Sie verbannte das «Fräulein»
Sie ist SP-Mitglied und überzeugte Kämpferin für Gleichstellung: Renate Kohler-Mühlethaler. Die Generalsekretärin der Direktion für Bildung, Soziales und Sport (BSS) tritt Ende Jahr nach 22 Dienstjahren in den Ruhestand.
Das Wohnzimmer strahlt wohlige Wärme und Gemütlichkeit aus. Die vollen Bücherregale zeugen von Fachwissen und Belesenheit; Bilder und Fotos liegen kreuz und quer und sympathisch-chaotisch herum; im Cheminée warten Holzscheite darauf, angezündet zu werden. Auf dem schwarzledrigen Sofa schnurrt eine schwarze Katze; in einer Ecke verbreitet eine bunte Figur von Niki de Saint Phalle Heiterkeit. Nein, die «Nana» der Künstlerin sei nicht echt, sondern eine Kopie, räumt Renate Kohler-Mühlethaler ein. «Eine echte ,Nana‘ zu haben, entspricht einem Wunschtraum.»
Enormes Arbeitspensum
Die 62-jährige Generalsekretärin der städtischen Direktion für Bildung, Soziales und Sport (BSS) tritt auf Jahresende in Pension; dank verbliebenen Ferientagen war sie in den letzten Wochen nur noch sporadisch im Büro anzutreffen. An Überzeit hat sich einiges angehäuft. «Ich war verheiratet mit meinem Beruf», sagt Kohler und lächelt. Manches Wochenende und manchen Abend verbrachte sie im Büro an der Predigergasse und zuvor im Meerhaus.
Diese «enorme Leistungsbereitschaft» blieb andern Kaderleuten der Stadtverwaltung nicht verborgen: Mit «charmanter Hartnäckigkeit» habe sie sich für ihre Direktionsgeschäfte eingesetzt – «unspektakulär, aber wirkungsvoll», sagt beispielsweise Stadtschreiber Jürg Wichtermann.
Insgesamt war die Fürsprecherin 22 Jahre in der Stadtverwaltung tätig, von 1974 bis 1978 und dann wieder ab 1992. «Ich bin ein Fossil. Ich habe noch Trams mit Kondukteur erlebt und im Gerichtssaal mit der mechanischen ,Remington Noiseless‘ Protokolle geschrieben», sagt Kohler. Und erst mit dem Fürsprecherpatent habe sie 1971 als Frau auch noch das Stimm- und Wahlrecht erhalten.
Schulsekretärin 1974
So ganz nimmt man der energischen Frau mit dem widerspenstig krausen Haar und dem originellen Halsschmuck aus roten Steinen ihren Ruhestand nicht ab. Im Papierstapel auf dem Beitisch kramt sie einen alten Zeitungsartikel aus dem «Berner Tagblatt» vom September 1973 hervor. Die Kopie zeigt das Foto einer 27-Jährigen: der bildhübschen neuen Schulsekretärin der Stadt Bern.
Fünf Jahre wirkte sie damals in der Schuldirektion als Sekretärin für Rechtliches und Finanzielles. Als sie ihre erste Tochter zur Welt brachte, gab sie diese Vollzeitstelle auf – gezwungenermassen: «Den Beruf ganz aufgeben, das würde ich heute nicht mehr tun – aber damals hatte man als Frau und Mutter keine andere Wahl», meint Kohler nachdenklich.
Die Katze springt ihr auf den Schoss – etwas ungelenk, hat sie doch schon 14 Jahre auf dem Buckel. Katzen zu halten, dazu sei sie durch ihre Töchter «gezwungen worden», erzählt Kohler. Aber heute gehörten Katzen zu ihrem Leben. Seit 1969 ist die gebürtige Thunerin in Bern zu Hause, fast 30 Jahre in der gleichen Wohnung in der Elfenau. Ihre beiden Töchter hat sie hier allein grossgezogen.
Jobsharing in Kaderposition
Beim Schlittschuhfahren auf dem Egelsee – «das war damals noch möglich» – habe sie den Personalchef der Schuldirektion, Fred Baumann, getroffen. Und der sprach sie darauf an, dass Schuldirektorin Joy Matter eine 50-Prozent-Stelle im Generalsekretariat zu vergeben habe. Sie bewarb sich und wurde 1992 prompt angestellt, zusammen mit Marion Kretz als Beauftragte für die Berufsbildung. «Jobsharing in einer Kaderposition war damals etwas völlig Neues und sorgte im Gemeinderat für heftige Diskussionen», erinnert sich Kohler zurück.
Frauenförderung war ihr in ihrer ganzen Laufbahn wichtig. Sie setzte sich zum Beispiel für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und das Verschwinden des «Fräuleins» ein, war Mitglied der ersten Frauenkommission des Kantons, baute in den 1980er-Jahren die Rechtsberatungsstelle des Frauenverbands Berner Oberland wieder auf, setzte sich dafür ein, dass «typische Frauenberufe» wie Kindergärtnerin und Sekretärin ein höheres Ansehen erhielten.
Für stadtgerechte Lösungen
Unter fünf Chefs verschiedener politischer Couleur hat Kohler gearbeitet: Arist Rollier (fdp), Peter Hubacher (svp), Joy Matter (jbfl), Claudia Omar (ldu), Edith Olibet (sp). Mit Letzterer verspürte Kohler inhaltlich die grösste Übereinstimmung, ist sie doch selbst SP-Mitglied und stammt aus einer SP-Familie. «Aber eine Generalsekretärin darf sich nicht auf politische Diskussionen einlassen, sondern muss primär der Sache dienen», sagt Kohler. Sie sei mit allen Direktionsvorsteherinnen und -vorstehern gut ausgekommen.
Gute Schulen, Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche und eine situationsgerechte Altersversorgung waren das Ziel. Kohler leitete Projekte wie die Kantonalisierung der Höheren Mittelschulen, später der Berufsschulen und der Spitalversorgung.
Ihre heutige und letzte Chefin, Edith Olibet, ist denn auch des Lobes voll für Kohler: Sie sei eine Generalsekretärin gewesen, «wie man sie sich nur wünschen kann – blitzgescheit, mit hervorragender Dossierkenntnis, konstruktiv kritisch».
Unter Olibet arbeitete Kohler acht Jahre lang und leitete das Generalsekretariat zusammen mit Sven Baumann. Die Zusammenlegung von Schul- und Sozialdirektion 2004 zur heutigen Direktion BSS sei eine derart komplexe Aufgabe gewesen, dass die Bewältigung im Zweierteam ideal gewesen sei.
Die erzielten Erfolge im Bildungs- und Sozialbereich waren oft unspektakulär und nicht medienwirksam. «Wir konnten eben keine Bauwerke wie einen neuen Bundesplatz einweihen.» Was für Kohler zählte, «ist das Bewusstsein, dass es den meisten Menschen in Bern gut geht und unsere Stadt für Jung und Alt attraktiv und einmalig ist.»
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