Wenn der Privatkonkurs zur Wohltat wird
Wer trotz regelmässigen Einkommens keine Chance hat, seine Schulden zu begleichen, ist mit einem Konkurs gut bedient. Die Schulden verschwinden zwar nicht. Meist bestehen sie aber nur auf dem Papier weiter.

Damit hatte H. W. * nicht mehr gerechnet. Über zehn Jahre ist es her, dass er privat in Konkurs gegangen ist. Seither hatte er Ruhe vor seinen Gläubigern. Bis vor drei Monaten. Da meldete sich plötzlich seine frühere Wohngemeinde und forderte ihn auf, die alte Steuerschuld zu begleichen. Die Behörden waren zwar bereit, ihm ein Viertel der insgesamt 100'000 Franken zu erlassen. Doch W., inzwischen Rentner, teilte der Gemeinde mit, dass er ausser Stande sei, etwas zu bezahlen.
Das Schreiben hat H. W. jäh an seine Vergangenheit erinnert. An das finanzielle Fiasko, das er erlebt hat nach dem teuren Hauskauf und dem gescheiterten Versuch, sich selbstständig zu machen. Und vor allem erinnerte es ihn daran, dass seine immensen Steuerschulden weiter bestehen. Total rund 400'000 Franken bei Kanton und Gemeinde. Denn im Unterschied zu verschiedenen anderen Ländern wird in der Schweiz dem Schuldner nach einem Privatkonkurs nichts von seinen Verpflichtungen erlassen. Diese werden in Konkursverlustscheine umgewandelt, die erst nach 20 Jahren verjähren. Wobei mit jeder erneuten Betreibung die Verjährungsfrist von vorne zu laufen beginnt.
Lieber heute als morgen
Doch verglichen mit einer Pfändung bringt der Privatkonkurs auch merkliche Vorteile: Die laufenden Betreibungen und die Lohnpfändung werden eingestellt, der Schuldner wird nicht mehr aufs Existenzminimum gedrückt. Er kann frei über sein Einkommen verfügen und standesgemäss leben. So auch H. W.: «Eigentlich ging nachher alles normal weiter.»
Der St. Galler Professor Franco Lorandi meint gar: «Wer keine Chance hat, aus der Schuldenfalle herauszukommen, aber dennoch genug verdient, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, der meldet lieber heute als morgen Konkurs an.»
Die häufigste Ursache für Schulden ist Arbeitslosigkeit. Wobei sich das jeweils erst mit einer gewissen Verzögerung bemerkbar macht. Philip Talbot vom Zürcher Bezirksgericht geht davon aus, dass die Zahl der Privatkonkurse als Folge der Wirtschaftskrise in absehbarer Zeit wieder ansteigt.
Schuldner scheuen sich
Auch Scheidungen zählen zu den Risikofaktoren für eine Verschuldung. So war es im Fall von Paula Grüninger *. Nach der Trennung von ihrem Mann konnte die alleinerziehende Mutter den auf zwei Einkommen ausgelegten Lebensstandard nicht mehr halten. Die Eigentumswohnung musste liquidiert werden und ging unter ihrem Preis weg. Zurück blieben Schulden von 150'000 Franken. Mit ihrem Teilzeitpensum hat Paula Grüninger keine Chance, in absehbarer Zeit ein Vermögen anzuhäufen. «In einem solchen Fall empfehlen wir den Konkurs», sagt Marco Petrini von der Zürcher Fachstelle für Schuldenfragen.
Wie viele Schuldner scheut sich auch Paula Grüninger, diesen Schritt zu tun. Oft seien es falsche Vorstellungen, welche die Leute vom Konkurs abhielten. Manche zögern, weil sie befürchten, nie mehr eine andere Wohnung zu bekommen, und würden dabei vergessen, dass es ihnen als Schuldner mit Betreibungen und Lohnpfändung auch nicht besser ergehe. «Wenn wir die Leute klar über die Folgen informieren, verziehen sich ihre Bedenken meist.»
Von Vorteil sei es, so Petrini, das persönliche Umfeld rechtzeitig zu informieren. Nebst dem Freundeskreis gehöre dazu auch der Arbeitgeber oder die Vermieterin. Damit lasse sich verhindern, dass diese es auf Umwegen erfahren oder aus dem Amtsblatt, worin jeder Konkurs veröffentlicht wird.
Gläubiger gehen oft leer aus
Während der Privatkonkurs für die Schuldner ein Befreiungsakt ist, gehen die Gläubiger – die häufigste Gruppe sind die Steuerbehörden – meist leer aus. Der Jurist Lorandi verweist auf eine Untersuchung, wonach über 85 Prozent aller privaten Konkurse ohne jegliche Zahlung an die Gläubiger enden. Angesichts dieser Zahlen drängt sich der Schluss auf, dass sich viele Schuldnerinnen und Schuldner mit einem Privatkonkurs «sanieren».
Auch H. W. hat von Anfang an gewusst, dass er seine Schulden nie wird begleichen können. Er hofft nun, dass die Gläubiger seine Begründung akzeptieren. Das müssen sie aber nicht. Sie können W. jederzeit für die alte Forderung betreiben. Dann müsste er seine finanzielle Situation detailliert offenlegen und nachweisen, dass er tatsächlich nicht über genügend Einkommen verfügt, um wenigstens einen Teil der Schulden abzustottern.
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