Sozialamt hat zwei brisante Fälle auf dem Tisch
Das Sozialamt der Stadt Bern ging dem Vorwurf nach, es habe bei einer kaufsüchtigen Frau weggeschaut. Und: Hat es eine Millionärin unterstützt?

Zwei Fälle haben diese Woche die Sozialhilfe der Stadt Bern auf Trab gehalten. Über den ersten Fall berichtete der «Blick»: In der 3,5-Zimmer-Wohnung einer verstorbenen Sozialhilfeempfängerin habe man Kleider, Schuhe und Taschen im Wert von geschätzten 100'000 Franken gefunden. Gemäss Recherchen der Zeitung kaufte die Frau fast täglich in der Berner Altstadt ein, sie habe an Kaufsucht gelitten. Zuvor hatte sie in einer 1-Zimmer-Wohnung gelebt, dann sei ihr vom Sozialamt eine grössere Wohnung zugesprochen worden. Der «Blick» berichtete zudem von Reisen in die Heimat Italien, die unentdeckt blieben.
Am Freitag nahmen Sozialdirektorin Franziska Teuscher (Grünes Bündnis) und Sozialamtleiter Felix Wolffers vor den Medien Stellung. «Natürlich werfen solche Schlagzeilen auch bei uns Fragen auf», so Teuscher. Er habe das Dossier deshalb beim Sozialrevisorat überprüfen lassen, so Wolffers. Die Kontrolle habe ergeben, dass der Fall korrekt geführt worden sei, es gebe keine Anzeichen für Sozialhilfemissbrauch. Die Frau habe keine Leistungen erhalten, auf die kein Anspruch bestanden habe.
Zur Wohnung sagte er, die Mietzinsrichtlinie des Sozialamts liege bei einer Einzelperson bei 900 Franken pro Monat. «Die Mietkosten der Frau lagen bis auf 30 Franken im Monat innerhalb der Richtlinie», so Wolffers. Diese 30 Franken habe die Frau selber bezahlt, was zulässig sei. Zum Auslandaufenthalt bestätigte er eine einmalige Ortsabwesenheit, die vom Sozialdienst nicht bewilligt gewesen war. «Nichts eigentlich Verwertbares»
Komplizierter wirds bei den Kleidern. Es gebe keine Hinweise auf nicht deklariertes Einkommen, so Wolffers. Die Frau habe über mehrere Jahre hinweg Sozialhilfe bezogen. Die zusätzlich zum Grundbedarf von knapp 980 Franken bezahlten Leistungen seien sehr bescheiden gewesen. Hinweise auf eine Kaufsucht hätten sich im Dossier nicht ergeben. Das Revisorat habe versucht, den Wert der Kleider und Schuhe herauszufinden, und einen Hinweis darauf beim Konkursamt gefunden, das die Wohnung Anfang Juni besichtigte. Dessen Mitarbeiterin habe die Situation wie folgt beschrieben: «Es wurde zwar eine Menge Kleider vorgefunden, jedoch nichts eigentlich Verwertbares.»
Damit sei zumindest stark zu bezweifeln, dass die Kleider wirklich einen hohen Wert gehabt hätten, so Wolffers. «Wir gehen davon aus, dass der Wert der Kleider nicht annähernd in der erwähnten Grössenordnung lag.» Ob die Frau die Kleider über Jahre hinweg angesammelt oder geschenkt bekommen hat, ob sie gestohlen wurden oder die Frau Geld zur Verfügung hatte, bleibt offen. Von regelmässigen Einkäufen in der Stadt habe das Amt keine Kenntnis gehabt. Die Frau wurde zwar betrieben, aber offenbar nicht im Zusammenhang mit Kleiderkäufen.
Bezog Millionärin Sozialhilfe?
Ebenfalls diese Woche erhielt das Sozialamt ausserdem ein Schreiben, wonach eine Frau unterstützt werde, die mehr als eine Million Vermögen habe. Der Nachricht beigelegt war eine Steuererklärung von 2014, welche tatsächlich ein Vermögen von mehr als einer Million ausweise, erzählte Wolffers. Eine Kopie der Nachricht sei an eine Zeitung gegangen. «Als ich die Steuererklärung sah, taten sich auch bei mir ganz viele Fragen auf», sagte Wolffers. Und so hatte das Revisorat erneut einen Auftrag.
Es stiess auf ein Dossier von geschätzten 500 Seiten. Darunter befanden sich Angaben eines Berner Anwaltsbüros zur Finanzlage der Frau. Sie habe ihr Vermögen 2012 in einen liechtensteinischen Trust eingebracht und später auf ihre Ansprüche auf das im Trust lagernde Vermögen verzichtet. Diesen Verzicht bestreite sie heute. Gemäss Anwaltsbüro sei die Vermögenssituation «verworren, intransparent und insbesondere nicht nachvollziehbar».
Hier habe dann die Arbeit der Sozialarbeiter begonnen, und sie dauere noch an, so Wolffers. Klar sei: «Selbst wenn die Frau vermögend ist, muss sie unterstützt werden, wenn sie auf das Geld nicht zugreifen und sich nicht mit eigenen Mitteln aus der Notlage befreien kann.» Habe sie ein Vermögen und Zugriff darauf, werde sie die Sozialhilfe zurückerstatten müssen. Andernfalls sei die Steuererklärung falsch.
Im Schnitt eine Stunde pro Monat
Der Fall zeige auf, wie komplex Sozialarbeit sein könne, «in der Sozialhilfe liegen Schein und Sein oft nahe beieinander», sagte Teuscher. In der Stadt Bern würden rund 6000 Personen von der Sozialhilfe unterstützt. Sie rechnete vor, dass Sozialarbeiter im Schnitt knapp eine Stunde pro Monat für eine unterstützte Person aufwenden können. In dieser Zeit müssten sie die Person betreuen und beraten, dafür sorgen, dass etwa die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gelinge, administrative Arbeit erledigen und schliesslich auch die Kontrolle sicherstellen, um Missbrauch zu verhindern.
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