Sie singen den Krieg weg
Im bosnischen Pontanima-Chor bewältigen Christen, Muslime und Juden die Vergangenheit. Aktuell sind sie in der Schweiz zu hören, zusammen mit einem Schweizer Chor.
«Nochmals, von Anfang an», «Iz pocetka» – Fortunat Frölich, Dirigent aus der Schweiz, und Alma Aganspahic, Dirigentin aus Bosnien, proben mit ihren Chören im Limmatschulhaus in Zürich. Der Schweizer Chor Interkultur singt zusammen mit dem bosnischen Pontanima-Chor Lieder verschiedener Religionen. Die gemeinsamen Konzerte in Bosnien waren ein Erfolg, nun stehen jene in der Schweiz an.
Mittendrin richtet sich Franziskanerbruder Ivo Markovic aus Bosnien auf, er ist bereit für den nächsten Einsatz im «Agnus Dei». Früher spielte Markovic in einem christlichen Rockorchester – Friedenslieder. Der Krieg kam trotzdem. Zu Ostern 1996 wollte Markovic im völlig zerstörten Sarajevo in der katholischen Kirche der kroatischen Gemeinschaft singen. «Aber da waren keine Leute.» Also lud er alle ein, mitzusingen: Muslime, Juden, Atheisten, Orthodoxe – und gründete den Pontanima-Chor. Pons, lateinisch für Brücke, anima für Seele.
«Im Chor fühlen sich alle zu Hause, das ist Musik, das ist Frieden.»
«Es war ein langer Prozess», so Markovic. «Zu Beginn war es für einige physisch nicht möglich, Lieder in der Sprache des Feindes zu singen.» Doch dieselben Leute seien später zu ihm gekommen, um ihm zu sagen, wie schön es sei, diese Lieder zu singen. Markovic war überzeugt von seiner Idee der positiven Provokation. «Für das Publikum war es ein Schock, ein ‹Allah u akbar› in einer Kirche zu hören.» Er lacht.
Sogar in Belgrad habe der Chor islamische Ilahias (traditionelle islamische Lieder) gesungen. Der Applaus danach sei riesig gewesen, trotz des rundherum grassierenden Nationalismus der Nachkriegszeit. Darin sieht Markovic die Stärke der Kunst. Sie nehme den Leuten die Angst vor dem «Anderen», zeige stattdessen das Schöne. «Wir heilen noch immer die Wunden der Leute», so Markovic. Er selbst hat im Krieg seinen Vater und viele weitere Familienangehörige verloren.

Heute, über 20 Jahre nach Kriegsende in Bosnien, respektiert man die Versöhnungsarbeit von Markovic und seinem Chor. Pontanima reist um die ganze Welt. Was möchte er dem Publikum in der Schweiz sagen? In der globalisierten Welt von heute hätten die Leute Angst, dass sie durch den Kontakt mit anderen Religionen ihre Identität verlieren würden. «Doch wir wachsen daran.» Er zeigt auf eine Frau und einen Mann, die in seinem Chor singen – «Sie ist Christin, er ist Muslim.» Verschiedenheiten seien Chancen im Leben, keine Gefahr.
«Wir lernen nicht nur Lieder. Wir lernen viel mehr.»
«Er haut einen um», sagt Andrea Casparis über Markovic, den hier alle Ivo nennen. Sie singt im Schweizer Chor Interkultur, reiste für die gemeinsamen Konzerte nach Bosnien. Für sie eine sehr persönliche Reise. In den 90er-Jahren arbeitete Casparis in der Schweiz in einer Unterkunft für Geflüchtete, unterrichtete bosnische Kinder, traf deren Mütter, die teilweise schwer traumatisiert waren. Die Spuren der Gewalt in Sarajevo zu sehen, habe sie erschüttert.
«Es ist mehr als ein Projekt, mehr als Musik», sagt Casparis über die Zusammenarbeit der beiden Chöre. Pontanima setzte ein Zeichen für den Frieden, mitzusingen bedeute für sie, diesen Gedanken zu multiplizieren.

Obschon der Hintergrund in der Schweiz ein anderer sei, Multireligiosität sei auch hierzulande aktuell, so Dirigent Frölich. Gemeinsam Lieder verschiedener Religionen einzuüben, gerade mit einem Chor wie jenem aus Bosnien, ermögliche eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema und helfe, so ist Aganspahic überzeugt, Vorurteile abzubauen, in Bosnien wie in der Schweiz.
Trotz des ernsten Hintergrundes bleibt Zeit für Leichtigkeit. Andere Chormitglieder aus der Schweiz erzählen von den ausgelassenen Festen, die sie mit ihren bosnischen Kolleginnen und Kollegen in Sarajevo feierten. Sie sprechen über Herzlichkeit und viel Fleisch auf den Tellern; darüber, Menschen hinter Schlagzeilen kennen zu lernen, darüber, an Orte zu reisen, die man sonst nicht besucht hätte. Eine ältere Frau aus der Schweiz fasst zusammen: «Die Umstände sind anders, aber die Gemeinsamkeit ist da – das Singen.»
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