Flüchtlinge im MittelmeerSea-Eye klagt gegen Italien wegen Stopps des Schiffs «Alan Kurdi»
Der Seenotrettungsverein hat gegen die Festsetzung seines Schiffes «Alan Kurdi» in Italien Klage eingereicht. Es ist ein bisher einzigartiger Schritt.

Zwölf Tage mussten sie auf See ausharren, fast 150 Menschen auf einem knapp 39 Meter langen Schiff. Die Alan Kurdi hatte sie Anfang April bei Einsätzen vor der libyschen Küste aus Seenot geborgen, Migranten und Flüchtlinge, die hofften nach Europa zu gelangen. Die italienische Küstenwache brachte zwar Lebensmittel, aber wie prekär die Lage wurde auf dem für 20 Personen zugelassenen Schiff, lässt sich leicht vorstellen. Doch die Alan Kurdi der Organisation Sea-Eye konnte nirgendwo landen, wegen der Covid-19-Pandemie waren Italiens Häfen zu. Auch Malta winkte ab. Hatte 2018/19 Italiens damaliger Innenminister, Lega-Chef Matteo Salvini, Schiffe voller Geretteter aus politischen Gründen nicht in die Häfen gelassen, gab es nun das Virus als Grund.
Erst nach fast zwei Wochen wurden die Geretteten auf die Fähre Rubattino verlegt, die Besatzung der Alan Kurdi absolvierte zwei Wochen Corona-Quarantäne an Bord. Dann kontrollierte Palermos Hafenbehörde das Schiff. Am 5. Mai kam der Bescheid, dass die Alan Kurdi festgesetzt ist. Es lägen technische Mängel und rechtliche Verstösse vor. Das ging so weit, dass infrage gestellt wurde, ob das in Deutschland als Frachter zertifizierte Schiff Rettungseinsätze fahren darf.

Gegen die Festsetzung und deren Begründung hat der Seenotrettungsverein Sea-Eye in einem bisher einzigartigen Schritt am Mittwoch Klage eingereicht vor dem Verwaltungsgericht der Region Sizilien – gegen Palermos Hafenbehörde und das italienische Infrastruktur- und Transportministerium, dem die Küstenwache operativ untersteht; diese ist wiederum Teil der Hafenbehörde. Der Verein Sea-Eye und seine Anwälte sind überzeugt, dass die unter deutscher Flagge laufende Alan Kurdi zu Unrecht festgesetzt wurde. Die Massnahmen der Behörden zielen nach Ansicht der Organisation darauf ab, die NGO davon abzuhalten, zur Überwachung auf dem zentralen Mittelmeer zu kreuzen – und Schiffbrüchige zu retten.
Sea-Eye-Schiffe haben 14’000 Menschen geborgen
Gorden Isler, Vorstandschef von Sea-Eye, sagte am Mittwoch, sie hätten sich zu der als Eilantrag eingebrachten Klage entschlossen, weil Italien eine Rechtsunsicherheit herbeigeführt habe, die den ganzen Zweck des Vereins unmöglich machen könnte, und letztlich die Arbeit aller NGOs im Mittelmeer. Er vermutet dahinter eine politische Strategie Italiens.
Sea-Eye-Schiffe haben in vier Jahren im zentralen Mittelmeer ungefähr 14'000 Menschen aus Seenot geborgen. Gerade machen sich wieder jeden Tag Migranten und Flüchtlinge in Richtung der Küsten Italiens auf, von Libyen in miserablen Schlauchbooten der Schlepper, von Tunesien in mehr oder weniger seetüchtigen Booten. Italiens Küstenwache kommt zur Hilfe wo sie kann, Libyens sogenannte Küstenwache vielleicht, Handelsschiffe tun es manchmal. Die Such- und Rettungsschiffe der privaten Organisationen (NGOs) fehlen derzeit. Die meisten ihrer Schiffe sind beschlagnahmt oder von Beschlagnahme bedroht. Am Dienstag traf es auch die Ocean Viking von SOS Mediterranée im sizilianischen Porto Empedocle. 295 Menschen sind der UN-Agentur für Migration (IOM) zufolge dieses Jahr auf dem Zentralmittelmeer umgekommen.
Zu den Begründungen für das Festsetzen der Alan Kurdi am 5. Mai gehören technische Mängel, welche die Sicherheit der Schifffahrt und der Menschen an Bord gefährdeten. Aber auch, dass für so viele Leute die Abwasseranlage unzureichend sei, ebenso der Lagerraum für Müll; Verstösse gegen die Arbeitszeiten auf See wurden angeführt. Aber vor allem wurde eben die ganze Zertifizierung des Schiffes als Frachter infrage gestellt, die ihm Seetauglichkeit bescheinigt.
Der Alan-Kurdi-Kommandant erhob sogleich Einspruch gegen das Festsetzen seines Schiffs. Das deutsche Verkehrsministerium bestätigte, die Flaggenstaatsverwaltung habe die zum Betrieb nötigen Zeugnisse ausgestellt, alle Voraussetzungen hätten vorgelegen. Vergebens. Sea-Eye versucht nun mit ihren Anwälten in der Klageschrift Punkt für Punkt zu widerlegen, was die Hafenbehörde anführt. Es geht um internationales Seerecht, europäische Konventionen, Vereinbarungen, die technische Kontrolle, Seetüchtigkeit von Schiffen oder Umweltauflagen regeln. Dass das Müllmanagement vorschriftsmässig ist und die Alan Kurdi ein ordnungsgemässes Sicherheitszertifikat besitzt, bestätigte dem Verein die zuständige Dienststelle Schiffssicherheit in Hamburg am 18. Mai.
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