War der «Bullenmörder» beteiligt?
Die Ermittlungen zur Farbattacke auf die Berner Polizeikaserne von 2015 brachten kaum Ergebnisse. Nach einem DNA-Zufallstreffer steht nun aber ein mutmasslicher Täter vor Gericht.
Viel gibt der 23-jährige Student nicht preis. Er wolle in den nächsten zwei Jahren seinen Bachelor in Sozialanthropologie und Geschichte machen. Ja, der Wohnort stimme noch. Nein, er arbeite nicht. Und nein, er wolle lieber keine Aussage machen zu den Vorwürfen, sondern sein Recht auf Aussageverweigerung gebrauchen – «Entschuldigung». Im Anzug sass er vor Einzelrichterin Bettina Bochsler vom Regionalgericht Bern-Mittelland, wie auch die etwa 15 jungen Gäste auf den Besucherstühlen – mit Turnschuhen, Tattoos und Vokuhila-Frisuren.
Die andere Seite
Glaubt man Staatsanwältin Cornelia Spicher, ist die ausgesuchte Höflichkeit nur eine Seite des Angeklagten. Der Mann, der sich in Rap-Texten «Bullenmörder» nenne, sei erfüllt von «purem Hass» gegen die Polizei, aktiv in der Sprayer-Gang «OWZ», in der linksextremistischen Szene zu verorten und – so der Hauptpunkt der Anklage: Er sei beteiligt gewesen an der Farbattacke auf die Polizeikaserne an der Berner Hodlerstrasse vom Februar 2015.
«Mit Farbe, Sprays und kaputten Scheiben haben wir unsere Wut gegen dieses kranke System ausgedrückt», schrieb eine «Gruppe für Anarchie» nach der Tatnacht auf dem Internet-Portal «Indymedia». Der Sachschaden am Polizeigebäude, dem benachbarten Kunstmuseum, dem Amthaus und diversen Fahrzeugen beziffert die Anklage auf fast 95000 Franken. Es habe eine «öffentliche Zusammenrottung» sowie Landfriedensbruch stattgefunden. Die Videobilder zeigten eine eigentliche «Arbeitsteilung». Etwa 30 Personen hätten einen «überfallartigen Anschlag» verübt, so die Staatsanwältin.
Die Antwort der Polizei auf die Attacke folgte prompt: Während der Ermittlungen in eigener Sache führte sie in den Folgemonaten diverse Hausdurchsuchungen in einschlägig bekannten Wohngemeinschaften durch, unter anderem bei der «Familie Osterhase» in Ostermundigen. Auch nahm die Polizei im Frühling 2015 drei Personen für ein bis zwei Wochen in Untersuchungshaft.
An den Ermittlungen gab es auch Kritik – und eine Anzeige des Kollektivs Osterhasen gegen die Polizei für das Vorgehen bei der Hausdurchsuchung in Ostermundigen. Unbeteiligte des Kollektivs seien stundenlang in Fesseln gelegt worden, zudem hätten sie Augenbinden tragen müssen, sagten sie damals, die Polizei habe Türen und Fenster eingetreten. Der Polizei sei es in erster Linie darum gegangen, «die Politszene zu fichieren», so Aktivisten.
Die polizeilichen Bemühungen zeigten keine Ergebnisse, alle Ermittlungsverfahren wurden eingestellt. Schliesslich war es gut ein Jahr später «Kommissar Zufall», wie es Staatsanwältin Spicher ausdrückt, der zur bisher einzigen Anklage in der Sache führte. Nachdem die Polizei in einer Nacht im März 2016 feststellte, dass die Mauer des Schlosses in Muri versprayt worden war, gab sie ein Täter-Signalement an die Patrouillen heraus. Etwas später in der Nacht fiel der Angeklagte dann zwei Botschaftsschützern auf. An seiner Jacke befanden sich Farbspuren in denselben Farben, die auch an der Mauer verwendet worden seien. Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung wurde dem Angeklagten auch DNA entnommen und mit der Datenbank abgeglichen. Tatsächlich gab es da einen Treffer: Das Erbgut stimmte mit einem Teil desjenigen überein, welches die Polizei mit anderen DNA-Spuren an Latexhandschuhen sichergestellt hatte.
