Richter-Rücktritt verschafft Trump eine unverhoffte Chance
Ein Richter des Obersten US-Gerichts tritt zurück. Die Personalie könnte das Land für Jahrzehnte verändern.

Vieles an Donald Trump hält nicht sehr lange. Seine Tweets, seine Beleidigungen, Lügen und Ankündigungen: oft schnell wieder vergessen. Nun ist jedoch ein Ereignis eingetreten, auf das der US-Präsident keinen Einfluss hatte, das seine Amtszeit aber stärker prägen könnte alles andere, was er getan hat und noch tun wird: der Rücktritt von Anthony Kennedy, seit 30 Jahren Richter am Obersten Gerichtshof der USA. Der Entscheid des 81-Jährigen verschafft Trump jetzt die Gelegenheit, einen Nachfolger zu ernennen. Die Konsequenzen sind enorm.
Erklären lässt sich das mit der Rolle, die der Kennedy am Supreme Court spielte. Der moderate Konservative war in vielen Fällen die «swing vote», die entscheidende Stimme, die darüber entschied, in welche Richtung der neunköpfige Supreme Court kippt. Man sah das diese Woche, als die Richter Trumps Einreiseverbot mit einer Mehrheit von 5:4 Stimmen für zulässig erklärten. Kennedy liess zwar in seiner Stellungnahme zum Dekret durchblicken, dass er inhaltlich nicht viel davon hält, schloss sich aber gleichwohl dem Urteil seiner vier konservativen Kollegen an – so, wie er das bei knappen Entscheidungen meistens tat.
Doch der Mann konnte eben auch ganz anders. Kennedy war über die Jahre an mehreren Urteilen beteiligt, die das Land gesellschaftlich öffneten. 1992 sorgte der gläubige Katholik mit seiner Stimme dafür, dass das Urteil «Roe vs. Wade» bestehen blieb, mit dem 1973 der Schwangerschaftsabbruch legalisiert wurde. 2015 schloss er sich den vier liberalen Richtern an, um das Verbot der Homo-Ehe in allen Bundesstaaten aufzuheben.
Glückspilz Trump
Amerikas Konservative sahen deshalb im Kalifornier, den einst Ronald Reagan nominiert hatte, einen unzuverlässigen Verbündeten. Richter am Supreme Court werden aber auf Lebenszeit ernannt, viele von ihnen verstarben über die Jahre im Amt. Ein Präsident kann also nicht unbedingt damit rechnen, in seiner Amtszeit einen Richter seiner Wahl zu ernennen. Anders Trump: Er erhält diese Gelegenheit jetzt bereits zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren. Bereits vergangenes Jahr hatte er mit Neil Gorsuch einen Ultra-Konservativen nominiert. Zum Vergleich: Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama brauchten jeweils ganze acht Jahre, um gleich viele Richter zu ernennen.
Mit Kennedys Nachfolger wird der Supreme Court also auf Jahrzehnte hinaus in rechter Hand sein. Auswirken wird sich das besonders bei aufgeladenen Themen wie der Abtreibung, bei den Rechten von Frauen und Minderheiten, bei den Waffengesetzen oder beim politisch motivierten Zuschnitt von Wahlkreisen – alles Themen, die regelmässig vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt werden. Denn auch wenn die Richter sich gerne so geben, als stünden sie über den Niederungen des politischen Alltags, als seien sie alleine der Verfassung verpflichtet: Sie machen Politik.
Ein Abtreibungsgegner muss es sein
Besonders der Kampf um die Abtreibung wird in den nächsten Jahren mit neuer Härte geführt werden. Trump wird keinen Kandidaten nominieren, der das Urteil «Roe vs. Wade» stützt. Auf dem Richterstuhl Platz nehmen wird vielmehr ein Abtreibungsgegner. Das legt die Liste mit 25 potenziellen Kandidaten nahe, die Trump noch als Präsidentschaftskandidat vorgelegt hatte. Der Jubel bei den Evangelikalen ist deshalb gross. Kennedys Rücktritt sei «die Antwort auf Gebete», eine göttliche Fügung, sagte Bob Vander Plaats von der Organisation «The Family Leader»: «Wir haben die Möglichkeit, Roe vs. Wade zu erledigen.» Selbst wenn der Schwangerschaftsabbruch kaum wieder flächendeckend kriminalisiert werden wird, ist wohl mit Urteilen zu rechnen, in denen für Frauen der Zugang zu Abtreibungen erschwert wird.
Die Demokraten können dagegen nicht viel unternehmen. Im Senat, der den Kandidaten des Präsidenten bestätigen muss, fehlen ihnen die nötigen Stimmen, um einen unliebsamen Richter zu verhindern. Ihre einzige Hoffnung besteht darin, dass zwei moderate Republikanerinnen – Lisa Murkowski und Susan Collins – gegen Trumps Richter stimmen, was nicht sehr wahrscheinlich ist. Entsprechend ohnmächtig klingen die Demokraten jetzt, wenn sie die Republikaner auffordern, erst nach den Zwischenwahlen im Herbst über die Nachfolge Kennedys zu entscheiden.
Darauf wird sich Mitch McConnell, der republikanische Mehrheitsführer im Senat, nicht einlassen. Er verhinderte 2016 mit einem zynischen Manöver, dass der Senat den von Obama nominierten Richter Merrick Garland überhaupt anhörte. Begründung: Die Bürger müssten bei der Besetzung mitreden können, weshalb man erst die Präsidentschaftswahl abwarte. Das Risiko, dass die gleichen Wähler im Herbst eine neue Mehrheit im Senat wählen, will McConnell aber nicht eingehen: Man werde noch vorher über Kennedys Nachfolge abstimmen, sagte er.
Kein Weg über den Senat also. Stattdessen müssen die Demokraten hoffen, dass sich am Supreme Court nicht bald noch weitere Vakanzen ergeben. Richterin Ruth Bader Ginsburg, eine Ikone der Linken, ist 85 Jahre alt. Der liberale Stephen Breyer wird im August 80. Ob sie bis zum Ende von Trumps Amtszeit im Amt bleiben, weiss niemand. . Für das liberale Amerika werden die Aussichten erst mal schlimmer, bevor sie besser werden.
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