
wirtschaft
Maurers heikle China-Mission
Beim Peking-Besuch des Bundespräsidenten gehts um viel: China ist der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz – und wohl auch der umstrittenste.
Der Schweizer Bundespräsident und Chinas Staatschef finden sich beim Thema Seidenstrasse.
Die Schweiz will neuer Partner Chinas bei der Umsetzung der umstrittenen chinesischen Initiative für eine neue Seidenstrasse werden. Staats- und Parteichef Xi Jinping und der Schweizer Bundespräsident Ueli Maurer unterzeichneten gestern in Peking eine entsprechende Vereinbarung. Maurer war zuvor für mehrere Tage in Shanghai und Peking unterwegs gewesen, bevor er am zweitägigen Gipfel zur neuen Seidenstrasse in der Hauptstadt teilnahm.
Die Schweiz hofft, künftig stärker im Bereich von Finanzen, Banken, Versicherungen und Börse mit China zusammenzuarbeiten. Der östliche Partner sei an der Erfahrung der Schweiz im Bereich von nachhaltigen Investitionen und der richtigen Absicherung von grossen Projekten interessiert, erklärte der Bundespräsident bei einer Pressekonferenz. Ausserdem wollen beide Länder in Branchen wie Fintech und Blockchain stärker kooperieren. Maurer sprach von einem «sehr harmonischen Besuch» und guten Gesprächen mit dem chinesischen Präsidenten.
Die von Xi Jinping 2013 in Kasachstan gestartete Initiative zum Bau von Strassen, Zugstrecken, Häfen sowie Kraftwerken, Öl- und Gaspipelines in Zentralasien, Afrika, Südostasien und Osteuropa war zuletzt massiv in die Kritik geraten. Bei vielen Projekten soll gegen Umwelt- und Sozialstandards verstossen werden. Bisher profitieren vor allem chinesische Firmen von den Aufträgen. Zudem vergeben Chinas Staatsbanken Kredite an Staaten, ohne ausreichend zu prüfen, ob diese das Geld zurückzahlen können. Zuletzt hatte Sri Lanka einen Hafen für 99 Jahre an China verpachten müssen, nachdem es seine Kredite nicht mehr hatte bedienen können.
Massive Kritik
Bei der ersten Seidenstrasse-Konferenz im Mai 2017 hatte noch kein europäisches Land die Abschlusserklärung des Gipfels unterzeichnet. Dieses Jahr hatte Italien bereits im Vorfeld für Unmut gesorgt, als es sich im März als erstes Mitglied der grossen Industrieländer (G-7) der Initiative angeschlossen hatte. Am Wochenende unterschrieben Österreich und Italien die gemeinsame Erklärung. Anders als Maurer hat Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, der ebenfalls für den Gipfel nach Peking gereist war, keine weitere bilaterale Vereinbarung unterschrieben.
Schwerpunkt des Engagements der Schweiz sollen die Länder in Zentralasien sein, in denen sie bereits agiert. Kritik, die Schweiz würde damit das rücksichtslose Vorgehen der Chinesen unterstützen, wies Maurer zurück. China habe das Land als Partner gewählt, weil man in Peking die Werte des Landes schätze. «Die Schweiz ist kein Land, das immer nur auf den Profit schaut.» Man stelle sich vielmehr die Frage, wie man als Land mit «langer humanitärer Tradition» bei der Initiative helfen könne. Die sich rapide verschlechternde Menschenrechtslage in China ist für den Bundespräsidenten kein Hindernis für engere Zusammenarbeit. Peking sei sich bewusst, in diesem Bereich «einen gewissen Nachholbedarf» zu haben. Er selbst könne zudem gar nicht beurteilen, ob sich die Menschenrechtslage wirklich so stark verschlechtert habe. Ob er die Arbeitslager in Xinjiang gegenüber Präsident Xi ansprach, dazu wollte sich der Bundespräsident nicht äussern.
Vielmehr würdigte Maurer das chinesische Grossprojekt gemäss einer Mitteilung des Finanzdepartementes als Chance «für Entwicklung, Armutsbekämpfung und Frieden». Zudem befinde man sich auf einem Höhepunkt gegenseitiger Besuche: Die beiden Länder führten bilaterale Dialoge in rund 30 Bereichen.
Fast zwei Wochen lang hat Ueli Maurers China-Reise Bundesbern in Atem gehalten. Jetzt ist die Vereinbarung unterzeichnet und veröffentlicht, doch die Kontroverse geht weiter. Bei Schweizer Wirtschaftsvertretern kommt das im Text festgehaltene Bekenntnis Chinas zu offenen Märkten und fairen Verfahren gut an. Rudolf Minsch, Chefökonom des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse, lobt die Absichtserklärung. Dass China sich zur Transparenz und zu internationalen Standards bekenne, sei «ein riesiger Schritt», sagt Minsch. Bisher seien Aufträge rund um die neue Seidenstrasse vorab an chinesische Unternehmen gegangen.
Positiv bewertet auch CVP-Politikerin Elisabeth Schneider-Schneiter das Memorandum of Understanding. «In dieser Vereinbarung werden sehr viele Risiken angesprochen», sagt die Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats. Damit bestätige sich eine Stärke der Schweizer Aussenpolitik: «Wir führen den Dialog, wir versuchen, Märkte zu erschliessen, wir weisen aber auch auf Missstände hin.»
Ganz anders sieht dies Fabian Molina (SP). Die Schweiz unterminiere eine gemeinsame Haltung Europas gegenüber China. «Wer behauptet, ein Kleinstaat wie die Schweiz könne China tatsächlich zu einer Verhaltensänderung bewegen, ist entweder hoffnungslos naiv oder gar nicht an Fortschritten interessiert.» Nur wenn Europa koordiniert vorgehe, seien Erfolge möglich. «Insofern ist dieses Abkommen ein Propagandasieg für China gegenüber der EU.» Zwar verpflichte sich China im unterzeichneten Dokument tatsächlich zu internationalen Standards, doch sei dies einfach, solange keine Durchsetzungsmechanismen existierten.
Rudolf Minsch, Economiesuisse-Chefökonom, räumt ein, dass es keine Garantie gebe, dass es sich hier nicht bloss um Lippenbekenntnisse handle. Der Wert dieser Absichtserklärung zeige sich erst, wenn konkrete Projekte vorlägen. Wann dies der Fall sei, sei noch nicht absehbar. «Ich gehe davon aus, dass Schweizer Firmen mögliche Kooperationen sehr genau prüfen werden hinsichtlich eines Reputationsrisikos.»
Christoph Lenz
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