Bepflanzungen statt SteinwüstenSVP-Landwirt: Auch Städter sollen Beitrag an Biodiversität leisten
Nicht nur die Landwirtschaft, auch die Städter müssten mit Vorschriften zu mehr Biodiversität verpflichtet werden, findet Bauer und Grossrat Markus Aebi. Der Regierungsrat zögert aber.

In Hellsau, wo Markus Aebi lebt, ist er umgeben von Wiesen und Wald. Oberhalb des Dorfes steht eine grosse Hecke. Wenn der SVP-Grossrat aber den ganzen Kanton in den Blick nimmt und ihn durch die Biodiversitätsbrille betrachtet, sieht er Unerfreuliches: Auf der Achse Thun–Bern–Biel erkenne er einen für die Natur nahezu undurchdringlichen Riegel, sagt er – bestehend aus den Städten und den Agglomerationsgemeinden.
Aebi spricht von versiegelten Flächen, eintönigen Gärten oder gar von «Steinwüsten». Als besonders negative Beispiele erwähnt er den Platz bei der Station Wankdorf in Bern oder auch die Schützenmatte in Burgdorf mit der weiträumigen Rasenfläche.
Damit sich die verschiedenen, durch diesen Riegel getrennten Flächen biologisch vernetzen liessen, seien Massnahmen in den Städten und Agglomerationen unerlässlich, sagt Aebi. Mit relativ wenig Aufwand könnte in urbanen Gebieten erstaunlich viel erreicht werden, sagt er, «damit die Gebiete wieder durchlässiger werden und Schmetterlinge fliegen können».

