Einheitlicher Strafvollzug bringt keine Sicherheitsgarantie
Nach der Flucht des Straftäters in Neuenburg fordern Politiker eine schweizweite Vereinheitlichung des Strafvollzugs. Das Projekt ist bei den Kantonen umstritten. Und ob es mehr Sicherheit bringt, ist fraglich.

Eine Vereinheitlichung des Strafvollzugs wird die zuständige Fachkommission der Konferenz der kantonalen Polizei- und Justizdirektoren (KKJPD) an ihrer nächsten regulären Sitzung am 1. September diskutieren. Auslöser dafür ist nicht zuletzt die Flucht des Mörders und Vergewaltigers von vergangener Woche.
Heute regeln in der Schweiz drei Konkordate den Strafvollzug regional. Die Sekretäre der Konkordate geben einer nationalen Vereinheitlichung kaum Chancen – und sie gehen auch nicht davon aus, dass ein solcher Schritt mehr Sicherheit bringen würde.
Kulturelle Unterschiede
Zur Verteidigung der Lösung mit Konkordaten der Kantone verweisen Robert Frauchiger vom Strafvollzugskonkordat der Nordwest- und Innerschweiz sowie Henri Nuoffer von jenem der Westschweiz auf die regionalen Unterschiede.
Das zeige sich beispielsweise schon beim materiellen Strafrecht, sagte Frauchiger. «Es gelten überall die gleichen Regeln. Trotzdem fallen die Urteile häufig unterschiedlich aus.» Auch werde in der Westschweiz etwa häufiger Untersuchungshaft verhängt und diese dauere auch länger als in der Deutschschweiz.
Nuoffer verweist seinerseits darauf, dass das Westschweizer Konkordat formell restriktiver sei, weil es bindende Regeln erlassen kann, statt nur Richtlinien für die Kantone wie in der Deutschschweiz. Dort werden die Richtlinien erst bindend, wenn die Kantone sie in ein eigenes Gesetz integrieren. Aus Sicht von Florian Funk, Co-Sekretär des Ostschweizer Konkordats, rechtfertigt sich die Lösung mit mehreren Konkordaten vor allem deshalb, weil die Zuständigkeit für den Vollzug bei den Kantonen liegt.
Wenig Chancen
Die Sekretäre verteidigen die regionalen Lösungen nicht nur, sie verweisen auch darauf, dass eine nationale Regelung - etwa über ein Bundesgesetz – kaum realistisch sei. Ein Projekt sei vor einigen Jahren schon mal verworfen worden, sagte Frauchiger. Der Vollzug obliegt im Schweizer Föderalismus in der Regel den Kantonen. «Es erscheint fraglich, ob diese heute eher bereit wären, Kompetenzen abzugeben als früher», sagte Frauchiger.
Zu einem Austausch zwischen den Konkordatssekretariaten kommt es dennoch: Heute treffen sich die Fachsekretäre und zuständigen Regierungsräte der drei Konkordate mehrmals jährlich und diskutieren die Vollzugsregeln. Das Ziel sei, dass in den verschiedenen Gefängnissen mehr oder weniger die gleichen Haftregimes gälten, wie Frauchiger sagte.
Kein fehlerhaftes System
Dass der 64-jährige Verwahrte, der auf einem Spaziergang flüchtete, überhaupt Freigang erhielt, ist dennoch nicht zuletzt auf Abstimmungsprobleme zwischen den Kantonen Bern und Neuenburg zurückzuführen. Sie gehören unterschiedlichen Konkordaten an. Frauchiger sagte zum Fall des Sexualstraftäters: «Es sind Fehler passiert, aber das heisst nicht, dass das System fehlerhaft ist». Offenbar liege menschliches Versagen vor, da die Gefängnisleitung habe gehen müssen.
«Wegen eines Falls sollte nicht das ganze System in Frage gestellt werden», sagte auch Funk. Der Fall zeige aber, wie wichtig es sei, die Zuständigkeiten im Strafvollzug klar zu regeln. Es dränge sich nun auf, diese Regelungen überall kritisch zu prüfen. Viel wichtiger als neue Gesetze sei es, die bestehenden korrekt anzuwenden.
Spielraum für Regionen
Nuoffer wehrt sich vehement gegen ein Bundesgesetz, das er als eine «nicht gute Lösung» bezeichnet. Ein einziger, wenn auch schlimmer Fall soll nicht mit einem Bundesgesetz geregelt werden», sagte er. Jedes Konkordat müsse seinen Spielraum behalten können.
Als Beweis, dass das System funktioniert, verweisen die Sekretäre auf die relativ tiefe Zahl an Problemen im Vollzug. «Wer mit einer Vereinheitlichung eine 100-prozentige Sicherheit erwartet, verfällt dem hehren Glauben, dass der Mensch perfekt sein kann», sagte Frauchiger dazu. Schon heute gingen die Sicherheitsmassnahmen in der Schweiz sehr weit.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch