Lesung im Zentrum Paul KleeVom Tellerwäscher zum Schriftsteller
Die fremde Sprache half dem irakischen Autor Usama Al Shamani, in der Schweiz heimisch zu werden.

Im Januar 2020 verbrachte Usama Al Shamani einen kurzen Schreibaufenthalt in Brienz. Er wollte im Berner Oberland für ein arabisches Journal einen Artikel über den Schriftsteller Thomas Mann und über die Bedeutung des Oberlands für diesen schreiben. Auf einem Spaziergang suchte er vor der beissenden Kälte Zuflucht in einem Café am See.
Dort erinnerte er sich, wie er in den 1990er-Jahren als Literaturstudent in Bagdad Thomas Manns «Der Tod in Venedig» auf Englisch und Arabisch gelesen hatte und wie er beeindruckt gewesen war von den elaborierten Satzkompositionen, mit denen der Autor die Zeit strukturierte. Dies weckte in ihm eine diffuse Sehnsucht nach der deutschen Sprache.
Das Leben im Exil, so heisst es in einer arabischen Redensart, sei wie eine Schaukel, die zwischen Entwurzelung und Verwurzelung hin- und herschwenke.
Vor dem ersten Golfkrieg 1991 floh der Student in Bagdad vor den Bomben mit einem Rucksack voller Mann-Bücher in den Süden ins Elternhaus – für ihn war Thomas Mann damals «eine Stimme der Wahrheit inmitten einer Feier des Wahnsinns». Zehn Jahre später inspirierte ihn Thomas Mann zu einem Theaterstück, das von Saddam Husseins Geheimdienst an der Universität verboten wurde. Usama Al Shahmani entschloss sich daraufhin zur Flucht.
Seit 2002 lebt der heute 52-Jährige in der Schweiz. Mittlerweile liest er nicht nur Thomas Mann im Original, sondern schreibt als Schriftsteller auch in deutscher Sprache. Das Leben im Exil, so heisst es in einer arabischen Redensart, sei wie eine Schaukel, die zwischen Entwurzelung und Verwurzelung hin- und herschwenke. Von diesen Schaukelbewegungen erzählt Al Shahmani in einem Stil, der das Pathos nicht scheut und assoziativ-fliessend Szenen im Schweizer Exil mit teils traumatischen Episoden aus der Vergangenheit verknüpft.
Einen Sprachkurs hat Usama Al Shamani nie besucht. Die deutsche Sprache brachte er sich selbst bei, indem er zahlreiche deutschsprachige Bücher las und analysierte. In seiner arabischen Muttersprache hingegen schreibt er noch Gedichte, weil die Sprache eines Gedichts für ihn, bekannte er kürzlich in einem CH-Media-Interview, nahe am Erlebnisraum der eigenen Kindheit sei.
Sein erster Roman «In der Fremde sprechen die Bäume arabisch» (2018) wurde mehrfach ausgezeichnet. Seither sind die Romane «Im Fallen lernt die Feder fliegen» (2020) und zuletzt im Herbst 2022 «Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt» erschienen. Er übersetzt auch ins Arabische, unter anderem «Fräulein Stark» von Thomas Hürlimann. Seit 2021 ist Usama Al Shahmani auch im Kritikerteam beim «Literaturclub» des Schweizer Fernsehens.
Aus der «Tiefe des Schweigens»
In seinem dritten, autobiografisch gefärbten Roman «Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt» erzählt Usama Al Shahmani vom Flüchtling Dafer, der hin- und hergerissen ist zwischen dem neuen Leben in der Schweiz und seinen Erinnerungen an Kindheit und Studentenzeit im Irak, an Krieg und Flucht. Die Erfahrungen in der Diktatur, im Krieg und auf der Flucht suchen ihn immer wieder heim. Schliesslich erhält Dafer trotz negativen Asylentscheids eine Aufenthaltsbewilligung und findet eine Arbeit als Tellerwäscher.
Trost findet Dafer in der Natur: In ausgedehnten Wanderungen entlang der Aare und im Wald, wo er mit den Bäumen auf Arabisch Zwiesprache hält. Er lässt sich jedoch mit aller Kraft auf die neue Sprache ein – und kommt so dem Exil und sich selbst näher. «Die fremde Sprache half ihm», heisst es im neuen Roman, «Wörter aus der Tiefe des Schweigens zu bergen, zum Sprechen zu bringen, wie ein Baum, der nach der Stille des Winters neue Blätter hervorbringt.»
Usama Al Shahmani versteht sich übrigens längst als ein Schweizer Schriftsteller mit irakischem Hintergrund: «Ich schreibe für den deutschsprachigen Raum», sagte er im CH-Media-Interview, «deshalb sehe ich mich nicht in erster Linie als Exilautor.»
Zentrum Paul Klee Bern, Sonntag, 15. Januar, 11 Uhr
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