Wenig Lust, alte Wunden aufzureissen
Die abtretenden Berner Stadträte Thomas Balmer (fdp) und Ueli Stückelberger (gfl) kreuzen nochmals die Klingen – und geben sich versöhnlich. Die beiden Parlamentarier debattieren über Änderungen in der Kommissionsarbeit, Differenzen in der Verkehrspolitik und Gemeinsamkeiten beim Wohnungsbau.
«Bund»:Sie treten nach zwölf respektive sechzehn Jahren aus dem Stadtrat zurück. Was hat sich verändert im Umgang der rot-grünen Mehrheit mit den Bürgerlichen?
Ueli Stückelberger: Früher war der Umgang miteinander verbissener, das Blockdenken extremer und der zwischenmenschliche Umgang härter. Blockübergreifende Anliegen wurden mit der Zeit häufiger.
Das ist erstaunlich. In letzter Zeit war oft von der Polarisierung zwischen den Fronten im Stadtrat die Rede.
Stückelberger: Die Zeitungen schrieben seit jeher von «Polarisierung».
Balmer: Für uns war die Opposition ungewohnt, für Rot-Grün das Regieren. Die SP produziert bis heute eine Unmenge von Vorstössen, obwohl sie der Regierungsmehrheit angehört. Der Umgang miteinander war für mich aber besser als heute, konstruktiver.
Stückelberger: Der Gegensatz zwischen SP und FDP war zu Beginn sehr dominant. Dieses Hickhack hat sich mit den Sitzverlusten dieser Parteien abgeschwächt. Ein weiterer Unterschied ist, dass früher Kommissionsentscheide lange ausdiskutiert und dementsprechend einheitlich im Rat vertreten wurden. Heute fallen Kommissionsentscheide leider oft ruck, zuck und haben im Parlament ein kleineres Gewicht.
In der Debatte übers Budget 2009 gab es 150 Anträge der Bürgerlichen, die zum Teil an der Kommission vorbeigeschleust wurden.
Balmer: Die FDP hat ein Alternativbudget zur Debatte gestellt; der Variantenantrag wurde jedoch abgewiesen. Über 100 Vorstösse wurden vom jungen SVP-Parlamentarier Erich Hess gestellt.
Stückelberger: Früher wäre so jemand von seiner Fraktion zurückgebunden worden.
Fehlen im Rat Integrationsfiguren?
Stückelberger: Das Parlament ist jünger und politische Alphatiere sind seltener geworden. Es hängt auch mit dem Systemwechsel zur Neuen Stadtverwaltung Bern (NSB) zusammen. Früher gab es viel weniger Kommissionen.
Balmer: Es gab sogar Wartelisten für Kommissionssitze.
Stückelberger: Heute sind die Parteien froh, wenn sie überhaupt genügend Personen für die vielen Kommissionssitze finden. Früher nahm man sich in den Kommissionen genug Zeit, ein Geschäft so lange zu diskutieren, bis alle Fraktionen einverstanden waren. Der Verkehrskompromiss für die Berner Innenstadt zum Beispiel ist so zustande gekommen. Heute sind die Kommissionen mit der Behandlung von Budget und Jahresbericht zeitlich schon am Limit. Sachgeschäfte werden aus Zeitmangel in einer Sitzung durchgewinkt.
Die Budgetierung gemäss NSB ist eine Überforderung für ein Milizparlament?
Stückelberger: Ja, ich muss dies leider feststellen.
Balmer: Der Fehler liegt nicht an NSB, sondern an der Umsetzung. Das Budget ist heute dicker als früher das Detailbudget. Es gibt keine Übersicht über die Entstehung der Kosten und Erträge. Ich erwarte von der Verwaltung, dass man Unterlagen erhält, die lesbar sind.
Ist es nicht eine Taktik der Verwaltung, die Parlamentarier mit Zahlen zuzumüllen?
Balmer: Ich kann mir keinen anderen Grund vorstellen.
Herr Stückelberger, sind Sie mit der Verwaltung zufrieden?
Stückelberger: Ein Grossteil arbeitet sehr gut. Die Zusammenarbeit hapert aber oft: So ist man bei der Planung Grosse und Kleine Allmend immer noch gleich weit wie vor 12 Jahren. Es gibt keine Gesamtplanung, unzählige Dienststellen arbeiten daran, aber niemand ist federführend verantwortlich.
Ist es nicht etwas gar einfach, die Verantwortung der Verwaltung zuzuschieben? Rot-Grün und Bürgerliche verharren im Rat ja oft in ihren Gräben und verhindern so Lösungen.
Stückelberger: Kompromisse waren und sind durchaus möglich: Beim Verkehrskompromiss oder bei der Totalrevision der Bauordnung, zwei wichtigen Geschäften, haben wir uns gefunden. Die Umsetzung geschieht jedoch auf Stufe Verwaltung.
