«War eine alleinstehende Frau sexuell aktiv, galt sie als verdächtig»
Historikerin Tanja Rietmann hat das dunkle Kapitel administrative Versorgung im Kanton Bern untersucht.

Frau Rietmann, am 11. April findet der Gedenkanlass für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen statt. Als Historikerin haben Sie sich in Ihrer Dissertation mit dem Thema beschäftigt. Worum geht es?
Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, aber auch alte Leute, die mehrheitlich aus der sozialen Unterschicht stammten, von staatlich angeordneten Massnahmen betroffen. Damit wollten die Behörden gemäss offizieller Lesart das Leben dieser Leute verbessern. Diese Massnahmen bedeuteten aber oft eine massive Intervention in das Leben und die persönliche Freiheit dieser Menschen. Die Massnahmen, die heute unter dem Begriff fürsorgerische Zwangsmassnahmen gefasst werden, reichten von zwangsweisen Anstaltsunterbringungen über Sterilisationen bis hin zu Kindswegnahmen.