Und es dreht sich doch nicht
In Zeiten der Pandemiefurcht kann es nicht schaden, sich über die Einrichtungen des Gesundheitswesens zu orientieren. Also besuchen wir das «Panorama», das Restaurant im Bettenhochhaus des Inselspitals.
Das Lokal wurde vor einem Jahr gastronomisch und innenarchitektonisch umgestaltet. Es ist zwar öffentlich, doch gewährt es nur technisch Versierten Einlass, ist es doch mit einem speziellen Lift ausgestattet. Wer diesen benützen will, lese zuerst den doppelseitig bedruckten Faltprospekt «Neue Liftsteuerung». Im Lift hat es keine Knöpfe. Der Fahrwunsch muss aussen auf einer Tastatur eingegeben werden. Diese enthält fast so viele Buchstaben wie eine Computertastatur, denn wir sind in einem Hochhaus. Auf der Fahrt zum Restaurant in 80 Metern Höhe vernimmt man von Spitalbesuchern in Gesprächsfetzen einiges über den Gesundheitszustand der Angehörigen, die auf irgendeiner Etage liegen.
«Pan» ist das Verpflegungskonzept des Restaurants: Eine leichte, ausgewogene, abwechslungsreiche Küche, die sich nicht an die «Sonntagsbratengeneration» richtet, wie der Leiter bei der Eröffnung vor einem Jahr verlauten liess. Das stressresistente Küchenpersonal behält auch während des Mittagsansturms kühlen Kopf und stellt den Gästen die Kreationen zusammen. Ein «Bauern-Pan» (Fr. 9.10) besteht aus Bauernbrot, enthält Kräuterfrischkäse, Senf, Bierrettich und Kopfsalatblätter. «Zopf-Pan» (Fr. 11.20) vereinigt Virginia-Schinken, Honigsenfdipp und Blattsalat. Weiter im Angebot: die kalte spanische Suppe Gazpacho (Fr. 6.30) oder eine karibische Salatbowle (Fr. 10.60).
Die eine Begleiterin bestellt den «Chrigel-Pan»: gebratenes Zanderfilet, zarte Grünspargeln, umrandet von Twanner Weinschaumsauce auf hausgemachtem Blätterteigkissen (Fr. 11.50). Der zweiten hat es – der hysterischen Seuchenangst zum Trotz – der «Mex-Pan» angetan: ein hausgemachter mexikanischer Rindshamburger mit sautierten Peperonistreifen an einer Chilisauce im Mais-Pan (Fr. 10.40). Der Testesser führt sich einen «Pan Wrap Helena» zu Gemüte: mit pikant gewürzten Schweinskarreestreifen, Tomaten, sautierten roten Zwiebeln, Knoblauch und Eisbergsalat, im Weizenfladen eingerollt (Fr. 9.20).
Wer sich im Leben ein sonniges Plätzchen ergattert hat, gibt es nicht so schnell wieder her. Das ist auch auf der Terrasse nicht anders. Auf Landi-Stühlen – ein Aluminium-Designer-Stück der Landesausstellung von 1939 – sitzen die Gesättigten und saugen Licht und Wärme in sich ein. Die Liegestühle wären noch frei, doch wir sind keine Römer. Also bleiben wir drin und balancieren die Tabletts die Treppe hoch. Hier, auf der Empore des 130-plätzigen Restaurants, sind noch Fensterplätze zu haben. Der Rundblick auf Bern ist fantastisch, aber auch verwirrlich. Das Bundeshaus ist nicht dort, wo man es vermutet. Markante Bauten erleichtern die Orientierung: Pauluskirche, Résidence-Hochhaus, Friedenskirche oder Kehrichtverbrennungsanlage. Es ist ein Gefühl wie in einem Drehrestaurant, einfach ohne Drehung.
Die Menüs schmecken prima, die Gerichte sind schön angerichtet, die Speisen wirken frisch und frühlingshaft leicht. Eine Weinkarte sucht man vergeblich. Wer statt Süssgetränken (5dl Fr. 3.90) wie Grapefruit, Mandarin oder Flauder (Appenzeller Wasser mit Holunder- und Melissengeschmack) Herbes vorzieht, liegt mit dem alkoholfreien Appenzeller Leermondbier (Fr. 3.80) goldrichtig.
Zwar hat uns eine Angestellte drei Becher Luna-Llena-Himbeerglace (Fr. 3.–) geschenkt (Danke!). Dennoch suchen wir das Dessertbuffet auf. Diesmal setzen wir uns auf die gelben und roten Ledersessel in der Mitte des Lokals, die aber nicht so bequem sind, wie sie aussehen. Wir naschen von einem wunderbaren Johannisbeerkuchen (Fr. 4.90).
Früher gab auf dem Insel-Areal getrennte Restaurants für Ärzte, Pflegepersonal und Patienten. Heute sind diese Schranken eingerissen. Nebenan sitzt ein Mann in einem Rollstuhl, den geschwollenen Fuss hochgelagert, über Schläuche mit dem «Christbaum» verbunden, dem rollenden Infusionsständer. Unbemerkt zwischen den Schwestern und Medizinstudierenden taucht der Herzchirurg auf, dem unlängst ein Bundesrat per Helikopter zwecks Operation zugeführt worden war, um ihn für die Bewältigung der Finanzkrise wieder fit zu machen. Der Chirurg blättert in einer Zeitung und verzehrt dazu ein Holländertörtchen (Fr. 2.10).
Beim Lift würden wir am liebsten die Taste mit dem Bett-Zeichen wählen, aber Mittagsschläfchen gibts nicht. Der Tag der Arbeit wird nicht grundlos sogenannt.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch