Zum Tod von Barbara NoackSie lieferte die Vorlage für Lilo Pulvers «Julchen»
Die grosse Geschichte manifestiert sich in den Zwischentönen – und Barbara Noack hatte ein Gespür dafür. Jetzt ist die Schriftstellerin im Alter von 98 Jahren gestorben.

Herr Uri heisst der Zürcher Verlobte, den Julchen ihren Freunden vorführt – die ganze Geschichte um ihre Verlobung ist natürlich nur erfunden, und der arme «Herr Uri» stellt sich entsprechend ungeschickt an. Julchen, gespielt von der Berner Schauspielerin Lilo Pulver, möchte gern ins Kinogeschäft mit ihren Drehbüchern, und sie merkt erst sehr langsam, dass sie sich in den Regisseur verliebt, der von Bernhard Wicki gespielt wird und den Spitznamen «Büffel» trägt.
«Die Zürcher Verlobung» war 1955 der zweite Roman von Barbara Noack, ein grosser Erfolg, und wurde 1957 beschwingt und lustvoll auf die Leinwand gebracht von Helmut Käutner – in der Hauptrolle eben Lilo Pulver als Julchen.
Wie Julchen hier das Leben und das Schreiben und die Traumfabrik durcheinanderbringt, das ist bezeichnend für den Charme der Bücher von Barbara Noack. Eskapismus pur, aber einer, der das Wesen des Eskapismus selbst reflektiert, seine Beziehung zur Realität – die Schrecken der Kriegs- und Nachkriegszeit in Deutschland, die Noack zwangen, ihr Anglistikstudium abzubrechen und in einer Munitionsfabrik zu arbeiten. Man sollte mit Eskapismus erst argumentieren, wenn man bereit ist, auf die oberlehrerhafte Unterscheidung zwischen Kunst und Kitsch zu verzichten.
Mehr als zwei Dutzend Bücher folgten der «Zürcher Verlobung», «Italienreise – Liebe inbegriffen» (1957) oder «Geliebtes Scheusal» (1963), «Eines Knaben Phantasie hat meistens schwarze Knie» (1971) oder «Drei sind einer zuviel» (1982). 1983 hat Noack auch zwei Folgen der Serie «Das Traumschiff» geschrieben.
Den grössten Erfolg brachte aber die ZDF-Serie «Der Bastian», sie machte im Sommer 1973 den jungen Horst Janson – als Bastian, der angehende Grundschullehrer – zum Liebling des deutschen TV-Publikums. Barbara Noack schrieb die Drehbücher, Regie führte Rudolf Jugert, der jahrelang Käutners Assistent gewesen war, Lina Carstens war Bastians Grossmutter. «Bastian muss erwachsen werden» hiess die letzte, die dreizehnte Folge, und das meinte ein Lehramt im Bayerischen Wald, den Weggang aus München, das schon vor der Verklärung durch Helmut Dietl ein Paradies sein konnte.
Gegen die Umbenennung der «Reichskristallnacht»
Auch Noack, geboren am 28. September 1924 in Berlin, verbrachte viele Jahre im Süden, am Starnberger See. Ihr Leben lang bewahrte sie ihr Gespür für die Neben- und Grundtöne, in denen Historisches sich manifestiert. Im November 1988 wandte sie sich in einem Text in der taz gegen eine Umbenennung der «Reichskristallnacht» – mit dem Begriff verband sie «Zerstörung, Kälte und Zynismus», wie sie schrieb. «Ich verband damit das Klirren von Glas, die eisige Kälte von Kristallen, die Dunkelheit der Nacht, in der die Gesichter der Täter anonym blieben und die Opfer besonders wehrlos waren.»
Am 20. Dezember ist Barbara Noack im Alter von 98 Jahren in München gestorben.
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