Spitzel fotografierten Teilnehmer an Zürcher Uni-Seminar
Die türkische Regierung lässt offenbar auch an der Uni spionieren. Doktoranden erzählen, wie Tagungs-Teilnehmer und Besucher abgelichtet wurden.
Die Bespitzelung von Personen in der Schweiz durch die türkische Regierung geht weit. So weit, dass auch Schweizer davon betroffen sind. Das zeigen Ein- und Ausreisesperren von schweizerisch-türkischen Doppelbürgern. Sie wurden am Flughafen Istanbul aufgehalten, wie die «NZZ am Sonntag» berichtet.
Betroffen sind aber nicht nur Doppelbürger. Auch Schweizer Universitäten sind ins Visier der türkischen Spitzel geraten. Ein Doktorand der Universität Zürich sagte gegenüber Redaktion Tamedia: «Es ist gang und gäbe, dass Leute für die türkische Regierung an Tagungen und Konferenzen erscheinen, um die Teilnehmer zu fotografieren oder aufzunehmen.» Namentlich wollte der Akademiker in der Zeitung nicht erwähnt werden. Er befürchtet, die türkischen Behörden könnten ihm künftig den Zugang zu Archiven verwehren.
Der Doktorand schildert Bespitzelungsaktionen, von denen er persönlich betroffen war: Am 11. Januar erschienen zwei Männer am historischen Seminar bei einer Abendveranstaltung zum Thema Völkermord an den Armeniern. Sie hätten die Besucher systematisch mit dem Mobiltelefon fotografiert.
Mit der Kamera in der Aula
Noch dreister agierten zwei andere Spitzel einen Monat zuvor während einer Würdigung der Arbeit von Can Dündar, Chefredaktor der türkischen Zeitung «Cumhuriyet». Sie machten kein Geheimnis daraus, dass sie vor allem wegen des Publikums da waren. Einer zückte eine Spiegelreflexkamera. Wohl um die Gesichter noch besser anzuvisieren. Während der gesamten Veranstaltung sass er auf dem Balkon der Aula und knipste einen Besucher nach dem anderen ab. Ein Handybild des türkischen Spitzels, das ein Besucher der Veranstaltung von ihm geschossen hat, liegt Redaktion Tamedia vor.
Video – derweil droht Erdogan den Holländern:
Akademiker sind überzeugt: Über jeden, der zur Türkei, zur Kurdenfrage oder zum armenischen Genozid forscht, wird in Ankara eine Fiche angelegt. Egal woher er kommt. Ein anderer Doktorand der Universität Zürich mit türkischen Wurzeln sagt: «Das Klima wird immer vergifteter.» Er fürchte sich mittlerweile davor, etwas Erdogan-kritisches auf Facebook zu veröffentlichen. «Den Türkei-Spitzeln entgeht nichts.»
Er habe Bekannte, die bei der Ferienreise in die Türkei ihren Pass verloren hätten. Auch der zweite Doktorand wollte namentlich nicht genannt werden. Seine Eltern leben in Istanbul, und er befürchtet, sie könnten selbst dann darunter leiden, wenn er aus der fernen Schweiz die Regierung kritisiere.
Es sind alles Hinweise darauf, wie gut das türkische Spitzelsystem in der Schweiz ausgebaut ist. Eine mutmasslich zentrale Figur dieses Systems ist Ergin Yilmaz. Er ist Imam und Stiftungsrat der Türkisch-Islamischen Stiftung für die Schweiz mit Sitz in Oerlikon. Ihr sind mehr als fünfzig Schweizer Moscheen angeschlossen. Er amtierte letztes Jahr unter anderem als stellvertretender Botschaftsrat für religiöse Angelegenheiten der türkischen Botschaft in Bern.
Bildstrecke – in Rotterdam eskalierten Demonstrationen:
Yilmaz verfasste im Oktober einen Bericht zur angeblichen Bedrohung durch die Fethullahistischen Terrororganisation (Fetö) in der Schweiz. Adressat: die türkische Regierungspartei AKP in Ankara. Yilmaz berichtete über verdächtiges Verhalten einiger Besucher seiner Moschee in Oerlikon und dass die Fetö in der Schweiz jährlich zwei Millionen Franken einnehmen würde. Die Entwicklung sei gefährlich. Laut der Türkei steckt die Fetö hinter dem Putschversuch vom vergangenen Juli.
Racheaufruf via Facebook
Yilmaz hat keine Hemmungen, seine politischen Ansichten über Facebook mitzuteilen. Zwischen Familienfotos und Bildern von Ausflügen an den Rheinfall mit AKP-Delegationen aus der Türkei empfiehlt er auch Inhalte, die zu Gewalt aufrufen. Etwa einen Blogeintrag vom 26. September 2016. «Habt kein Erbarmen mit den Putschisten. Sie werden unsere Rache spüren!» Es ist nur ein Like auf Facebook, aber doch erstaunlich für einen Mann wie Yilmaz. Er gibt an, als Imam stets zu predigen, dass schon die Tötung eines einzelnen Menschen ein Verbrechen an der ganzen Menschheit sei.
Derweil wächst im Parlament in Bern der Unmut über die offenbar gross angelegten Bespitzelungsaktionen durch die Türkei. Alex Kuprecht, Schwyzer SVP-Ständerat und Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation, kündigte am Wochenende an, Fragen dazu in der nächsten Sitzung als dringlich zu traktandieren: Soll die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts auf politische nachrichtendienstliche Aktivitäten ein Ermächtigungsgesuch stellen? Kann sie dann ein Strafverfahren eröffnen?
Sollte die Bundesanwaltschaft tatsächlich aktiv werden, könnten die Männer, die an der Universität Zürich fotografierten, aber auch Ergin Yilmaz mit einem Strafverfahren rechnen. Zumindest Yilmaz verfügte im letzten Jahr über keinen Diplomatenstatus - auch heute tut er das nicht, bestätigte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) auf Anfrage. Der Diplomatenstatus hätte ihm in der Schweiz Immunität gewährt.
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