Kuriose StadtführungWas wäre Bern ohne seinen Rhein
Der Kabarettist und Historiker Benedikt Meyer lädt neu zu einer etwas anderen Stadtführung. Man bringe viel Fantasie mit.

Die Stadtführung beginnt auf der Kleinen Schanze, gleich bei der Marzilibahn. Benedikt Meyer zeigt in Richtung Gurten, dann zum Kirchenfeldquartier und zur Aare und sagt sehr ernst: «Dieser Fluss hier, dass wissen Sie bestimmt, ist der Rhein. Und weil er sich da so um das Quartier schlängelt, nennt man das hier auch das Rheinknie, s Rhyknöi also.»
Die Leute, es sind knapp zwei Dutzend, die sich da in einem Halbkreis um Benedikt Meyer versammelt haben, blicken etwas erstaunt drein. Hier und da kräuselt ein Lächeln in den Mundwinkeln.
Wie man hier gut erkennen könne, fährt Meyer ungerührt fort, habe der Fluss eine eher unnatürliche Farbe. Das liege – wenig überraschend – an der Chemie. Bekanntlich seien in dieser Stadt grosse, weltbekannte Chemiekonzerne angesiedelt. Deshalb verfüge sie aber auch über ein weltgewandtes Flair, das mache sie ja so speziell.
Ein bisschen mulmig zumute wird es dem Grüppchen jetzt schon. Trotz vieler Lacher scheint sich im einen oder anderen Gesichtsausdruck auch die Frage zu spiegeln, ob der Redner noch alle Tassen im Schrank hat. Nun: hat er.
Er schlägt gerne Haken
Der Irrtum hat nämlich Konzept. Benedikt Meyer, 41 Jahre alt, über zwei Meter gross, aus Baselland stammend, promovierter Historiker, treibt schon eine ganze Weile seinen Klamauk mit Geschichte. Mit seinem «Historischen Kabarett» ist er mittlerweile auf den bekanntesten Kleinkunstbühnen des Landes unterwegs. Darin vermengt er Geschichtsunterricht und Stand-up-Comedy, nimmt Aktualitäten auf und zieht lustige, leuchtende und erhellende Fäden in die Geschichte – und füllt damit die Säle.
In seiner Laufbahn hat er schon einige Haken geschlagen. Er studierte Geschichte, weil es das einzige Fach gewesen sei, in dem er in der Schule etwas konnte, wie er sagt. Er arbeitete als Lehrer ohne pädagogische Ausbildung, er war mal Chefredaktor ohne Journalismusausbildung. Und er veröffentlichte drei Bücher. Sein Debütroman «Nach Ohio» (2019) ist so packend geschrieben wie wenige Erstlingswerke und erhält bis heute viel Resonanz.
Und jetzt also führt er eine Gruppe Menschen durch Bern und erzählt ihnen die Stadtgeschichte Basels. Die Idee hat er von einer Kollegin abgeschaut, die ihm in Bern einmal Leipzig gezeigt hat. «Das war völlig abstrus und zugleich wundervoll unterhaltsam», sagt er.
Inzwischen ist das Grüppchen über die Bundesterrasse flaniert, hat so einiges über die Basler Stadtgeschichte erfahren und ist im Casino Park angekommen. Hier nun lässt sich Meyer lang und breit über die Dialekte und Sprachen aus, die im Dreiländereck zusammenkommen. Er geizt nicht mit köstlichen Kostproben und spricht Elsässisch, Badisch, Baselbieterdütsch und das städtische Baseldeutsch. Er erzählt, dass sich die Dialekte im Alltag nach und nach vermischen würden. «Das sieht man beispielsweise an Roger Federer mit seiner Basel-Zürich-Dubai-Mischung» sagt er. «Aber hey, Hauptsache, man versteht sich.»

Und weiter geht es in die Herrengasse, dann zum Münster und in die Gerechtigkeitsgasse. Meyer plaudert und doziert. Er berichtet etwa über die Folgen des Erdbebens von 1356, die bis heute das Stadtbild prägen. Er erzählt, warum der niederländische Humanist Erasmus von Rotterdam gerade diese Stadt ausgewählt hat, um sich hier niederzulassen, und erklärt, weshalb nochmals Fasnacht gefeiert wird.
«Voilà. Die Freie Strasse!»
Immer wieder drehen sich vorbeigehende Spaziergängerinnen irritiert nach ihm um, wenn er etwa auf dem Münsterplatz in Richtung Münstergasse zeigt und sagt «Voilà. Die Freie Strasse!» Hier sehe man, was man alles falsch machen könne. «Alles, was einst alt und schön war, wurde hier abgerissen und mit seelenlosen Betonklötzen für seelenlose Ladenketten ersetzt. Sie sehen das Resultat: Die Freie Strasse hat null Charakter, es hat keinen Charme, es ist einfach nur wüst. Hier tötelet es, und ich muss leider sagen: zu Recht.»
Es braucht eine Weile, bis man sich daran gewöhnt hat, durch die eine Stadt zu flanieren und gleichzeitig über eine andere unterrichtet zu werden. Freilich hilft es, wenn man beide Städte etwas kennt, damit dieses Historische Strassenkabarett seine ganze Wirkung entfaltet.
In den besten Momenten aber verschwimmen die beiden Städte zu einer Art aufregendem, lustigem Wimmelbild. Einmal mehr wird einem bewusst, wie klein die Schweiz eigentlich ist und wie gross doch die Distanzen sind. Wie vielfältig dieses Land ist und doch überall ein wenig ähnlich. Und vor allem merkt man, wie wenig man eigentlich über andere Orte weiss, wie klein die eigene Welt doch sein kann. Über all das lässt sich mit Benedikt Meyers neuem Format trefflich nachdenken.
Stadtführungen «Basel an der Aare»: jeweils donnerstags, 13.4., 27.4., 4.5., 11.5., 1.6., 18 Uhr. Treffpunkt: Marzilibahn, Bundesterrasse. «Historisches Kabarett»: 9.5., La Cappella, Bern
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