Balmer: Die Verwaltung wurde mit Chefbeamten besetzt, die der rot-grünen Mehrheit nahestehen. Die erste Planung fürs Tram Bern West ging an der Bevölkerung von Bümpliz und Bethlehem vorbei. Erst der Widerstand brachte die Verwaltung dazu, die Einwände in einer zweiten Vorlage zu berücksichtigen.
Vor ein paar Jahren gab es eine blockübergreifende Wohngruppe mit GFL- und FDP-Mitgliedern. Die GFL hat ihre Bindungen zu Rot-Grün gelockert. Warum kam es nicht vermehrt zu Koalitionen, die neue Mehrheiten ermöglicht hätten?
Balmer: Gerade in der Wohnbaupolitik ziehen wir heute am gleichen Strick. Vor sechzehn Jahren plante man in Oberbottigen mit übertriebenen Restriktionen bei der Erstellung von Parkplätzen. Zudem wurden Kompostierplätze und ökologische Baustoffe vorgeschrieben. Gebaut wurde erst, nachdem diese Bestimmungen gelockert wurden. Die Überbauung Viererfeld wiederum ist vor Jahren ebenfalls an der Auflage des autofreien Wohnens gescheitert.
Stückelberger: Die FDP-Fraktion hat das damals mitgetragen.
Balmer: Aber nicht mit ganzem Herzen. In der Partei haben wir die Nein-Parole beschlossen und damit eine Planung verhindert, die nicht zum Erfolg geführt hätte.
Stückelberger: Gescheitert ist die Vorlage aber nicht wegen der bürgerlichen Opposition, sondern weil die Länggässler nicht wollten, dass dort gebaut wurde.
Balmer: Es gab eine unheilige Allianz zwischen Anwohnern und Erzgrünen. Bei der Überbauung Weissenstein-Neumatt schliesslich hat die Stadt etwas gelernt: Es wurden keine Auflagen verordnet, sondern es gab einen Wettbewerb, der es ermöglichte, mehr Bruttogeschossfläche zu realisieren. Überall dort, wo die rot-grüne Mehrheit das Fuder mit Auflagen überladen hatte, sind die Vorlagen gescheitert.
Stückelberger: Das stimmt so nicht. Es gab aber andere Vorlagen, welche die FDP abgelehnt hatte, die zum Glück durchgekommen sind. So haben wir heute zum Beispiel einen neuen Bahnhofplatz.
Balmer: Die erste Vorlage kam mit vielen rot-grünen Vorgaben. Dank unserer Opposition haben wir viel erreicht. So wurde die Verkehrsführung austariert und verbessert.
Die FDP hat aber bis zuletzt die Verkehrsführung mit Beschwerden bekämpft.
Balmer: Uns ging es um die 25000 Fahrzeuge, welche die Achse täglich benutzen. Diese hat man uns schliesslich zugestanden. Damit wurde die Erreichbarkeit der Innenstadt gewährleistet.
Herr Balmer, haben Sie von der GFL mehr Kooperation für allfällige neue Mehrheiten erwartet?
Balmer: In Verkehrsfragen haben und werden wir unterschiedliche Auffassungen haben.
Stückelberger: Oft gab es keine neuen Mehrheiten, weil die FDP nicht in corpore anwesend war oder weil zum Beispiel die CVP ausgeschert ist und das Bettelverbot abgelehnt hat. Grundsätzlich ist es aber so, dass manche Exponenten der FDP die Stadt schlechtreden. Das finden wir von der GFL schade.
Balmer: Wenn ich Bern nicht gut fände, würde ich nicht hier wohnen und all die Lasten und Gebühren erleiden. Beim Baugesuch für den Umbau der Ladenstrasse Gäbelbach habe ich mich als Vertreter der Bauherrschaft nach vier Monaten nach dem Verbleib erkundigt. Ich erhielt zur Antwort, sie hätten das Gesuch auf dem Pult. Schliesslich konnte der Bau erst begonnen werden, nachdem der Kanton Druck aufgesetzt hatte.
Stückelberger: Das ist aber keine politische Frage, sondern eine Führungsfrage.
Balmer: Natürlich. Aber in solchen Momenten ärgere ich mich grün und blau über diese Stadt. Jedes Baugesuch muss von unzähligen Amtsstellen geprüft werden. Diese Stadt hat ein Verwaltungssystem aufgebaut, das funktioniert wie geölt. Aber leider nicht im Interesse der Bürger.
Herr Stückelberger, Rot-Grün hat dieses System doch aufgebaut?
Stückelberger: Ja. Vieles läuft auch gut. Eine höhere Sensibilität gegenüber den Anliegen des Gewerbes tut aber in der Tat not. Warum kann die Stadt den Hauseigentümern nicht eine Gebührenrechnung pro Jahr zuschicken statt unzählige übers ganze Jahr verteilt?
Balmer: Manche Exponenten der rot-grünen Parteien vermitteln den Eindruck, dass Gewerbler Halsabschneider und Gewinnemacher sind, die man schröpfen muss. Statt diese als Personen zu betrachten, die in der Stadt Arbeitsplätze und Einkaufsmöglichkeiten schaffen.
Bei der Kampagne gegen den Entsorgungshof Nord haben aber die Bürgerlichen die staatliche Entsorgung infrage gestellt.
Balmer: Die Informationen der Verwaltung bezüglich Rentabilität des Entsorgungshofes waren lausig. Es reicht nicht zu sagen: «Glaubt uns, es rentiert.» Das ist kein Argument.
Gibt es noch Aufgaben, welche Private besser erledigen könnten als die Stadt, zum Beispiel bei der Stadtgärtnerei?
Stückelberger: Grundsätzlich ja. Aber es brauchte genaue Angaben über die Folgen: Welche Aufgaben muss oder kann eine Stadtgärtnerei noch erfüllen? Könnte durch eine Auslagerung effizienter und billiger produziert werden? Unabdingbar ist aber eine sozialverträgliche Umsetzung.
Balmer: Die Stadtgärtnerei könnte als Projektmanagement die Grünplanung der Stadt durchführen und die Leistungen ausschreiben. Private Firmen könnten ihre Offerten einreichen, und die Stadt die korrekte Auftragsausführung prüfen. Aber die Gewerkschaften haben dies vehement bekämpft. Dabei müssen gute Fachleute ja nicht Angst haben, den Job zu verlieren.
Stückelberger: Es brauchte manchmal im Denken einen unverkrampfteren Zugang zu Veränderungen. Würde man eine Auslagerung oder eine Zusammenlegung von Organisationseinheiten zeitlich etappieren, gäbe es weniger negative Folgen.
Ist der Sieg der Mitte bei den Wahlen ein Zeichen dafür, dass GFL und FDP bei der Suche nach Kompromisslösungen versagt haben?
Stückelberger: Nein. Wir hatten beide Konkurrenz durch neue Parteien – die Grünliberalen und die BDP. Im neuen Rat wird es aber neue Allianzen geben, zum Beispiel beim Thema Kindertagesstätten. Hier dürfte es möglich werden, dass es sich auch für mittlere bis gute Einkommen lohnt, ihre Kinder in die Krippe zu schicken. Ich plädiere dafür, dass sich die Fraktionen FDP, BDP/CVP, GLP und GFL/EVP regelmässig treffen, um Gemeinsamkeiten festzulegen. Es braucht eine Institutionalisierung der Zusammenarbeit unter den Mitte-Fraktionen.
Die GFL hat in den letzten 16 Jahren Wähleranteile gewonnen, die FDP ist regelrecht eingebrochen. Woran liegt das?
Balmer: Die neuen Parteien haben noch keine Fehler gemacht. Wir haben dafür eine hohe interne Geschlossenheit.
Weil der liberale Flügel die Partei verlassen hat?
Balmer: Es handelte sich um 7 Personen bei 850 Mitgliedern.
Stückelberger: Die FDP hat vor allem verloren, weil die Nicht-Nomination von Gemeinderat Stephan Hügli von den Wählern nicht goutiert wurde. Was mich erstaunt hat: dass diese Wähler die BDP gewählt haben und nicht Die Mitte.
Balmer: Die Amtseinsetzung von Stephan Hügli als Nachfolger des verstorbenen Kurt Wasserfallen ist der FDP leider nicht geglückt, was ich persönlich sehr bedaure.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung der FDP, Herr Stückelberger?
Stückelberger: Ich finde es schade, dass der liberale Flügel der FDP in vielen Fragen gar nicht erst bei uns nachfragt, ob wir mitmachen würden.
Sie sprechen vom Thema Sozialhilfemissbrauch?
Stückelberger: Ja, dort hätte es eine gemeinsame Basis gegeben. Aber wenn man nur in den Wald rausschreit und dies noch mit persönlichen Verunglimpfungen garniert, kann man kein breite Zustimmung im Rat erwarten.
Balmer: Präsidenten haben oft wenig Einfluss auf das Votum von Rednern.
Zuletzt warf man der FDP vor, sie lehne sich zu stark an die SVP an.
Stückelberger: Der lautere Teil der Partei ist auf dieser Linie. Der andere Teil schweigt leider oft und versucht nicht, eigene Themen zu setzen.
Es müsste ja Aufgabe des Präsidenten sein, den lauten und den leisen Teil der Partei auszugleichen.
Balmer: Man kann nicht leise reden, um das Laute zurückzunehmen. Die Uneinsichtigkeit in der Partei hat mich einige Male geärgert. Aber in der Sache haben wir ja ein Ziel erreicht: Die Stadt macht am Pilotversuch für Sozialinspektoren mit.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch