Trotz Denkmalschutz droht im «Tscharni» der erste Abbruch
Selbst nach teuren Sanierungen entsprechen die Wohnungen im Berner Tscharnergut nicht den heutigen Standards. Doch der Denkmalschutz stellt für Neubauten eine hohe Hürde dar.

Wenn Walter Straub durchs Tscharnergut spaziert, tut er dies mit gemischten Gefühlen. Der Geschäftsführer der Baugenossenschaft Fambau ist stolz, gehören «seiner» Genossenschaft mehrere Gebäude der Berner Pioniersiedlung aus den späten 1950er-Jahren. Gleichzeitig bereitet ihm das achtgeschossige Scheibenhaus an der Fellerstrasse 30 Kopfzerbrechen. Die Immobilie mit Baujahr 1959 ist stark sanierungsbedürftig.
Einzelne Wohnungen sind aufgrund eines Wasserschadens bereits nicht mehr bewohnbar. Für Straub ist deshalb klar: Das Haus muss weg. Die Fambau hat deshalb ein generelles Baugesuch eingereicht, das einen Ersatzneubau vorsieht.
Doch so einfach ist es nicht. Das Tscharnergut als Ensemble – und auch das Gebäude an der Fellerstrasse 30 – ist im Bauinventar der Stadt Bern als schützenswert eingestuft. «Das ist ein sehr starker Schutz», sagt Regierungsstatthalter Christoph Lerch, der über das Baugesuch entscheiden wird. Und: «Schützenswerte Baudenkmäler dürfen nicht abgebrochen werden.»
Auch ist unbestritten, dass die Siedlung den Schutz verdient. Aus Fachsicht sei es ein klarer Fall, dass die Gebäude des Tscharnerguts in das Bauinventar gehörten, sagt jedenfalls Jean-Daniel Gross, der Denkmalpfleger der Stadt Bern. «Architekten aus der ganzen Welt kamen seinerzeit nach Bern, um sich diese Pioniersiedlung anzuschauen.»
Ganz unmöglich sei ein Ersatzneubau trotzdem nicht, sagt Lerch. «Entscheidend ist das konkrete Neubauprojekt.» Es müsse qualitativ mindestens so gut wie der Vorgänger sein und sich optisch einwandfrei in das Quartier einfügen. «Sodass der gewöhnliche Spaziergänger keinen Unterschied zum Altbau sieht.» Zudem brauche es überzeugende Gründe, wieso von einer Sanierung abgesehen werde.
Vergangene Sanierung schreckt ab
Der für Straub beste Grund, der gegen eine Sanierung spricht, steht nur wenige Meter vom Gebäude an der Fellerstrasse entfernt: Es ist das typähnliche Scheibenhaus an der Waldmannstrasse 25, welches ebenfalls zum Tscharnergut gehört. Die Fambau hat das Gebäude für 27 Millionen Franken aufwendig saniert. Dabei versuchte die Fambau, vorbildlich vorzugehen. Damit die Bewohner das Haus nicht verlassen mussten, wurde die Sanierung in drei Etappen durchgeführt.
«Ein Neubau würde zeitgemässes Wohnen ermöglichen.»
Zudem wurde dem Gebäude – nach langem Hin und Her mit der Denkmalpflege – an der Westseite eine drei Meter breite Schicht angefügt. So konnten Wohnzimmer und Balkone vergrössert werden. Auch denkmalpflegerischen Bedenken räumten die Architekten viel Platz ein. Sie orientierten sich stark an der ursprünglichen Fassade, was ihnen von Fachleuten viel Lob einbrachte. So zeigte sich die Architekturzeitschrift «Hochparterre» begeistert und sprach von einer «vorbildlichen Sanierung».
Straub seufzt. «Den Architekten gefällts», sagt er. Die Wohnungen entsprächen aber weder den Bedürfnissen heutiger Mieter, noch genügten sie den aktuellen energetischen, feuerpolizeilichen und den lärmtechnischen Standards. So seien die Kinderzimmer mit neun Quadratmeter viel zu klein. Mit den 14 Zentimeter dünnen Betondecken seien die Wohnungen darüber hinaus sehr ringhörig. «Ein Neubau wäre kaum teurer geworden, würde aber ein zeitgemässes Wohnen ermöglichen.» Und für die Mieter hätte dies auch keine negativen Konsequenzen. «Die Mieten bei einem Neubau wären nicht höher als beim sanierten Altbau.»
Auch andere Häuserbesitzer im Tscharnergut kennen die Schwierigkeiten. Der Baugenossenschaft Brünnen-Eichholz gehört unter anderem das typgleiche Scheibenhaus an der Waldmannstrasse 39. Es leidet unter denselben Problemen, wie die Häuser der Fambau. Abgerissen wird es aber nicht, wie Danièle Gottier, Geschäftsführerin der Baugenossenschaft, auf Anfrage ausführt. «Wir sanieren es nach Vorbild der Fambau.»
Die Bauarbeiten sind zurzeit im Gang. Doch wieso ist die Brünnen-Eichholz zu einer anderen Einschätzung als die Fambau gelangt? Ist sie nicht, sagt Gottier. «Wir verstehen die Argumente von Fambau und teilen diese auch», sagt sie. «Aber uns fehlt schlicht die Zeit für das ganze Bewilligungsverfahren.» Schliesslich müsse die Haustechnik dringend erneuert werden. «Bis eine Bewilligung für einen Ersatzneubau vorgelegen wäre, hätte es wohl Jahre gedauert.»
Nun hofft Gottier, dank den Erfahrungen der ersten Sanierungen wenigstens einen Teil der Kosten zu sparen. «Wir verzichten etwa auf eine Etappierung der Sanierung und auf eine Grundrissveränderung, welche das Projekt verteuert hätte.»
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