Stadt macht Rückzieher
Wer zu viel verdient, fliegt nun doch nicht aus der billigen Stadtwohnung raus: Die Liegenschaftsverwaltung zieht wegen eines Irrtums einen Teil der Vertragsänderungen für 1600 Mieter von Stadtwohnungen wieder zurück. Die Betroffenen erheben trotzdem massenhaft Einsprache.

Die Stadtberner Liegenschaftsverwaltung macht einen Rückzieher: An der Anwohnerversammlung der Siedlung Steigerhubel hat Renate Ledermann, Bereichsleiterin Immobilienverwaltung, angekündigt, dass ein Teil der Mietvertragsänderungen für 1600 Mieterinnen und Mieter von Stadtwohnungen zurückgezogen wird. Grund hierfür ist ein Versehen der Behörde: Die Mietvertragsänderung steht im Widerspruch zu den Richtlinien des Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetzes (WEG), die Bestandteil von knapp der Hälfte der betreffenden Mietverträge sind. Wohnungen mit Mietverträgen gemäss WEG-Richtlinien können von jedermann gemietet werden – unabhängig von Einkommen und Vermögen. «Es ist grundsätzlich richtig, dass jedermann eine WEG-Wohnung mieten kann», sagt Ledermann auf Anfrage. Die Liegenschaftsverwaltung will nun bis spätestens 6. Mai ein Schreiben an mehrere Hundert Mieter von WEG-Wohnungen verschicken, in dem die Mietvertragsänderung von Ende März für nichtig erklärt wird. Bei der anderen Hälfte der Mieter, deren Wohnungen nicht dem WEG unterstellt sind, hält die Verwaltung «bis auf Weiteres» an der Vertragsänderung fest. Stadt will Mieter einbeziehenMit den Vertragsänderungen wollte die Stadt Einkommens- und Vermögenslimiten geltend machen, damit der günstige Wohnraum auch jenen Personen zugutekommt, die finanziell nicht auf Rosen gebettet sind. Gemäss der Vertragsänderung darf das monatliche Bruttoeinkommen eines Haushaltes nicht mehr als das Fünffache des Nettomietzinses betragen. Massgebend ist allerdings das Bruttoeinkommen der Mieter auf eine 100-Prozent-Stelle hochgerechnet. Zudem darf das Vermögen der Haushaltsmitglieder nicht mehr als 144000 Franken betragen. Wer diese Kriterien nicht erfüllt, muss mit einer Kündigung rechnen. Das Vorgehen der Liegenschaftsverwaltung hat unter den 1600 Mieterinnen und Mietern der 1200 Stadtwohnungen für grosse Unruhe gesorgt. Der Quartierratsausschuss Steigerhubel rechnet damit, dass bei einer konsequenten Umsetzung der neuen Bedingungen «ein grosser Teil der bestehenden Mietverträge aufgelöst wird». Er weist zudem darauf hin, dass die «plötzliche und weitreichende Änderung» der Mietbedingungen den partnerschaftlichen Umgang zwischen Bewohnern und Verwaltung infrage stelle. Die soziale Durchmischung der Siedlung sei «politisch gewollt» und im Mietvertrag ausdrücklich festgehalten. Quartiervertreter Lukas Wartenweiler weist darauf hin, dass Ledermann die Einsetzung einer Arbeitsgruppe angekündigt habe, an der auch Vertreter der Quartierorganisationen beteiligt sein sollen. In ihren schriftlichen Antworten auf Fragen des «Bund» weist Ledermann allerdings darauf hin, dass die Festlegung der Mietbedingungen eine «operative Tätigkeit» der Liegenschaftsverwaltung sei, «an welcher die Mieterschaft nicht partizipiert». Sowohl im Steigerhubel als auch im Murifeld, einem weiteren betroffenen Quartier, hofft man trotzdem auf die partnerschaftliche Ausarbeitung neuer Richtlinien für die Vertragsänderungen. «Man sollte vom steuerbaren Einkommen und nicht vom Bruttolohn ausgehen», sagt Murifeld-Quartierdelegierter Patrick Stöckli. Dem Mietervertreter schwebt auch eine Lösung vor, wie sie in Genf praktiziert wird, wo gut verdienende Mieter in einen Fonds zur Stützung der billigen Mietzinse einzahlen. «Entmischung ist kein Ziel»Trotz dem teilweisen Rückzug der Vertragsänderungen und der Einsetzung einer Arbeitsgruppe rät der Mieterverband allen Betroffenen, die Vertragsänderungen vorsorglich anzufechten. «In der Stadt Bern gibt es zu wenig günstigen Wohnraum», sagt Kantonalverbandspräsidentin und Nationalrätin Evi Allemann (sp). In diesem Sinne unterstütze sie die Stossrichtung der Stadt. «Das Vorgehen darf aber keine weiteren Ungerechtigkeiten schaffen.» Die Liegenschaftsverwaltung hat sich bereit erklärt, sich mit Vertretern des Mieterverbands bis Mitte Mai an einen Tisch zu setzen. «Die Vertragsänderungen sind reichlich diffus und werfen viele Fragen auf», sagt Geschäftsführerin Regula Brügger. Keine Kenntnis vom Vorgehen der Liegenschaftsverwaltung hatte die Betriebskommission des Fonds für Boden- und Wohnbaupolitik, zu deren Eigentum die betroffenen Liegenschaften gehören. «Die Liegenschaftsverwaltung hat uns über die Art und Weise ihres Vorgehens nicht ins Bild gesetzt», sagt Fondsmitglied Tilman Rösler (gb). Dies sei an sich nicht tragisch, da sich der Fonds primär mit den strategischen Zielen der Wohnpolitik befasse. «Eine soziale Entmischung von Quartieren kann aber nicht das Ziel städtischer Wohnpolitik sein», sagt Rösler. Die Betriebskommission werde sich mit dem Thema nochmals befassen. «Wir geben offen zu, dass die Liegenschaftsverwaltung die Reaktionen unterschätzt hat», sagt Renate Ledermann.
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