Schweiz schaffte Kontaktmann von Berlin-Attentäter aus
Recherchen von Redaktion Tamedia ergeben: Habib B. reiste von Italien in die Schweiz und wohnte in Berner Asylheimen. Er galt als ebenso gefährlich wie der spätere Attentäter.
Seit Wochen wird über die Verbindungen des tunesischen Terroristen Anis A. in die Schweiz spekuliert. Und es wird unter Hochdruck ermittelt. Schnell hat sich unter anderem gezeigt: Die Kleinkaliberpistole, mit der Anis A. kurz vor dem Attentat auf einen Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember einen polnischen Lastwagenfahrer erschoss, wurde zwar ursprünglich in die Schweiz eingeführt. Aber dies geschah vor einem Vierteljahrhundert, und ihre Spur verliert sich danach.
Unklar ist auch, wie oft und wie lange sich der Mann, der zwölf Menschenleben auf dem Gewissen hat, in der Schweiz aufhielt. Bei zwei seiner engsten Kontakte herrscht hingegen Gewissheit: Die beiden Tunesier, die mit Anis A. in Deutschland verkehrten, wurden in der Schweiz als Asylbewerber registriert. In beiden Ländern hielten sie die Migrations- und Sicherheitsbehörden auf Trab. Und sie wurden zumindest zeitweise als mindestens so gefährlich eingeschätzt wie Anis A.
Den einen Schweiz-Bezug, jenen von Bilal A., hat die «SonntagsZeitung» in ihrer letzten Ausgabe publik gemacht. Recherchen zum 26-Jährigen haben nun zu einem weiteren Verdächtigen geführt, dem gleichaltrigen Habib B. aus der tunesischen Hafenstadt Sfax. Von ihm wusste die Öffentlichkeit bislang nichts. Habib B. hat längere Zeit in der Schweiz gelebt und ist hier mehrfach im Gefängnis gewesen. So erzählt es ein deutsche Ermittler mit Einblick in die relevanten Dossiers Redaktion Tamedia.
Mit Anschlägen gedroht
Wie Anis A. und Bilal A. verwendet auch Habib B. verschiedenste Aliasnamen. Er konnte dank dem Schengen-Abkommen unerkannt durch halb Europa reisen. Neben der Schweiz, Deutschland und Italien soll er sich auch in Belgien und Tschechien aufgehalten haben. Laut dem Beamten, der anonym bleiben möchte, fiel Habib B. in Deutschland als Jihad-Sympathisant und enge Kontaktperson von Anis A. und Bilal A. auf. Er habe mit Anschlägen auf deutsche Personenzüge gedroht und sei im Zusammenhang mit einer Messerattacke auf einen Polizisten ins Visier der Justiz geraten. Er habe sich als Syrer ausgegeben und – genau wie Bilal A. – im sächsischen Chemnitz Asyl beantragt.
Was aber sind die Verbindungen von Habib B. zur Schweiz? Ein ehemaliger Mitarbeiter eines Durchgangszentrums im Kanton Bern erkennt den jungen Tunesier auf einem Foto sofort – vor allem an den abstehenden Ohren. Doch Habib B. ist in der Asylunterkunft, einem Luftschutzbunker, nicht nur deswegen in Erinnerung geblieben: Er hat andauernd Probleme gemacht, gekifft, war in Prügeleien verwickelt und hat sogar Hausverbot erhalten. Immer wieder sei Habib B. für längere Zeit verschwunden und dann plötzlich wieder aufgetaucht, erzählt der Ex-Mitarbeiter. Einmal wird der Tunesier bei einem Ladendiebstahl erwischt, einmal beim Rauchen eines Joints, doch er verneint vehement, jemals Gras geraucht zu haben.
In der Unterkunft erzählt Habib B., dass er in Tunesien mit einer Frau zusammen gewesen sei. Weil es aber nicht zur Heirat kam, hätten deren Brüder Habib B. bedroht. Ihm sei deshalb nichts anderes übrig geblieben, als sich Ende 2011 in ein Flüchtlingsboot zu setzen und die Überfahrt nach Italien zu wagen. Dort bleibt er aber nur wenige Tage. Bei Chiasso überquert er die Schweizer Grenze und stellt ein Asylgesuch.
Er wird dem Kanton Bern zugewiesen, wo er in verschiedenen Asylheimen unterkommt. Der frühere Mitarbeiter aus dem Durchgangszentrum erzählt, dass er Ende 2014 erstmals von Anzeichen erfahren habe, die auf eine islamistische Radikalisierung von Habib B. deuteten. So greift der Tunesier einen anderen Nordafrikaner an, weil er diesen beim Alkoholkonsum erwischt. Ausserdem versucht Habib B., andere Migranten zu missionieren und auf den «richtigen» islamischen Weg zu bringen. Frauen verweigert er plötzlich den Handschlag.
