So schreibt die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) im vor kurzem erschienenen Bericht über die EU-Kohäsionsmilliarde, mit dem Geld sollten «die Ursachen der Abwanderung bekämpft und der Einwanderungsdruck auf die Schweiz reduziert werden». Und der Bundesrat hält in seiner Botschaft über die internationale Zusammenarbeit fest, dank der Hilfsgelder verminderten sich die Anreize zur irregulären Migration.
Grösstes Auswanderungspotential bei einem Einkommen von 1'500 bis 8'000 Dollar
Eine neue Studie des Forum Aussenpolitik (Foraus), die dem «Tages-Anzeiger» vorliegt, stellt diese Logik infrage: Es gebe wenig Anhaltspunkte, dass eine Verbesserung der materiellen Situation den Anreiz zur Auswanderung senke, schreibt der unabhängige Thinktank. Erhöhte Migration sei ein typischer Nebeneffekt erfolgreicher wirtschaftlicher Entwicklung. Steige in einem armen Land das Pro-Kopf-Einkommen, nehme die Migration zu. Gestützt wird diese These mit dem Verweis auf eine OECD-Studie aus dem Jahr 2007. Erst ab einem gewissen Einkommen können es demnach weite Teile der Bevölkerung überhaupt in Betracht ziehen, ihr Land zu verlassen. Denn Auswandern kostet.
Voraussetzung, dass im Norden ein eigentlicher Migrationsdruck spürbar wird, ist deshalb typischerweise nicht tiefste Armut, sondern ein Einkommen, das es erlaubt, den riskanten und teuren Schritt zu wagen. Das grösste Auswanderungspotenzial wird gemäss Foraus-Studie in Staaten mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen zwischen 1500 und 8000 Dollar geortet. Dazu gehören Länder wie Algerien, Sri Lanka oder Syrien. Die Emigration aus den ärmsten Staaten mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen unter 1500 Dollar ist hingegen gering. Die Auswanderung betrifft hier meist Personen, die vor Konflikten in benachbarte Regionen fliehen.
Migration als Folge wirtschaftlicher Entwicklung
Ein Blick auf die Schweizer Asylstatistik scheint diesen Befund zu bestätigen – auch wenn neben der wirtschaftlichen Situation im Heimatland selbstverständlich auch andere Faktoren wie die politische Stabilität, Migrationsrouten oder die geografische und kulturelle Nähe zur Schweiz die Zuwanderung beeinflussen. Lediglich 830 der total 22'551 Asylsuchenden stammten im letzten Jahr aus den zehn ärmsten Ländern der Welt. Zu diesen gehören gemäss dem Human Development Index der Vereinten Nationen die Demokratische Republik Kongo (167 Asylsuchende), Niger (102), Burundi (11), Moçambique (0), der Tschad (25), Liberia (78), Burkina Faso (20), Sierra Leone (88), die Zentralafrikanische Republik (1) und Guinea (338). Aus dem wirtschaftlich besser gestellten, allerdings auch ungleich bevölkerungsreichen Nigeria stellten 1895 Personen ein Asylgesuch. Aus Ghana waren es 235 Personen. Und aus Tunesien, das gemäss Index als gut entwickeltes Land gilt, kamen im Zug des arabischen Frühlings 2574 Asylsuchende in die Schweiz.
Für die Autoren der Foraus-Studie ist klar: Die Vorstellung, vor allem verzweifelte Personen würden ihr Heimatland verlassen, sei «weitverbreitet, aber falsch». Migration sei nicht das Resultat fehlenden Wirtschaftswachstums, sondern die Folge wirtschaftlicher Entwicklung.