Gastkommentar zu GenderspracheWeniger Polemik in der Sprachendebatte
Wer gegen die gendergerechte Sprache anschreibt, nimmt Diskriminierung in Kauf.

Evidenzbasierte Arbeit ist ein wichtiges Gut im Journalismus. Wenn es um geschlechtergerechte Sprache geht, wird allerdings oft erstaunlich unsachlich argumentiert. So hat Martin Ebel im «Bund» einst Studien, die sich kritisch mit dem generischen Maskulinum auseinandersetzen, als «auf dürftigstem empirischem und methodischem Grund» stehend bezeichnet. Mit weniger Worten lässt sich eine jahrzehntelange Forschungstradition kaum desavouieren. Rico Bandle beruft sich in der «SonntagsZeitung» auf Umfragen, gemäss denen «ein grosser Teil der Bevölkerung die Gendersprache» ablehne. Daraus folgert er, dass das Problem einer sprachlichen Diskriminierung gar nicht existiere, und verwechselt prompt Mehrheitsmeinungen mit wissenschaftlichen Argumenten.
Problematisch ist auch der Verweis auf eine akademische Aussenseiterposition, um einem bestimmten Argument Gewicht zu verleihen (false balance). Ein Beispiel dafür ist ein Kommentar in der NZZ von Claudia Schwartz, der den euphemistischen Titel «Es braucht kein Verbot der Gendersprache» trägt. Darin wirft Schwartz den Befürwortenden einer geschlechtergerechten Sprache vor, diese würden «fachliche Ausführungen, wenn sie nicht der eigenen Stossrichtung entsprechen, mit der Begründung politischer Korrektheit für ungültig» erklären. Die Redaktorin selbst legitimiert ihre kritische Haltung gegenüber sprachlichen Anpassungen mit einem Zitat von Ewa Trutkowski. Dabei handelt es sich gerade nicht um eine repräsentative Forscherin, sondern um eine Linguistin, die in der medialen Öffentlichkeit zwar viel Raum erhält, aber nur wenige einschlägige Publikationen vorzuweisen hat.
Befürworterinnen und Befürwortern der gendergerechten Sprache wird immer wieder «Ideologie» oder «Irrationalität» vorgeworfen.
Anerkannte Expertinnen und Experten aus der Genderforschung kommen in dieser Debatte hingegen selten zu Wort. Die Ausnahme ist ein Gastkommentar der Professorin Gabriele Diewald, der ebenfalls in der NZZ erschien. Diewald setzt sich seit vielen Jahren mit der sprachlichen Repräsentation der Geschlechter auseinander. Sie hält trocken fest, «dass die Verwendung der Maskulinformen dann, wenn nicht nur Männer gemeint sind [generisches Maskulinum], nicht geschlechtergerecht ist, was durch zahlreiche wissenschaftliche Studien bewiesen ist».
Diese Aussage wird von Sabine Sczesny bekräftigt, die als Professorin für Sozialpsychologie an der Universität Bern arbeitet. Sczesny war an zahlreichen empirischen Untersuchungen und internationalen Projekten zu gendergerechter Sprache beteiligt. Sie sagt: «Mir ist keine Studie bekannt, welche eine ausgeglichene mentale Repräsentation von Männern und Frauen durch das generische Maskulinum belegt.» Die empirische Forschung zeigt somit klar auf: Wenn von «Polizisten» oder «Ärzten» die Rede ist, stellt man sich eher Männer vor, auch wenn Frauen mitgemeint sind. Umgekehrt konnten Sczesny und andere Forschende nachweisen, dass ein Sprachgebrauch, der Frauen explizit einschliesst (also etwa Polizist*innen und Ärzt*innen), die verschiedenen Geschlechter besser repräsentiert.
Die Befürwortenden einer geschlechtergerechten Sprache können sich also auf solide wissenschaftliche Erkenntnisse berufen. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – wird ihnen in der Berichterstattung immer mal wieder «Ideologie» oder «Irrationalität» vorgeworfen. Solchen Polemiken kann in aller Sachlichkeit entgegnet werden: Man darf natürlich gegen eine gendergerechte Sprache anschreiben, etwa aus ästhetischen Gründen oder einfach deshalb, weil man Gewohnheiten nicht über Bord werfen möchte. Aber dann sollte auch darauf hingewiesen werden, dass aufgrund der heute zur Verfügung stehenden Evidenz damit eine Diskriminierung in Kauf genommen wird.
Joël Graf ist Historiker und assoziierter Forscher an der Universität Bern. Er hat sich unter anderem als Berater für das europäische Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 mit Fragen von Gender und Wissenschaftskommunikation beschäftigt.
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