Wie das Problem angegangen werden könnte, hat Aebi 2019 in einer Motion formuliert. Mitunterzeichnerinnen und Mitunterzeichner hatte er in fast allen Parteien gefunden, auch bei SP und Grünen. Der Titel des Vorstosses: «Biodiversität – Alle müssen ihren Beitrag leisten».
Die Forderung ist simpel: In jedem privaten Garten, auf jedem öffentlichen Grundstück im Siedlungsraum, also überall in Dörfern und Städten, muss ein Zehntel der Aussenflächen für die Förderung der Artenvielfalt eingesetzt werden.
Aebi hatte den Vorstoss damit begründet, wertvolle Lebensräume müssten «auch in den urbanen Räumen geschaffen und miteinander vernetzt werden». Zudem müsse der Anteil an solchen Flächen «klar gesteigert werden». Die Motion wurde im Frühling 2020 als Postulat überwiesen.
Kein Geld, keine Vorlage
In der Folge hat der Regierungsrat einen Expertenbericht in Auftrag gegeben. Dieser liegt nun vor und ist zusammen mit der Einschätzung des Regierungsrats dieser Tage veröffentlicht worden.
Fazit: Obschon der Regierungsrat betont, die Biodiversität in Siedlungsgebieten sei ein wichtiges Thema und es seien grössere Anstrengungen nötig, will er dazu keine Vorlage ausarbeiten. Es soll im Siedlungsraum diesbezüglich also keine Vorschriften geben – «primär aufgrund der knappen Ressourcen beim Kanton und auch bei den Gemeinden». Ausserdem fürchtet er einen «unverhältnismässigen Vollzugsaufwand».
Was der Kanton aber tun will: das Musterbaureglement für die Gemeinden anpassen und seine Vorbildrolle «in der Funktion als Grundeigentümer», so gut es geht, wahrnehmen «und auch die Gemeinden dazu ermuntern».
«Mutloser» Regierungsrat
Markus Aebi bezeichnet die Haltung des Regierungsrats als «mutlos». Er sei enttäuscht vom Ergebnis, aber man habe diese abwartende Haltung auch erwarten müssen. Immerhin sei ein umfangreicher Expertenbericht entstanden, was zeige, dass die Kantonsregierung dem Thema doch einiges Gewicht beimesse.
Er und die Mitunterzeichnenden würden nun die Debatte im Grossen Rat abwarten. Dabei werde man heraushören, was politisch drinliege, und entsprechend weitere, konkrete Vorstösse einreichen.
Der Expertenbericht hat bereits verschiedene Varianten aufgelistet, wie das 10-Prozent-Ziel erreicht werden könnte. Eine Möglichkeit bestünde darin, die Gemeinden finanziell zu unterstützen, wenn sie Biodiversitätskonzepte erstellen. Diese Varianten bildeten nun eine gute Grundlage für die weitere Diskussion, sagt Aebi.
Eine Retourkutsche?
Die Frage liegt auf der Hand, ob Markus Aebi als Landwirt mit seinem Anliegen so etwas wie eine Retourkutsche gegen die urbanen Gebiete fährt. Unter anderem wegen des Pestizideinsatzes, der die Umwelt und besonders die Biodiversität beträchtlich belastet, steht die Landwirtschaft seit langem unter Druck. Für die Bauern gibt es Vorschriften in Hülle und Fülle, die sie zu befolgen haben.
«Es geht nicht darum, dass wir Vorschriften für andere fordern, weil wir selber solche zu befolgen haben.»
Aebi weist dies zurück. Zweifellos bewegten die Bauern sich auf einer Gratwanderung zwischen der Produktion von Lebensmitteln und dem Erbringen von ökologischen Leistungen, sagt er. «Aber es geht bei diesem Vorstoss wirklich nicht darum, dass wir Vorschriften für andere fordern, weil wir selber solche zu befolgen haben.»
Es wäre zudem etwas gar billig, ländliche und urbane Lebensräume gegeneinander auszuspielen. Er sei aber überzeugt, dass in Siedlungsgebieten zusätzliche Anstrengungen notwendig seien, damit das ganze System davon profitiere.
Gartenprofis sensibilisieren
Gerade im öffentlichen Raum könnte viel erreicht werden, ohne dass alles auf den Kopf gestellt werde, sagt Aebi. In Grünanlagen sollten Biodiversitätsflächen eingerichtet oder Sträucher und Hecken gepflanzt werden – «dann entsteht plötzlich Leben».
Auch für die Schützenmatte in Burgdorf hat er Ideen. Die grosse Wiese dort dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Artenvielfalt auf dieser Fläche sehr gering sei. Irgendwo eine Hecke oder eine Ecke für eine Blumenwiese wären für ihn dort angezeigt.
Neben Umgestaltungen auf öffentlichen Flächen sieht er einen zweiten Lösungsansatz: Gartenbauunternehmen müssten intensiv sensibilisiert werden. «Solche Firmen sind der Schlüssel für die Umgestaltung von Privatgärten», sagt Aebi.
«Es ist eines der Topthemen»
Betrachtet man Aebis Forderungen isoliert, könnte man meinen, Biodiversität in Siedlungsgebieten sei ein bisher vernachlässigtes Thema. Dem ist aber nicht so: «Es ist eines der Topthemen», sagt Lorenz Heer, Geschäftsführer von Pro Natura Bern. Deshalb sei es «ganz in unserem Sinn», wenn es in der Politik Beachtung finde.
Forderungen, die das Privateigentum beträfen, seien immer etwas heikel, sagt Heer. Darum sei es nicht erstaunlich, dass der Regierungsrat zurückhaltend auf die 10-Prozent-Forderung reagiert habe. Ermutigend seien aber doch die Aktivitäten in einigen Gemeinden. Manche verhielten sich geradezu vorbildlich und würden die Förderung der Biodiversität sehr ernst nehmen, sagt Heer. Daneben gebe es selbstverständlich auch solche, die sich überhaupt nicht darum kümmerten.
Pro Natura Bern habe zum Thema Natur im Siedlungsraum Aktionen lanciert, sagt Heer. Dazu gehört das Angebot von kostenlosen Beratungen für Private, Firmen und Gemeinden.
«Auch wenn immer noch viel mehr getan werden könnte – immerhin ist einiges in Bewegung geraten.»
Bei Fachleuten sei das Thema der Biodiversitätskrise längst angekommen, seit ein paar Jahren dringe es zunehmend auch ins Bewusstsein einer breiten Bevölkerungsschicht, sagt Heer. «Auch wenn immer noch viel mehr getan werden könnte – immerhin ist einiges in Bewegung geraten.»
Burgdorf mit Gartenprojekt
Eine der Gemeinden, die sich vorbildlich mit der Biodiversität auseinandersetzen, ist Köniz. Seit gut einem Jahr gibt es dort ein Biodiversitätskonzept. Zu den Vorreitergemeinden zählt aber auch Burgdorf. Die Stadt verfügt über eine Biodiversitätsstrategie. Man sei bestrebt, heisst es da, «das Thema Biodiversität in Planung und Unterhalt von öffentlichen Freiräumen sowie bei privaten Bauprojekten zu berücksichtigen».
Doch wie steht es mit der Schützenmatte, der grossen Wiese bei der Emme, die tatsächlich wie eine grüne Einöde aussieht und auf der Markus Aebi die eine oder andere Hecke pflanzen würde?

Angesichts der zahlreichen öffentlichen Anlässe, die dort übers Jahr hinweg stattfänden – genannt sei bloss die Solätte –, sei der Charakter der Schützenmatte weitgehend vorgegeben, sagt Peter Burkhalter, Teamleiter Grünanlagen der Stadt Burgdorf.
Doch in den Randbereichen der Schützenmatte sei in den letzten Jahren sehr viel für die Biodiversität getan worden. Die Emme entlang, wo früher Pflanzgärten waren, finde man jetzt Bäume und Wildheckengehölze sowie Wiesengrasflächen und Asthaufen. Auch beim Bach in der Nähe der Turnhalle seien schon vor Jahren ökologische Flächen entstanden.
In Burgdorf werde die Förderung der Artenvielfalt grossgeschrieben, sagt Burkhalter. «Wir investieren dafür relativ viel Zeit und Geld.» Seit kurzem bestehe die Möglichkeit, Privatgärten als «biodivers» zertifizieren zu lassen. Dieses Label wird durch die Stiftung Natur und Wirtschaft vergeben und stösst, wie er sagt, «auf ziemlich viel Anklang».
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