Strassenmüll schafft Solidarität
Im verschlafenen Berner Kleefeld fehlen Quartiertreff und Gemeinschaftssinn. Mit einer «Guerillaaktion» wollen Bewohner die breiteren Probleme der Betonsiedlung angehen.

An einem Freitagnachmittag ist das Kleefeld kein belebtes Quartier. Die grünen Freiflächen der Hochbausiedlungen im Westen Berns sind weitgehend menschenleer. Im Quartierzentrum Chleehus, einem gedrungenen Betonbau, gehen ein paar Leute im Denner ein und aus; eine rote Katze spaziert gemächlich durch die Passage.
Hier soll neues Leben einkehren, findet eine kleine Gruppe der Quartierbewohner. Mit Unterhaltung, Verpflegungsangeboten und partizipativen Aktionen wollen sie den Gemeinschaftsgeist im Kleefeld fördern. Ein erster Anlass ist für den Samstag geplant: In einer «Guerilla-Aufräumaktion» sollen Nachbarn gemeinsam Strassenkehricht sammeln und entsorgen.
Müll mobilisiert
«Wir wollen auf das Problem aufmerksam machen und die Leute sensibilisieren», sagt Manuel Hauri von der Interessengemeinschaft (IG) Kleefeld. Man werde auch versuchen abzuschätzen, wie viel Müll in sieben Tagen im Kleefeld liegengelassen wird. Dazu hat man die Hauswarte der Blocks gebeten, während einer Woche nicht aufzuräumen. «Den gesammelten Abfall werden wir nach der Aktion genauer analysieren: wo, was, wieviel», so Hauri. Dies werde helfen, weitere Aktionen zu planen.
Freilich sieht es im Kleefeld nicht aus, als wäre seit einer Woche nichts richtig entsorgt worden. Die vereinzelten Schokoriegelhüllen und Zigarettenstummel am Boden sorgen nicht gerade für neapolitanische Zustände. Das Littering-Problem sei denn auch nicht die Priorität, sagt Felix Graf. Er ist bei der Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit (VBG) im Kleefeld aktiv. «Abfall ist hier kein grösseres Problem als in anderen Quartieren Berns», sagt er. «Es ist aber ein Mittel, um die Menschen zu mobilisieren.» Hauri pflichtet ihm bei: «Wie holt man die Leute ab? Man findet etwas, das alle stört, und geht es gemeinsam an.»
Die Menschen hier abzuholen ist eine Herausforderung, die die Mitglieder der IG Kleefeld fasziniert. Es gebe so viele unausgeschöpfte Möglichkeiten, um das Quartier zu beleben, findet Hauri. Sabahattin Ciftci, ebenfalls in der IG, sieht viel Potenzial in der Gegend, wo über 40 Prozent der Bevölkerung Ausländer sind. «Das Kleefeld ist unglaublich international», sagt er. «Wir müssen die vielen verschiedenen Nationen zusammenbringen und Verständnis fördern. Auf diese Durchmischung kann man stolz sein.»
Finanzen fehlen
Aufräumaktionen sind für die IG nur ein erster Schritt. Mit einem fixen Quartiertreffpunkt könne man anfangen, noch mehr für die Nachbarn zu machen, so Ciftci. Er hat viele Ideen: Eine Bibliothek; eine Spielecke für Kinder; ein Ort, wo man sich einen Kaffee oder Tee gönnen könnte, aber ohne Konsumzwang. Später könne man Übersetzungsdienste anbieten, ältere oder kranke Menschen besuchen gehen oder Bewohner beim Ausfüllen der Steuererklärung unterstützen.
Die Einrichtung des ersehnten Treffpunkts ist aber nicht einfach: Den engagierten Bürgern fehlen die finanziellen Mittel. Die VBG habe für Veranstaltungen kein Budget, sagt die Leiterin des Kleefelder Quartierbüros Brigitte Schletti. Entsprechend sei man für die grossen Pläne auf Fundraising angewiesen.
Das Kleefeld ist ein Produkt des Wohnungsbaus der Sechziger- und Siebzigerjahre. Die Siedlung steht vor einigen Herausforderungen. Man merke, dass man an der Peripherie sei, sagt VBG-Mitarbeiter Felix Graf. Die komplexe Zusammensetzung der Eigentümerschaft erschwere den Ausbau der Siedlung: Im Kleefeld gebe es Eigentümer von Stockwerken, einzelner Wohnungen oder ganzer Blocks. Darum, aber auch wegen Lärmbedenken seien Pläne für eine Feuerstelle im Quartier versandet. «Für die öffentlichen Räume wird wenig gemacht», sagt Graf. «Wenn die Leute den Raum nicht als ihr Gemeingut wahrnehmen, tragen sie auch nicht Sorge dazu.»
Zusammenkunft der Verwalter
Auf Anfrage sagt ein Sprecher der Ascofida AG, dass Pläne für den Ausbau eines Spielplatzes gestoppt wurden. Die Firma verwaltet ein grösseres Wohngebäude in der Siedlung. «Die Eigentümer sind in der Regel an der Erweiterung der öffentlichen Anlagen interessiert», sagt der Sprecher. Oft komme jedoch von Mietern Widerstand. «Sie wollen nicht, dass auswärtige Kinder dort spielen und Lärm machen.»
Ascofida begrüsse die Aufräumaktion der Quartierbewohner. Für die Entsorgung von Strassenmüll müssten meist die Eigentümer aufkommen. Um dieses und andere Probleme im Quartier zu lösen, sei Zusammenarbeit gefragt. «Vielleicht müssten einmal alle Verwalter zusammenkommen und das Ganze besprechen.» Die Ascofida würde jedenfalls bei einem solchen Treffen mitmachen.
Zunächst treffen sich aber Quartierbewohner am Samstagmorgen auf der Terrasse des Chleehus. Die IG Kleefeld hofft, dass sich durch noch weitere Aktionen im Sommer ein Gemeinsinn entwickelt. «So gehen wir gegen die Anonymisierung im Quartier vor», sagt Manuel Hauri. «Mit Glück entsteht wieder ein positiver Quartiergeist.»
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