Singendes Schlaginstrument
Nach den Auftritten mit dem Berner Symphonieorchester letzte Woche gab der amerikanische Pianist Emanuel Ax ein begeisterndes Solo-Rezital im Burgerratssaal des Kultur-Casino.
Das Klavier ist eigentlich ein Schlaginstrument. Durch den Druck auf die Taste wird ein kleines Hämmerchen in Bewegung gesetzt, das wiederum die Saite zum Erklingen bringt. Jedem Ton geht also ein Hammerschlag voraus. Dennoch gelingt es dem amerikanischen Pianisten Emanuel Ax, dem Klavier wunderbar gesangliche Linien und zart schwebende Klangschleier zu entlocken. Mit sensiblem Anschlag und variantenreicher Phrasierung verleiht Ax den 4 Impromptus (D 935) von Franz Schubert eine eindrucksvolle Spannung und Intensität. Das erste Impromptu bietet wunderbare Abwechslung zwischen energetischem Vorwärtsdrängen und den zarten, nachdenklich gestalteten Passagen. Ax entwickelt daraus phantasievolle Zwiegespräche und spielt sensibel mit dem Tempo. Diese Agogik zieht sich auch durch die übrigen Sätze, beispielsweise das ländlerhafte zweite oder den Variationensatz des dritten Impromptus. Dessen schlichtes Thema wird immer reicher verändert und mit schwebenden Tongirlanden ausgeziert, bevor es am Schluss wieder in seiner Einfachheit zurückkehrt. Im vierten und letzten der Impromptus stellt Ax die unregelmässigen Akzente klar heraus ohne je grob zu werden und zeigt das Werk so nicht von seiner derben, sondern von der kultiviert humorvollen Seite. Virtuose WuchtDieselbe spannende Mischung aus strahlender Leichtigkeit und energetischem Spiel findet sich auch in Schuberts liedhafter A-Dur-Sonate, die den zweiten Teil des Konzertes eröffnet. Die naturhaft schlichten Melodien unterlegt Ax mit unauffällig fliessenden Begleitmustern, die stellenweise allerdings leicht zu verschwimmen drohen. Einen spätromantischen Gegenpol zu den spielerischen Schubert-Werken bilden zwei Ausschnitte aus den «Années de Pèlerinage», den Wanderjahren von Franz Liszt. Wuchtige aber doch kultivierte Forte-Kaskaden durchziehen die «Vallée d'Obermann» – immer im Wechsel mit sehnsüchtigem Innehalten und durchbrochen mit Pausen. Ax erfüllt das virtuose Klanggewitter mit intensivem Ausdruck und eindrücklich gestalteten Rezitativen. Im Gegensatz zum donnernden und den Beifall fordernden «Vallée d'Obermann» gerät das «Sonetto 123 di Petrarca» zu einem schwelgerischen Traum, nach dem man sich als Zuhörer zunächst kaum zu rühren wagt. Erst nach einigen Momenten bricht der Applaus für die intensiven zarten Linien und die chromatischen Seufzer dann durch. Den Abschluss des Konzerts bildet mit dem ersten Mephisto-Walzer von Liszt noch einmal ein halsbrecherisches Virtuosenstück. Wild stimmt der Teufel seine Geige bevor er in einer Dorfschenke zum Tanz für Faust und Gretchen aufspielt. Im Orchesterwerk, zu dem Liszt das Klavierstück später bearbeitete, sind einige Themen durch die Aufteilung auf die verschiedenen Instrumente noch etwas deutlicher hörbar. Ax zeigt aber auch auf dem Klavier eine beachtliche Klangpalette und gestaltet den teuflischen Tanz mit eindrücklicher Sogwirkung. Es versteht sich von selbst, dass das Publikum im Burgerratssaal den Pianisten nicht ohne Zugaben ziehen liess. In drei Chopin-Stücken lieferte Ax denn auch nochmals den Beweis, wie man das Schlaginstrument Klavier sanft zum Singen bringen kann.
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