Verwahrter: Haftanstalt erlaubte Ausgang aus «humanitären Gründen»
Der einweisende Kanton Bern hatte keinerlei Vollzugslockerungen bewilligt oder vorgesehen.
Von Maurice Thiriet Der als gemeingefährlich verwahrte 64-jährige Mörder und Vergewaltiger Jean-Louis B. ist weiter auf der Flucht. Der in der Neuenburger Strafanstalt Bellevue internierte B. hatte am Montag kurz nach zwei Uhr nachmittags während eines Ausgangs in Provence (VD) seine Begleiter, einen Wärter und eine Wärterin der Strafanstalt, mit einer Stichwaffe bedroht, Letztere leicht verletzt und aus dem ungesicherten Auto Reissaus genommen. Danach ist er zu Fuss geflüchtet, auf die ausgerückte Polizei des Kantons Waadt hatte er nach Auskunft von deren Sprecherin rund 10 bis 15 Minuten Vorsprung. Der reichte ihm, genug Abstand zwischen sich und seine Verfolger zu bringen. Bis Redaktionsschluss gestern Abend, rund 36 Stunden nach seiner Flucht, konnte B. nicht wieder gestellt werden.Derweil fragt sich die Öffentlichkeit, weshalb ein so gefährlicher Schwerverbrecher während einer kurzen Haftunterbrechung mit solch minimalem Aufwand fliehen konnte.B. war 1976 wegen Mord und Vergewaltigung zu 12 Jahren Haft verurteilt worden. 1988 wurde er erneut rückfällig und vergewaltigte seine Gefängnispsychologin, wie dem «Blick»-Archiv zu entnehmen ist. Der damals fälligen Freiheitsstrafe zog das Gericht eine Verwahrung auf unbestimmte Zeit vor. Seit 2009 war B. in Bellevue sicherheitsverwahrt.Dass B. in einer Haftanstalt im Kanton Neuenburg untergebracht war, obwohl er zuletzt von einem Berner Gericht verurteilt worden war, ist nicht ungewöhnlich. «Eine verurteilte Person, die über 40 Jahre im Vollzug eingewiesen ist, muss von Zeit zu Zeit in eine andere Vollzugsanstalt versetzt werden», sagt Christian Margot, Vorsteher Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug der Berner Polizei und Militärdirektion. B. sollte verwahrt bleiben Obwohl B. mittlerweile in Neuenburg einsass, war für Entscheide über Vollzugslockerungen oder Wiedereingliederungsmassnahmen wie begleitete oder unbegleitete Urlaube immer die einweisende Behörde zuständig, also der Kanton Bern. Laut Margot hat sein Amt «im vorliegenden Fall keine Vollzugsöffnungen bewilligt und auch keine ins Auge gefasst». Beim fatalen begleiteten Ausgang am Montag sei es um einen humanitären Akt gegangen, den die geschlossene Anstalt bewilligen könne. Damit kommt der Kanton Bern aus der Schusslinie. «Die Vollzugsanstalt bewilligt einen solchen begleiteten Ausgang in eigener Kompetenz und Verantwortung und ist selber für alle notwendigen Sicherheitsmassnahmen zuständig und verantwortlich», sagt Margot. Ausgänge im humanitären Sinn würden Langzeithäftlingen gewährt, damit diese «Veränderungen ausserhalb der Vollzugsanstalt zur Kenntnis nehmen» können.Ueli Graf, Direktor der Zürcher Strafanstalt Regensdorf, gab in Sachen «Ausgang aus humanitären Gründen» im «Zürcher Oberländer» vor einigen Jahren zu Protokoll, dass «einige Verwahrte in Begleitung von mehreren Beamten ab und zu an den Katzensee spazieren und eine Portion Pommes frites essen gehen». Das beuge dem Anstaltskoller, dem sogenannten Prisoner-Effekt, vor.Wie Rebecca de Silva, Sprecherin des Zürcher Amtes für Justizvollzug sagt, sei es auch in Zürich üblich, dass Häftlinge bei Ausgängen nicht gefesselt und dass Begleitpersonen nicht bewaffnet seien. «Eine Flucht kann durch das Betreuungspersonal nicht verhindert werden», sagt de Silva. Hochgefährlichen oder fluchtgefährdeten Tätern würde aber keinerlei Ausgang gewährt.Warum offensichtlich genau das im Fall B. in der Strafanstalt Bellevue passiert ist, wollen die Neuenburger Behörden heute vor den Medien erklären. Der ausgerissene Verbrecher Jean-Louis B. Foto: PD Mit Hunden wird nach dem Flüchtling gesucht. Foto: Keystone
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