Stadt stellt zwei Lehrerinnen für fahrende Kinder an
Kinder von Jenischen sollen im Winter Förder- und im Sommer Fernunterricht erhalten.

Nach den Sommerferien beginnt ein städtisches Pilotprojekt für jenische Schulkinder. Die Schulbehörde hat dazu zwei Lehrerinnen angestellt, wie die Stadt Bern mitteilt. Die Lehrerinnen sollen jenischen Kindern im Sommer Fernunterricht erteilen und sie im Winter in sogenannten Lernateliers fördern. Das Pilotprojekt dauert vorerst drei Jahre.
«Wir begrüssen das sehr», sagt Fino Winter. Der Jenische ist Vater dreier schulpflichtiger Kinder. Im Winter lebt die Familie auf dem Standplatz Buech. Die Kinder gingen bereits im Stapfenacker zur Schule, sagt der Vater. Es sei gut, wenn sie auf Reisen könnten und danach doch keine Mühe im Unterricht hätten. «Unser Anliegen ist, dass die Kinder lesen, schreiben und reisen können», sagt Winter. Wie der Unterricht mit den beiden Lehrerinnen aussehen werde, wisse er aber noch nicht.
Gespräche mit jenischen Eltern
Obwohl das Projekt noch in der Aufbauphase ist, erklärt Schulinspektor Peter Hänni, was geplant ist: «Die Lernateliers funktionieren analog zu Berufsvorbereitungsateliers für Oberstufenschüler», sagt er. Kinder mit schulischen Lücken könnten diese mit individueller Betreuung aufarbeiten. Dafür seien bestimmte Zeiten vorgesehen, in denen die Kinder zur Lehrerin im Atelier statt in den laufenden Unterricht gingen, sagt Hänni. «So kann man bei jedem Kind schauen, wo es steht und was es braucht.»
Die Lernateliers würden in diesem Jahr im Oktober beginnen, erklärt Armin Imstepf. Er ist Schulleiter des Schulhauses Stapfenacker, wo das Pilotprojekt stattfinden wird. Die fahrenden Kinder, die im Winter auf dem Standplatz Buech leben, würden neu alle im Stapfenacker zur Schule gehen und könnten so vom Förderunterricht profitieren.
Die Schule erhalte 20 zusätzliche Lektionen, um die Lernateliers und den Fernunterricht aufzubauen, erklärt Imstepf. Dabei hätten die Lehrerinnen den Auftrag, sich vertieft mit der jenischen Kultur auseinanderzusetzen, sagt er. Dazu gehöre intensive Arbeit mit den Eltern der fahrenden Kinder. «Wir wollen nichts machen, was die Eltern nicht akzeptieren», sagt Imstepf.
Skeptische Jenische
Im kommenden Sommer sollen die Lehrerinnen den Kindern auf Reisen Fernunterricht anbieten. Dieser sei jedoch nicht obligatorisch, sagt Irene Hänsenberger, Leiterin des städtischen Schulamtes. «Wir können die Kinder nicht zwingen, am Fernunterricht teilzunehmen», sagt sie. Dazu brauche es die Kooperation der Eltern.
Es gebe sehr interessierte Eltern, die für neue Unterrichtsformen etwa via Skype offen seien, sagt Hänsenberger. Andere Jenische seien skeptisch. Die Frage, wie sehr die Schule ein Kind präge, sei ein grosses Thema. «Einige Eltern haben Angst, dass Bildung die Sesshaftigkeit fördert und die jenische Kultur infrage stellt», sagt sie.
Fino Winter bestätigt, dass nicht alle Eltern aus dem Buech das Schulprojekt wollten. Viele Fahrende stünden dem Projekt «Lernen unterwegs», von dem die Lernateliers und der Fernunterricht im Stapfenacker Teil sind, skeptisch gegenüber. «Sie haben Angst, dass Lehrer auf den Platz kommen und kontrollieren», erklärt Winter. Diese Angst erklärt sich aus der jüngeren Schweizer Geschichte. Bis in die 1970er-Jahre nahmen die Behörden jenischen Familien die Kinder weg.
Venanz Nobel von Schäft Qwant, einem transnationalen Verein für jenische Zusammenarbeit und Kulturaustausch, will dem Pilotprojekt der Stadt Bern zwar keine Vorschusslorbeeren erteilen, findet aber, es scheine «ganz vernünftig». «Die intensive Zusammenarbeit mit jenischen Eltern ist der richtige Ansatz.» Nobel sagt, er begrüsse auch die bessere Bildung für jenische Kinder, wenn diese damit ihre Kultur und die fahrende Lebensweise weiterentwickeln könnten. Mit der besseren Bildung könnten sie sich allenfalls neue Berufsfelder erschliessen, die sich mit der reisenden Kultur vereinbaren liessen, zum Beispiel in der Online-Branche: «Die Jenischen sind in der Internetwelt aktiv angekommen.»
Nobel bemängelt allerdings, dass die Geschichte und Gegenwart der Jenischen nicht zum allgemeinen Schulstoff gehört. «Dies würde die Akzeptanz der Schule bei jenischen Eltern fördern, und die Kinder würden sich in der Schule gleichberechtigt fühlen.»
SDA/spr
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