofshut respektive das auf der Scheibe abgebildete Brautpaar. Nicht besser erging es dem heiligen Sebastian, der als früher Christ von Pfeilen numidischer Bogenschützen durchbohrt wurde, was ihm immerhin den Status als Schutzpatron der Schützen einbrachte. Sein malträtierter Körper steht als Statue hinter Glas, neben ihm Wilhelm Tell: der zweite, etwas naheliegendere Schutzpatron.
Vitrine an Vitrine
Im ersten Stock macht Regula Berger auf eine Abbildung von 1885 aufmerksam. Sie zeigt das Festgelände des 31. Eidgenössischen Schützenfests in Bern – es fand an dem Ort statt, an dem wir uns gerade befinden. Die Kirchenfeldbrücke war eben fertiggestellt worden; mit Ausnahme von zwei Häusern war das Gebiet noch unbebaut. Wie ein grosser Rummelplatz breitete sich die immense Fest-Anlage aus, die im Übrigen fast gleich viel gekostet hat wie später der heutige Museumsbau. Anlässlich dieses Schützenfests 1885 wurde die erste «Schützenstube» eingerichtet, in der man Schützentrophäen zeigte. Zuerst an der heutigen Kochergasse gelegen, zog die Sammlung 1894 zwischenzeitlich ins Historische Museum und 1939 schliesslich an den aktuellen Standort.
Viel scheint sich seither nicht verändert zu haben, es reiht sich Vitrine an Vitrine, darin sind Dutzende, ja Hunderte von Bechern, Pokalen, Medaillen, die sich gegenseitig die Schau stehlen. Das Ausstellungskonzept müsse modernisiert werden, aber ohne dass dem Museum sein nostalgischer Charme abhandenkomme, sagt Regula Berger, die erst im Februar ihre Stelle antrat. Zuvor war die 39-Jährige Kuratorin im Kunstmuseum gewesen, noch vorher Rechtsanwältin, und mittlerweile ist sie ausserdem diplomierte Museumswissenschaftlerin.
Manchen ihrer Bekannten, sagt Berger lachend, stünden Fragezeichen ins Gesicht geschrieben, wenn sie erzähle, dass sie jetzt im Schützenmuseum arbeite. «Ich hatte zuvor keinerlei Bezug zum Schiesswesen, kein einziges Mal selber geschossen.» Aber, aller Vorurteile zum Trotz: Hier habe sie Freiheiten, die sie sonstwo nicht hätte. Und könne versuchen, den Objekten ihre einzigartigen Geschichten zu entlocken. «Ich kann hier einen Fingerabdruck hinterlassen.»
Apropos Fingerabdruck: Nun geht es in den zweiten Stock, und da kann tatsächlich geschossen werden – auf einer Luftgewehranlage für Kinder. Ab 1952 waren solche Anlagen in diversen Filialen von «Kleider Frey» installiert, auch in Bern oder Burgdorf. Während die Eltern einkauften, konnten die Kleinen mit Bleipatronen ihre Zielgenauigkeit testen. Das tun wir jetzt auch, und wenn Regula Berger die Patrone einspannt, klingt das wie zu Teenagerzeiten auf dem Jahrmarkt. Einmal im Jahr, an der Museumsnacht, stehen hier massenhaft Leute Schlange, vor allem Buben, aber auch Mädchen. «Die schiessen in der Regel fast besser», sagt Berger.
Schliesslich gibt es durchaus Vorbilder; etwa 1832 in Luzern die 14-jährige Aloysia Meyer, die erste Schützin an einem «Eidgenössischen». Abgebildet ist sie auf einer stockfleckigen Lithografie, gekleidet mit Tracht und Hut, aufmerksam ihr Gewehr prüfend. «Schiessende Frauen waren damals Exotinnen; insgeheim war man aber stolz auf sie», sagt Berger. «Sonst hätte man sie nicht in Festbüchlein und Illustrierten so prominent erwähnt.»
68 400 Flaschen Wein
Ob es mit den Frauen zu tun hatte, dass das Schützenfest 1861 in Stans beinahe verboten worden wäre, ist nicht überliefert. Der Landrat von Nidwalden befürchtete «sittliche Gefahren»; der Bundesrat allerdings entschied, dass man den Schützen das Schiessen nicht verbieten könne. Ganz von ungefähr kamen die Befürchtungen aber nicht; man weiss, dass die 10 000 Teilnehmer des Schützenfests von 1838 in St. Gallen während acht Tagen 68 400 Flaschen Wein getrunken haben.
Ein Schatz, der erst vor kurzem ins Haus kam, sind die handgeschriebenen Erinnerungen von Rita Forster-Knecht. 1927 als zweite Tochter eines Büchsenmachers in Zofingen geboren, begann sie schon früh mit dem Schiessen. 1949, am Schützenfest in Chur, wurde sie dann zur ersten eidgenössischen Meisterschützin. Dabei blieb das Fräulein Knecht bescheiden. In ihren Aufzeichnungen heisst es, sie sei bloss glücklich gewesen, «ein bisschen Ehre für meinen leider schon verstorbenen Vater einlegen zu können: zu zeigen, dass sein ‹Bub› in den letzten Jahren doch noch etwas von ihm abgeguckt hatte.»
«Meine Bekanntschaft in Chur»
Gemeinsam mit Fräulein Dr. Felchlin und Fräulein Frieda Kulli war Knecht in einem Pistolenclub, was genügte, dass die Presse auf dieses «Oltener Trio» aufmerksam wurde. In der Vitrine ist eine Illustrierte aufgeschlagen, sie zeigt Fotos der Schützinnen, mit Hütchen, Handtasche und makelloser Haltung.
Zu der Schenkung – Rita Forster-Knecht ist 2012 verstorben – gehört auch ein Gruppenfoto vom Schützenfest 1949. Über einem der Gesichter hatte Knecht ein Kreuzchen gemacht und dazu geschrieben: «Meine Bekanntschaft in Chur». Der so Markierte war ihr späterer Ehemann. Volltreffer.
Schweizer Schützenmuseum, Bernastrasse 5, Bern. Offen: Di–Sa, 14–17 Uhr; So 10–12 und 14–17 Uhr. Eintritt frei. www.schuetzenmuseum.ch
Im Herbst öffnet die Wechselausstellung «Lasse deine Schätze funkeln», die auserlesene Stücke aus der Sammlung präsentiert. Vernissage: 2. November, Ausstellung bis 17. Juni 2018.
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