In jene Zeit fällt auch eine Reise nach Deutschland. Habib B. erhält einen deutschen Flüchtlingsausweis. Sein Schweizer Asylgesuch hat das Staatssekretariat für Migration längst abgewiesen. Der Tunesier hält sich aber immer wieder illegal in der Schweiz auf. Er bekommt eine Haftstrafe, die er aber lange nicht absitzen muss. Vielmehr wird er weiter in Berner Asylzentren geduldet, obwohl er dort auch eine Adresse in einem Berliner Apartmenthaus hinterlässt.
Die Schweiz kann ihn nicht in die Heimat abschieben, weil sich Tunesien Zeit lässt mit der Abklärung der Identität.
Erst im Sommer 2015 informiert die tunesische Botschaft in Berlin die deutschen Behörden, dass Habib B. tatsächlich aus Sfax stammt. Als Geburtsdatum sei der 1. Januar 1991 registriert.
Per Sonderflug nach Tunesien
Doch nun ist der Islamist nirgends mehr auffindbar. Und für die Abschiebung wäre ohnehin die Schweiz zuständig. Laut dem Dublin-Abkommen kann ein Asylantrag nur in jenem Land bearbeitet werden, in dem der Migrant erstmals seine Fingerabdrücke abgegeben hat. Auch Islamisten werden von europäischen Staaten hin und her geschoben – selbst wenn sie als Gefährder gelten wie Habib B. Nach zeitweise intensiven Überwachungsaktionen gelangten die deutschen Behörden zum Schluss: Der Tunesier gehöre zum jihadistischen Personenkreis und stelle eine Gefahr dar. «Wir haben die Schweizer im Frühling 2016 über unsere Erkenntnisse zu Habib B. informiert», sagt der deutsche Beamte mit Hintergrundwissen zum Fall.
Doch wie umgehen mit Gefährdern, die (noch) keinen Terrorakt vorbereitet haben? Bei Habib B. kamen Deutschland und die Schweiz überein, dass Bern die Abschiebung vornehmen soll. Bei Anis A. blieb später eine Ausschaffung aus, auch weil noch Papiere aus Tunesien fehlten. Die Folgen waren fatal.
Ganz anders bei seinem Bekannten: Die Deutschen nahmen Habib B. im Mai 2016 fest und stellten ihn in Basel an die Grenze. Die Schweizer waren vorgewarnt. Zuerst musste der Tunesier seine ausgesetzte Haftstrafe wegen Verstössen gegen das Ausländergesetz absitzen. Danach setzte ihn Bern in ein Sonderflugzeug nach Tunesien.
Zwar hat es bei Habib B. von der Ankunft in der Schweiz bis zur Ausschaffung fünf Jahre gedauert. Aber am Schluss wurde – eingedenk der Gefahr eines Anschlags in Europa – schnell und effizient gehandelt.
Beim Dritten im Bunde, Bilal A., ging es noch unkomplizierter, am Schluss zumindest. Hier dauerte die Vorgeschichte zwei Jahre: Bilal A. hatte im Oktober 2014 in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt. Das zog er aber kurze Zeit später zurück und reiste sofort nach Deutschland aus, und zwar an einem Grenzübergang in Basel, zusammen mit zwei weiteren Tunesiern. Gegen einen dieser Männer eröffnete die deutsche Generalbundesanwaltschaft wenig später ein Ermittlungsverfahren wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines Terroranschlags.
Bilal A. aber stellte im Juni 2015 ebenfalls in Chemnitz, ebenfalls unter einem Aliasnamen einen Asylantrag. Dasselbe tat er in Berlin. Die Absicht war offenkundig: in mehreren Bundesländern unter verschiedenen Namen Sozialhilfe beziehen.
Ohne Umweg über die Schweiz
Es dauerte nicht lange, bis die deutsche Justiz ein Ermittlungsverfahren gegen Bilal A. eröffnete. Grund: Verdacht auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Die Behörden vermuteten, dass der Tunesier einen Sprengstoffanschlag plante.
In Berlin besuchten Bilal A. und Anis A. dieselben Moscheen. Ausserdem soll Anis A. in der Flüchtlingsunterkunft von Bilal A. übernachtet haben.
Die beiden haben sich noch am Abend vor dem Massaker auf dem Berliner Breitscheidplatz zum Essen getroffen. Rund zwei Wochen nach dem Anschlag wird Bilal A. verhaftet. Auf seinem Mobiltelefon hat er Fotos vom Anschlagsort gespeichert, doch lässt sich nicht nachweisen, dass er in die Attentatspläne eingeweiht war. Wegen Verdachts auf Sozialhilfebetrug bleibt er aber im Gefängnis. Am vergangenen Mittwoch wird er abgeschoben, nicht über die Schweiz, sondern von Deutschland direkt nach Tunesien.
Dort befindet sich auch Habib B., bei dem es aussieht, als ob er wieder in seiner Heimatstadt Sfax lebt. In sozialen Medien fällt er durch Fotos und Zitate mit religiösem Inhalt auf: «Allah hilf uns, die Ziele zu erreichen, auf die wir so lange geduldig hingearbeitet haben.» Oder: «Du wirst nicht verpassen, was Allah für dich vorgesehen hat. Akzeptiere dein Schicksal.» Und: «Segne jene, die auf das jüngste Gericht warten.»
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