Sichtsperre in der Lorraine
Der Amtsschimmel wiehert: Ein Lokal muss die eigene Grossleinwand abdecken, weil zu viele Leute WM-Spiele schauen.
Die WM treibt in der Bundesstadt seltsame Blüten. Die Betreiber des Wartsaals haben am Dach ihres eigenen Lokals eine Sichtsperre montiert, damit das Fussvolk die WM-Spiele auf ihrer HD-Grossleinwand nicht mehr von der Lorrainestrasse aus sehen kann. Fussballfans müssen darum am Spiel Schweiz - Honduras ihre Köpfe verdrehen, um Shaqiris Hattrick bewundern zu können.
Statt durstigen Kehlen Gerstensaft auszuschenken, versuchen sich die vier Betreiber des Wartsaals während des kapitalen WM-Spiels gar als Ordnungshüter und weisen Leute weg, die auf der Strasse vor dem beliebten Public-Viewing stehen bleiben. Währenddessen quetschen sich die geschätzten 300 Zuschauer wie Sardinen auf die verbliebene Fläche unter dem Dach und bei der Bar. Zumindest ist so das Jubelerlebnis intensiver.
Wie tolerant ist die Lorraine?
Sind die Wartsaal-Jungs noch ganz bei Trost? Mitinhaber Stefan Wittwer ist nicht etwa das Bier in den Kopf gestiegen. Er ist selbst alles andere als glücklich über die Situation. Das Problem: «Die Gewerbepolizei droht uns die Bewilligung für die Aussenübertragung zu entziehen, wenn wir während der Spiele die Strasse nicht freihalten können.»
Die Lorraine ist offensichtlich nicht so tolerant, wie sich das Alternativquartier immer gibt: Nach dem Spiel Frankreich - Schweiz vom vergangenen Freitag hat ein Anwohner den Wartsaal bei der Gewerbepolizei verpetzt, weil Dutzende Bar-Besucher den Match auf der Quartierstrasse guckten – ausserhalb des Perimeters des Lokals. Zeitweise gab es, trotz des miserablen Spiels der Schweizer, kein Durchkommen für Autofahrer mehr.
Darauf erreichte Wittwer die dicke Post von der Gewerbepolizei. Nach einem Brainstorming hissten die Betreiber schliesslich schweren Herzens die militärgrüne Blache neben ihrer Leinwand, um die Übertragung für die Zuschauer auf der inoffiziellen Berner Fanmeile weniger attraktiv zu machen.
Ärger wegen starrem Reglement
«Während Fanzüge ungehindert durch die Stadt marschieren dürfen und grossen Schaden anrichten, kommen wir an die Kasse, obschon wir nach dem Spiel die ganze Strasse putzen», enerviert sich Wittwer. Sein Ärger richtet sich gegen das starre Reglement und die eingegangen Beschwerden. Marc Heeb von der Gewerbepolizei hat Verständnis für den Frust der Bar-Betreiber: «Wir sind es uns gewöhnt, die Bösen zu spielen, das ist unser Job. Aber Gesetz ist nun mal Gesetz.»
Ein Betrieb sei mitverantwortlich, dass im angrenzenden öffentlichen Raum «Ruhe und Ordnung» herrsche. Und er fügt vielsagend an, dass die Bewilligungspflicht für WM-Übertragungen überhaupt erst wegen einer Bürgerbeschwerde eingeführt worden sei. Spätestens beim Achtelfinale Schweiz - Argentinien werden sich in der Lorraine wieder Hunderte Leute vor die Bildschirme drängen: «Wir freuen uns auf eine tolle Stimmung, jetzt halt nur noch unter dem Dach», so Wittwer.
Beide Augen zugedrückt werden hingegen bei den siegestrunkenen Autofahrern: Dutzende Autos vollführten bei den Jubelfeiern nach der Achtelfinal-Qualifikation rund um den Berner Bahnhofplatz teils haarsträubende Fahrmanöver, Insassen lehnten sich mit Fahne, Bier und Handy in der Hand weit aus dem Fenster. Die Polizei stoppte zwar weit nach Mitternacht den Autokorso, eine Busse oder Verzeigung kassierte aber kein einziger der Autolenker.
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