
Die UBS gab den entscheidenden Tipp
Der Datendieb im Schweizer Nachrichtendienst fiel monatelang als Querulant auf. Trotz massiver Fehler deckt VBS-Chef Ueli Maurer den NDB-Chef Markus Seiler.
Verteidigungsminister Ueli Maurer erkennt trotz des riesigen Datenklaus keine «fahrlässigen Fehler» im Nachrichtendienst. Sicherheitspolitiker zeigen sich erstaunt.
Am Wochenende sind weitere Hintergründe zum Datendiebstahl im Nachrichtendienst (NDB) bekannt geworden. Gemäss der «SonntagsZeitung» kam der entscheidende Tipp, dank welchem man den Dieb von geheimen Daten im Umfang von mehreren Terabyte – ein NDB-Informatiker – stoppen konnte, von der Grossbank UBS. Der Darstellung zufolge wollte der Informatiker rund eine Woche vor seiner Verhaftung im Mai in einer UBS-Filiale nahe Bern ein Nummernkonto eröffnen. Ein UBS-Mitarbeiter schöpfte jedoch Verdacht und meldete die Anfrage intern weiter, worauf die Bank direkt an die Spitze des Nachrichtendiensts gelangte.
Maurer musste auf Glück zählen
Das Verteidigungsdepartement bestätigte die Darstellung gestern auf Anfrage genauso wenig, wie es sie dementierte. Die Bundesanwaltschaft gab aber bereits letzte Woche bekannt, dass der entscheidende Hinweis von ausserhalb des Nachrichtendienstes kam. Vor diesem Hintergrund räumte Verteidigungsminister Ueli Maurer in zwei Zeitungsinterviews ein, dass ein grösserer Schaden nur mit Glück habe verhindert werden können. «Wir hatten auch Glück. Wenn die Daten weitergegeben worden wären, hätte dies das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Schweiz nachhaltig beschädigt», sagte er gegenüber der «Neuen Zürcher Zeitung».
Gemäss der «SonntagsZeitung» hatte der NDB-Informatiker tatsächlich vor, die Daten weiterzuverkaufen. Bei ihm zu Hause sei ein Schreiben mit einem konkreten Angebot an einen beliebigen ausländischen Geheimdienst gefunden worden. Bei den gestohlenen Daten handle es sich unter anderem um den ganzen internen E-Mail-Verkehr des NDB, berichtete die Zeitung weiter. Zudem sei der Informatiker nicht nur wegen vieler Absenzen aufgefallen (TA vom Samstag), sondern auch wegen seines zerrütteten Verhältnisses zu seinem Chef. Das Verteidigungsdepartement bestätigte, dass er 2011 Mobbingvorwürfe erhoben hatte.
Oberaufsicht wusste nicht alles
Dass der IT-Mitarbeiter trotz der deutlichen Alarmsignale weiterhin unkontrollierten Zugang zu den geheimen Daten hatte, ist für Verteidigungsminister Maurer kein Grund, an den Verantwortlichen im Nachrichtendienst zu zweifeln. Das Vertrauen in die NDB-Führung um Chef Markus Seiler sei «absolut vorhanden», sagte er gegenüber der «SonntagsZeitung». Und in der «Neuen Zürcher Zeitung» liess er sich mit der Aussage zitieren: «Eine disziplinarische Massnahme hat sich nicht aufgedrängt. Es sind keine fahrlässigen Fehler begangen worden.»
Angesichts des Umfangs der gestohlenen Daten und der fehlenden Sicherheitsvorkehrungen erstaunt diese Aussage die Sicherheitspolitiker in Bundesbern. «Es ist für mich nicht nachvollziehbar, weshalb Maurer schon jetzt reflexartig alle in Schutz nimmt», sagt Chantal Galladé, SP-Nationalrätin und Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission. Denn so entstehe der Eindruck, dass der Verteidigungsminister etwas verheimlichen wolle.
Vertrauen in die Mitarbeiter
Der Blankocheck zum jetzigen Zeitpunkt sei eine «gewagte Pauschalisierung», sagt auch FDP-Nationalrat Walter Müller. Von Maurer sei das Schema aber bekannt. Er habe sehr grosses Vertrauen in seine Mitarbeiter, das zeige sich beispielsweise auch beim Gripen-Geschäft, sagt Müller. Ähnlich drückt sich CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann aus. Einen Persilschein zu erteilen, sei Maurers Art, sagt sie. Dies berge aber die Gefahr, dass er die Tragweite von Problemen «nicht wahrhaben wolle». Personelle Konsequenzen fordern die Sicherheitspolitiker derzeit nicht. Dazu seien noch zu viele Punkte ungeklärt, so der Tenor.
In der parlamentarischen Geschäftsprüfungsdelegation, der NDB-Oberaufsicht, erwartet man Mitte Oktober einen Bericht des Nachrichtendienstes, der über offene Fragen Auskunft geben soll, wie Präsident Pierre-François Veillon (SVP) erklärt. Die wichtigsten Punkte seien seiner Delegation bereits in mehreren Sitzungen bekannt gemacht worden. «Über die Details der Probleme im Nachrichtendienst, wie sie die Sonntagspresse dargestellt hat, waren wir in der Delegation aber nicht informiert worden», sagt Veillon.
Laut Maurer wurden bereits mehrere Sofortmassnahmen ins Auge gefasst, so zum Beispiel eine Änderung der Sicherheitsüberprüfung und die Einführung des Vier- oder Sechsaugenprinzips in gewissen Bereichen.
Der Mann, der beim Nachrichtendienst des Bundes geheime Informationen entwendet hat, ging offenbar mit einem grösseren Geldbetrag zur UBS – oder er kündigte der Bank eine grosse Summe an. Denn der Kundenberater wird bei der Eröffnung eines Kontos lediglich dann aktiv, wenn der Kunde die Herkunft grosser Geldbeträge nicht plausibel erklären und belegen kann.
Bei Verdacht auf mögliche Unrechtmässigkeit müsse sich der Kundenberater an die interne Compliance-Stelle wenden, sagt UBS-Sprecher Serge Steiner auf Anfrage. Dabei spiele es keine Rolle, ob es sich um ein Nummernkonto handle – wie im Fall des Datendiebs – oder um ein normales Lohn- oder Sparkonto. In allen Fällen muss die Bank die Daten des Kontoinhabers kennen. Bei einem Nummernkonto bleiben die Daten aber nur einem kleinen Kreis von Bankmitarbeitenden zugänglich.
Wie die «SonntagsZeitung» publik machte, ist der Datendieb aufgeflogen, weil er bei einer UBS-Filiale im Raum Bern ein Nummernkonto eröffnen wollte. Der Kundenberater hat Verdacht geschöpft und das in solchen Fällen übliche Verfahren in Gang gesetzt. Weshalb sich die Bank in der Folge direkt an den Nachrichtendienst wandte, sagt die UBS nicht.
Allgemein ist die Nachfrage nach Nummernkonti in den vergangenen Jahren gesunken. Diese kosten den Inhaber relativ hohe Gebühren und sind wenig praktisch, zum Beispiel, was den Zahlungsverkehr betrifft. Zudem ist die Anonymität aufgrund der heutigen internationalen Transparenzstandards nicht mehr gewährleistet. (bl)
Tages-Anzeiger
Erhalten Sie unlimitierten Zugriff auf alle Inhalte:
Abonnieren Sie jetzt