Von der Grauzone ins Dunkle
Die zweite, von Bonn übernommene Gurlitt-Schau im Kunstmuseum Bern stellt den NS-Kunstraub ins Zentrum. Dabei wird auch deutlich, dass die Sammlung Gurlitt vielmehr der Lagerbestand eines Kunsthändlers war.
Am 6. April 1946 bekommt Hildebrand Gurlitt im bayrischen Ansbach, wo er nach Kriegsende vorübergehend untergekommen ist, erfreuliche Post aus den USA – Post, die ihm beim bevorstehenden Entnazifizierungsverfahren gute Dienste leisten wird. Der Maler Max Beckmann schreibt aus New York und freut sich zunächst, dass der Kunsthändler die «Hölle» überlebt hat. Er hat nicht vergessen, das Gurlitt 1936 in seinem Hamburger «Kunstkabinett» die letzte Ausstellung des später als «entartet» gebrandmarkten Beckmann vor der Emigration ausrichtete.
Beckmann ist bereit, sich für Gurlitt zu verwenden: «Für einen Mann mit Ihren Fähigkeiten muss alles getan werden, damit er seinen Beruf ausüben kann.» In der Tat ging er zweimal als «Unbelasteter» aus Entnazifizierungsverfahren hervor, konnte auch mit Lügen und Täuschungen seine Sammlung weitgehend dem Zugriff der Alliierten entziehen und war schon ab 1948 als Direktor des Düsseldorfer Kunstvereins wieder an den Schalthebeln der Macht im Kunstbetrieb.
Wenige Monate vor dem Erhalt des Briefs von Beckmann hatte Hildebrand Gurlitt in einem Brief auf seine Verstrickungen als Kunsthändler mit dem NS-Regime zurückgeschaut und sich gerechtfertigt. Im Hinblick auf seine Tätigkeit als eine Art Chefeinkäufer im besetzten Frankreich für das geplante «Führermuseum» in Linz schrieb er ziemlich verschnörkelt: «Aber die, die mir Verkäufe in Linz, die mir und meiner Familie das Dasein retteten, übel nehmen – waren sie selbst sehr viel tapferer?» Viel hätte er darum gegeben, nicht als jüdischer «Mischling» eingestuft zu werden, «aber so konnte ich nur leise und still arbeiten».
Still und leise kann man das auch nennen: Zwischen Mai 1941 und Oktober 1944 vermittelte Hildebrand Gurlitt im Auftrag des NS-Regimes mindestens 300 Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Tapisserien, mit wenigen Ausnahmen aus dem besetzten Frankreich, im Gegenwert von knapp 10 Millionen Reichsmark an den «Sonderauftrag Linz». Dokumente zeigen die hohen Preise der Werke, für deren Vermittlung Gurlitt eine Provision von 5 Prozent erhielt. Mit anderen Worten: Er machte persönlich ein Vermögen.
Wie alles unter einen Hut bringen?
Im zweiten Teil der «Bestandesaufnahme Gurlitt» unter dem Titel «Der NS-Kunstraub und die Folgen» wird anhand von diversen hochkarätigen Werken von Lucas Cranach d. J, Claude Monet, Auguste Rodin oder eben Max Beckmann Hildebrand Gurlitts Rolle als Kunsthändler vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik in den Fokus gerückt.
Insgesamt präsentiert die Ausstellung, die aus Bonn übernommen und um eine Schweizer Perspektive ergänzt wurde, rund 120 Werke aus dem Nachlass des Kunsthändlers und Vaters von Cornelius Gurlitt, der im Frühjahr 2014 dem Kunstmuseum Bern überraschend seine 1557 Werke umfassende Kunstsammlung vermachte. Wobei der Begriff Sammlung eben kaum zutreffend ist: Vielmehr müsste man von mitunter hochkarätigen Restbeständen eines Kunsthändlers sprechen, einem Lagerbestand an Werken, mit denen der 1956 an den Folgen eines Autounfalls verstorbene Hildebrand Gurlitt nach dem Zweiten Weltkrieg wohl noch einiges vorgehabt hätte: Da hat es altdeutsche und niederländische Maler des 17. Jahrhunderts, Impressionisten und japanische Farbholzschnitte, deutschen Expressionismus und Landschaftsmalerei seines Grossvaters Louis Gurlitt.
