Filmpremieren in FreiburgVon Smalltalk in Serbien bis zum postkolonialen Dialog in Madagaskar
In ihren Dokumentarfilmen «Comme un arbre» und «Art of the encounter» am Festival FIFF erproben eine Künstlerin und zwei Freunde die Kunst der Begegnung – und deren Grenzen.

«Das bin ich!» Der DJ grinst und deutet auf eine Stelle des Plakats, das für sein Technofestival wirbt. Die Schweizer Künstlerin Marinka Limat und der Musiker Zvonko streifen durch eine Sommernacht in der Stadt Paracín. Die Autos rauschen, auf den Bordsteinen wird über das Leben geplaudert. «Ich weiss nicht, wie es ist, berühmt zu sein», sagt er, «aber es ist ein gutes Gefühl, wenn die Leute deinen Namen rufen und deine Tracks mitsingen.» Seinen Traum von der internationalen Karriere habe er wegen der Arbeit für das Geschäft der Familie aus den Augen verloren. «Ich konnte sie nicht hängen lassen.»
Mancher Episode, wie derjenigen in Paracín, würde man gern länger lauschen im Kurzfilm «Art of the Encounter» von Marinka Limat. Doch im dokumentarischen Essay, der am Festival International de Films de Fribourg (FIFF) in der Sektion «passeport suisse» zu sehen ist, geht es gerade darum: die kurzen und flüchtigen, aber trotzdem einprägenden Bekanntschaften einer Durchreisenden.
Talent zur Nähe
Die «Kunst der Begegnung», wie Limat ihre Methode nennt, hat die Freiburger Performancekünstlerin auf drei Wanderungen durch Europa erprobt. Das Projekt «Kunst-Pilger-Reisen» begann sie nach dem Studium an der Hochschule der Künste Bern. 2017 machte sie die letzte dieser Reisen, von der nun der Kurzfilm «Art of the Encounter» erzählt. 3000 Kilometer, von Kassel in Deutschland bis nach Athen in Griechenland.
Start und Ziel waren beides Austragungsorte der Documenta, an der sie zu Gast war – den Ausdruck «Kunstmekka» nahm Limat hier wörtlich. In jedem Ort fragte sie nach «artists», was ihr schnell Zugang auch zu den privaten Lebenswelten der Leute verschaffte, wie im Film deutlich wird. «You are crazy!» («Du bist verrückt!»), begrüssen sie Jugendliche im griechischen Ort Neo Perivoli und meinen es durchaus als Kompliment.
«Jede Begegnung, dieses ‹entre deux› mit einer Person oder Gruppe ist eine eigene kleine Reise für mich», sagt Limat. Beim Interview ist ihr Talent zu spüren, schnell Nähe zu schaffen. Sie ist eine aufmerksame Zuhörerin und nimmt bald ein Notizbuch hervor, wenn die anderen das Wort haben.

Keystone-SDA hat die Künstlerin zusammen mit zwei weiteren FIFF-Gästen vor dem Festival zum Gespräch getroffen. Der Fotograf Dimitri Känel und der Regisseur Flavio Sanchez Moreno zeigen im gleichen Programm mit Schweizer Kurzfilmen ihre Reportage «Comme un arbre» aus Madagaskar, gedreht 2019. Känel ist Gründer des Vereins «Macromascar», mit dem er über die Schweizer NGOs Glocal und Nouvelle Planète und den WWF lokale Entwicklungsprojekte unterstützt.
Im Unterschied zum Pilger-Essay ergründen die beiden Freunde aus Freiburg die Menschen und Landschaften, Identitäten und Strukturen der postkolonialen Gesellschaft auf der Insel mit einem anthropologischen und geografischen Blick.
Revoluzzer der ersten Stunde
«Die tiefere Aufarbeitung der Zeit der Kolonialisierung und Unterdrückung hat erst begonnen. Die aktuelle Generation bezieht zunehmend Stellung», sagt Känel. Das mit der Kamera einzufangen, fiel ihnen nicht immer leicht. «Wir wollten authentische Dialoge, aber über die Kamera, unsere Herkunft aus einem privilegierten Land und unsere Funktion als NGO-Vertreter erhielten wir oft nicht so offene Antworten wie erhofft», sagt Sanchez Moreno.
Anders war dies bei zwei in Madagaskar bekannten, fast mythischen Figuren: Schlagzeuger Charle Andrianaivo und Sänger Dama Zafimahaleo der Folkband Mahaleo, die den Studentenprotesten Anfang der 70er-Jahre nach der Unabhängigkeit entsprungen ist.
Die Musiker und Soziologen, die sich wie andere Bandmitglieder auch später humanistisch und politisch engagiert haben, werden im Alter nicht müde, Probleme im Staat anzuprangern. Besonders mehr Ermächtigung und Bildung der Bevölkerung wären nötig, finden sie: «Ob Kolonialismus, Sozialismus oder Liberalismus: Es wurde alles von oben entschieden», so Charle Andrianaivo, der 2021 verstarb. «Wir hätten ihm den fertigen Film gerne noch gezeigt», sagt Dimitri Känel.

Viel diskutieren, die eigene Rolle reflektieren und verhandeln, das Gegenüber mit seiner Geschichte kennen lernen: Das waren für die jungen Filmer die wichtigsten Fähigkeiten. Auch Marinka Limat hat beim Reisen einiges gelernt und «die Sinne geschärft», sagt sie. Ihre Offenheit verschafft ihr nicht nur angenehme Situationen. Einmal muss sie etwa vor einem übergriffigen Kutscher fliehen, ein Schreckmoment, auch für die Zuschauenden.
Ein anderes Mal stellte sich ein netter Gastgeber als Neonazi heraus – dies erzählt Limat im Interview, im Film kommt es nicht vor. Das warf bei der Künstlerin die Frage auf: «Wo sind die Grenzen der Begegnung?»
«Comme un arbre» und «Art of the Encounter»: Samstag, 25. März, 12 Uhr, Kino Arena, Freiburg
Dieser Text von Keystone-SDA wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.
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