«Schritttempo» gegen «Amokfahrt»
Ein Polizeiauto ist samstagnachts in der Neubrückstrasse in eine Menschenmenge gefahren. Über den genauen Hergang sind sich Polizei und linke Aktivisten uneinig.

In der Neubrückstrasse ist es am Samstagabend kurz nach Mitternacht zu einem Polizeieinsatz gekommen. Noch in derselben Nacht wurde im Internet ein Video hochgeschaltet, in denen Bilder gezeigt werden, die dem Grossaufgebot zuvor gingen. In schwarz gekleidete Menschen sprayen an die Steinmauer, über der sich die Zuggleise befinden, ein politisches Wandbild. Eine Menschentraube steht auf der anderen Strassenseite auf dem Fussweg und schaut zu. In der nächsten Sequenz ist ein dunkelfarbiger VW zu sehen, der direkt auf die Zuschauer zufährt. Diese springen zur Seite. Feuerwerk-Funken sprühen durch die Luft. Der Wagen wird mit Gegenständen beworfen. Kurz danach wurde die Strasse gesperrt und die Polizei fuhr mit mehreren Einsatzwagen vor, wie ein «Bund»-Reporter vor Ort beobachtet hat.
Quelle: RJG Bern Facebook (aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wurden die Gesichter der Polizisten unkenntlich gemacht)
Das Video wurde von der Revolutionären Jugendgruppe Bern (RJG) aufgeschaltet. Auf ihrer Facebookseite haben sie zudem eine Mitteilung veröffentlicht, in der sie den Vorfall aus ihrer Sicht beschreiben. Für die Sprayaktion habe man die Busspur gesperrt, mehrere Busse seien aber dennoch durchgelassen worden und die Stimmung sei friedlich gewesen. Dann sei der dunkelfarbige Wagen aufgetaucht, bei dem es sich laut RJG um ein ziviles Polizeifahrzeug gehandelt habe. «Da die Sprüherinnen und Sprüher keine Konfrontation mit der Polizei suchten, blieb die Gruppe ruhig, stoppte mit dem Sprayen und zog sich zurück», heisst es in der Mitteilung. Das Auto sei auf die besprayte Wand zugefahren, um die Sprühenden anzuhalten, die aber weggerannt seien. Darauf habe der Wagen gedreht, worauf die «schockierende Amokfahrt» folgte.
Die RJG wirft der Polizei vor, direkt und gezielt in die Menschengruppe auf dem Trottoir hineingefahren zu sein. Dabei habe sie bewusst Unbeteiligte gefährdet. «Das Auto wurde als Waffe eingesetzt.» Auch die Reitschule hat sich zum Vorfall geäussert. Laut ihrer Mediengruppe seien mehrere Personen bei dem Vorfall verletzt worden. «Eine Person wurde zwischen Polizeifahrzeug und Mauer eingeklemmt und wurde am Knie verletzt.»
Mit «Schritttempo» auf dem Trottoir
Die Kantonspolizei Bern bestätigt auf Anfrage, dass es sich beim Auto um ein ziviles Polizeifahrzeug gehandelt hat. Der Ablauf des Vorfalls wird jedoch etwas anders beschrieben, als von der RJG. Die Beamten im zivilen Polizeifahrzeug hätten im Bereich der Bahnunterführung der Neubrückstrasse mehrere vermummte Personen beim Sprayen bemerkt. «Als diese das Polizeifahrzeug erblickten, zogen sich mehrere Personen in Richtung Restaurant der Reitschule zurück», sagt Kapo-Mediensprecherin Sarah Wahlen.
Eine Person habe jedoch weiter gesprayt und zudem an das Patrouillenfahrzeug geschlagen. Die Polizisten hätten darauf versucht die Person anzuhalten, doch diese sei geflüchtet. «Die Polizisten entschieden aus der Situation heraus, der Person zu folgen, um diese später zu Fuss anzuhalten», so Wahlen. Als sich das Polizeifahrzeug im Bereich des Trottoirs auf der Höhe des Reitschul-Restaurants befand, hätten sich umgehend mehrere vermummte Personen in den Weg gestellt, die das Auto mit Gegenständen beworfen hätten. «Die Polizisten entschlossen sich deshalb, sich zurückzuziehen und fuhren im Schritttempo via Trottoir in Richtung Bollwerk.»
Die Anschuldigung der bewussten Gefährdung von Unbeteiligten will die Polizei nicht gelten lassen. «Um niemanden zu gefährden, machten die Polizisten während der Fahrt mit Hupen auf sich aufmerksam», sagt Wahlen. Zudem seien die Beamten laut ihren Angaben im Schritttempo gefahren, damit sich Personen entfernen konnten. Da das Auto «massiv» angegriffen worden sei, hätten die Polizisten aus Sicherheitsgründen beschlossen, den Anhaltungsversuch abzubrechen und sich in Richtung Bollwerk zurückzuziehen. «Unter dem Beschuss war dies jedoch nicht ganz einfach», sagt Wahlen. Gemäss Kenntnissen der Kapo fuhr das Auto «mit grösster Vorsicht» bis unter die Eisenbahnunterführung auf dem Fussweg und bog da wieder auf die Strasse ab.
«Gemäss unserem Kenntnisstand wurde niemand durch das Fahrzeug touchiert oder bei der Fahrt verletzt.» Es sei aber nicht auszuschliessen, dass Unbeteiligte zwischen die Personen, welche massiv Gegenstände warfen und dem Polizeifahrzeug gekommen sind. Der Polizei seien jedoch keine verletzten Personen gemeldet worden.
Juso: Polizei nahm «schwerste Verletzungen in Kauf»
Die Juso Stadt Bern widerspricht dieser Darstellung der Kantonspolizei vehement. Die Polizei relativiere den Vorfall und spiele die «massive Gefährdung» der anwesenden Menschen auf der ganzen Linie herunter, schreibt die Jungpartei in ihrer Medienmitteilung. Die Beamten hätten mit der Aktion «schwerste Verletzungen oder sogar den Tod von Menschen» hingenommen. Dies sei ein klarer Ausdruck davon, dass die Polizei für die Menschen längst zu einer konkreten Gefahr geworden sei.
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