So gesehen ist es eine sonderbare Schau, ästhetisch sehr disparat mit vielen Werken im Klein- und Mittelformat – eine Schau auch, die vieles leisten will, historische, kunsthistorische und moralisch-ethische Ebenen aufweist, über die «Fallbeispiele» meist jüdischer Sammler auch eine starke biografische Schneise schlägt, dem Thema «Restitution» einen eigenen Raum widmet und in der «Werkstatt Provenienzforschung» drei Beispiele näher beleuchtet.
War die erste Gurlitt-Schau als «Spezialkapitel» mit den rund 500 Werken «entarteter Kunst» (die alle in Bern bleiben) noch relativ homogen, weil es vorab expressionistische und neusachliche Werke der Moderne betraf, so erzählt diese Ausstellung viele andere Geschichten. Wie das alles unter einen Hut bringen? Die Kunst als Kunst würdigen, das ist hier schwer: Es wird zumindest versucht mit einer Schauwand, wo die «Highlights» hängen, von Gustave Couberts «Dorfmädchen mit Ziege» über einer Flusslandschaft Pieter Bruegel des Jüngeren bis zu Claude Monets «Waterloo Bridge». Die Berner Schau, für die Kuratorin Nikola Doll auch die wenig dokumentierten Handelsbeziehungen Gurlitts zur Schweiz einbringt, nimmt als roten Faden Hildebrand Gurlitts Händlerkarriere von 1933 bis zu seinem Tod 1956.
Zum Beispiel der Fall Dorville
Der als Museumsdirektor in Zwickau und Hamburg zweimal am Widerstand deutschnationaler und NS-Kreise gescheiterte Gurlitt etablierte sich als Kunsthändler in der Privatwirtschaft schnell. 1938 meldete er sich beim Propagandaministerium als Verwerter der «entarteten Kunst». Von einer Grauzone rutschte er als Handlanger des Regimes in immer dunklere Bereiche ab, als er schliesslich für den «Sonderauftrag Linz» arbeitete, teils direkt über ein Sonderkonto, teils mit eigenen Devisen.
In der Ausstellung muss aber immer wieder eingeräumt werden, dass das Ausmass seiner Vermittlungs- und Erwerbstätigkeit für das «Führermuseum» noch wenig erforscht ist und noch viele Herkunftslücken bestehen, die wegen des Verlusts von Akten und teils wohl bewusst gefälschten Geschäftsbüchern wahrscheinlich nie mehr geschlossen werden können. Exemplarisch dafür sei ein «Fallbeispiel» genannt: die Bilder «Dame in Weiss» und «Dame in Profil» des Frühimpressionisten Jean-Louis Forian. Sie befanden sich in der Sammlung des jüdischen Pariser Notars Armand Dorville. Nach dem natürlichen Tod Dorvilles 1941 enthielten die mit den Nazis kollaborierenden Behörden der Familie die Sammlung vor. 1942 wurde die Sammlung im damals unbesetzten Nizza versteigert. Wie Hildebrand Gurlitt in den Besitz dieser Werke kam, ist derzeit noch unklar.
Am Ende bleibt der Eindruck, dass diese zweite Gurlitt-Schau zu viel will und im Einzelfall zu wenig «Nahrung» bietet – allerdings musste sie viel leisten und diverse Aspekte zu einem «starken Narrativ» bündeln», wie Direktorin Nina Zimmer den Anspruch formulierte.
Bis 15. 7, mit Katalog, 24.50 Fr. Begleitprogramm: www.kunstmuseumbern.ch
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