Zweifel an der Polizeiarbeit
Gefunden worden war der Handschuh gemäss Anklage beim Seiteneingang der Hodlerstrasse 6, also der Polizeikaserne – und zwar in der Nacht des Angriffes. Auch das ausgewertete Protokoll des Chats mit der damaligen Freundin des Angeklagten zeige, dass in jener Nacht etwas geplant und durchgeführt worden sei.
Für den Verteidiger Hans Keller reichen die Beweise nicht für eine Verurteilung. Er forderte einen Freispruch. Aus den Akten gehe nicht hervor, wer die betreffenden Handschuhe wo und wann gefunden habe. Auch sei in den Akten bisweilen von zwei Handschuhen die Rede, dann wieder von nur einem Handschuh. Zudem seien die Farbspuren an den Handschuhen mit der tatsächlichen Farbe an den Wänden nur aufgrund von Fotos verglichen worden. Das müsse doch das Vertrauen in die Arbeit der Polizei schwächen, so Keller.
Es könne zudem sein, dass der Angeklagte die Handschuhe zwar getragen habe – sie am Tatort aber jemand anderes trug. Und schliesslich gebe es auch Fälle, wo durch «Sekundärübertragung» DNA auf Gegenstände gerate, ohne dass diese die entsprechende Person je berührt habe. Auch die Chat-Protokolle sprächen nicht gegen, sondern für seinen Mandanten: So sei auf den Videoaufnahmen niemand zu sehen, der etwas in sein Handy tippe – obwohl die Attacke laut Zeitcode auf den Videos zur gleichen Zeit stattfand, wie der Angeklagte die Nachrichten gesendet habe.
Sprayereien und Raptexte
Auch bei den weiteren Anklagepunkten forderte Keller Freisprüche. Bei einer Hausdurchsuchung in der Wohngemeinschaft des Angeklagten fand die Polizei – neben etwa einem Milligramm «weissem Pulver» und einer Identitätskarte auch Skizzen, Notizbücher, Spraydosen, Handschuhe, eine Gasmaske und weitere Sprayer-Utensilien.
Dieses Material nutzten die Strafverfolger, um dem Angeklagten fünfzehn Fälle von Sprayereien im Grossraum Bern mit Sachschaden in der Höhe von über 40'000 Franken zur Last zu legen. So soll er diverse Zugwaggons der BLS versprayt haben und für Sprayereien an verschiedenen Hausfassaden, am Pfeiler der Monbijoubrücke und eben an der Schlossmauer in Muri verantwortlich sein.
Nur aufgrund der gefundenen Skizzen seien die diversen Schriftzüge nicht alle einfach dem Angeklagten zuzuschreiben, fand hingegen der Verteidiger – zu divers seien jeweils die Buchstaben, zu klein die zum Vergleich beigezogenen Skizzen. Schliesslich ging es auch noch um Raptexte, die öffentlich zu Verbrechen und Gewalttätigkeiten auffordern würden, für die die Mitmusiker bereits verurteilt worden waren. Hier ging die Verhandlung in grammatikalische und semantische Analyse über: Fordern die Texte zu Gewalt auf oder beschreiben sie nur ein Gefühl der Gruppe? Der Verteidiger plädierte für Letzteres – und auch hier für einen Freispruch.
Zwei weitere Anklagepunkte liess die Staatsanwältin bereits zu Beginn des Prozesses fallen. Es ging dabei um eine gefälschte Hunderternote und eine gefundene Identitätskarte, welche der Angeklagte nicht bei der Polizei gemeldet hatte. Für die anderen Delikte forderte sie 20 Monate bedingt, eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen à 30 Franken und eine Busse von 1800 Franken – alles bedingt auf vier Jahre. Das Urteil fällt am Mittwoch.
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