Renntier und Rentier
Beat Feuz gewinnt am Lauberhorn und damit auch das Duell mit Aksel Svindal. Eine Gegenüberstellung der besten Abfahrer in fünf Punkten.

Beat Feuz ballt die Fäuste, stösst einen Jubelschrei aus. Die Nummer 3 ist mit einem Rückstand von 18 Hundertsteln im Wengener Ziel angekommen. Erst die Nummer 3. Doch diese trägt an diesem Samstag eben Aksel Svindal. Deshalb weiss der Emmentaler, der sich als Erster auf die längste Abfahrtsstrecke machte, schon da: «Es war nicht grundsätzlich schlecht, was ich gezeigt habe.» Natürlich ist das eine grosse Untertreibung. Er weiss in diesem Moment, dass seine Fahrt gut genug war für den Sieg.
Svindal ist in der Abfahrt derzeit der Gradmesser. Fünf Rennen sind gefahren, fünfmal stand er auf dem Podest, zweimal zuoberst. Und weil er diesmal nur als Zweiter ins Ziel kommt, weiss auch der 35-Jährige, dass dem fünf Jahre jüngeren Mann auf dem Leaderstuhl etwas Vorzügliches gelungen ist. Er zeigt mit dem Finger auf Feuz, tätschelt ihm später auf die Mütze, setzt sich neben ihn. «Wir haben darüber geredet, wo einer besser fahren könnte als wir. Uns kam nur das Brüggli-S in den Sinn», sagt Svindal. Am Ende ist keiner schneller als die beiden besten Abfahrer der Gegenwart, die so unterschiedlich sind, und doch vieles gemeinsam haben.
1. Die Statur
1,72 m nur misst Beat Feuz. Wohlgenährt ist er zudem, als er sich 2007 mit drei Goldmedaillen von der Junioren-WM bereit fühlt für den Angriff auf der grossen Bühne des Weltcups. Dann kriegt er von Trainer Sepp Brunner zu hören, dass er in dieser Verfassung auf dieser Stufe nichts verloren habe. Feuz, der von Marc Gini den Übernamen «Kugelblitz» verpasst bekommt, lernt, dass es im Weltcup mehr braucht als Talent. Der Körper ist sein höchstes Gut, erst recht nach den vielen Operationen. Heute sagt Brunner: «Er macht körperlich viel mehr, als alle glauben. Er weiss genau, was er braucht und wie er mit seinem Körper umgehen muss.» Und doch gibt der gmögige Emmentaler neben dem austrainierten Modellathleten Aksel Svindal noch immer eine ungewöhnliche Figur ab. Feuz sagt: «Das ist das Schöne an unserem Sport: Es gibt kein optimales Mass.»
2. Die Verletzungen
Es kam einiges an Operationen zusammen auf dem ersten und zweiten Treppchen im Zielraum von Wengen: rund 20. Den Grossteil davon trägt Feuz bei, der Dauergeplagte, der sich bereits einen Tag vor seinem 8. Geburtstag ein erstes Mal schwer verletzt, als ihm bei einem Rennen beide Fersen brechen. Es folgen: Kreuzbandriss, Meniskusschaden, Knochenabriss, Knorpelschaden, eine verheerende Entzündung – alles im linken Knie. Allein an diesem muss er sich «zehn- oder elfmal» operieren lassen, er hat aufgehört, zu zählen. 2015 ist das rechte Bein an der Reihe, als er einen Teilabriss der Achillessehne erleidet.
Svindal, der lange von grossen Verletzungen verschont blieb, holt in den letzten Jahren mächtig auf. 2014 reisst die linke Achillessehne, 2016 beim Sturz in Kitzbühel das vordere Kreuzband und der Meniskus rechts, im Januar 2017 lässt er sich einen Meniskusschaden operieren. Das Gute an ihrem leidvollen Weg: Der eine kann dem anderen ab und zu als Vorbild dienen. So 2015, als sich Feuz bei seiner Rückkehr nach dem Achillessehnenriss an Svindal orientiert: gleiche Therapeuten, gleiche Spezialschuhe, gleicher Plan. Der Norweger gab sein Comeback nur vier Monate nach dem Riss an der WM in Beaver Creek. Feuz kehrt 2016 am Lauberhorn zurück – vier Monate nach dem Eingriff.
3. Die Erfolge
2011/12 ist Feuz' Traumwinter. Er steht 13-mal auf dem Podest, 4-mal zuoberst. Er kämpft mit Marcel Hirscher um den Sieg im Gesamtweltcup, fährt in drei Disziplinen um die Kristallkugel – und geht leer aus. Zweiter im Gesamtweltcup (25 Punkte hinter Hirscher), Zweiter in der Abfahrt (7 hinter Kröll), Dritter im Super-G (45 hinter Svindal), Zweiter in der Kombination (36 hinter Kostelic).
Danach beginnt seine «zweite Karriere», wie er die Zeit nach der Entzündung bezeichnet. Er krönt diese 2017 mit Gold in der WM-Abfahrt von St. Moritz. Dort fehlt Svindal. Mit Medaillen ist dieser aber bereits gut ausgestattet als fünffacher Weltmeister sowie Gold-, Silber- und Bronzegewinner der Olympischen Spiele von Vancouver. Zudem hat er Kugeln gehamstert. Unter den elf sind auch die zwei grossen für den Gesamtweltcupsieg 2007 und 2009.
4. Der Wohnort
Der eine ist unweit der Grossstadt Oslo aufgewachsen, der andere in Schangnau im hinteren Emmental. Beide zog es in die gleiche Sportart – und nun auch in die gleiche Gegend. Svindal wohnt in Mutters, sechs Kilometer von Innsbruck entfernt; Feuz lebt mit Freundin Katrin Triendl, mit der er im Sommer das erste Kind erwartet, in Oberperfuss, 15 Kilometer von der Hauptstadt Tirols.
5. Die Trainingsläufe
Es braucht keine Glaskugel, wer wissen will, in welcher Verfassung sich Svindal befindet. Es reicht, seine Resultate in den Trainingsfahrten anzuschauen. In diesen tastet er sich ans Limit heran, macht sich oft schon da zum Favoriten. Feuz hält wenig davon, bei den ersten Versuchen die Grenzen auszuloten. Ein 29. Platz im Abschlusstraining? Wie in Wengen 2012? Verunsichert ihn nicht. Feuz kann auch so ein Rennen gewinnen.
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