Rechte wollen Reform an der Urne bodigen
FDP, SVP und Wirtschaftsverbände haben bei der Altersreform eine herbe Niederlage erlitten. Nun rüsten sie zum Abstimmungskampf.

Bis zur letzten Minute musste die Allianz aus CVP und Linken zittern. Mithilfe der Grünliberalen und zweier Lega-Vertreter brachte sie die Rentenreform trotz erbittertem Widerstand von FDP und SVP im Nationalrat durch. Mit 101 Ja-Stimmen fiel das Resultat allerdings denkbar knapp aus – eine Stimme weniger, und die Vorlage wäre abgestürzt. Der Einzelabrieb, den einzelne Nationalräte der SVP über sich ergehen lassen mussten, zeigte insofern Wirkung, als sich keiner der potenziellen Abweichler für die Reform aussprach. Falls die Rentenreform heute auch in der Schlussabstimmung von beiden Räten verabschiedet wird, muss noch das Volk überzeugt werden. Die Abstimmung findet voraussichtlich am 24. September statt.
Die Gegner der Vorlage hielten sich gestern bedeckt über ihr weiteres Vorgehen. Die Frage lautet, ob sich Wirtschaftsverbände sowie FDP und SVP zu einem schlagkräftigen gegnerischen Komitee zusammenfinden. «Die nächste Woche wird für die Gegner die Woche der Entscheidung», sagt FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis. Die Partei diskutiert am Montag darüber, mit welchem Einsatz die Reform bekämpft werden soll. Die Palette reicht laut Cassis von «reaktiv bis proaktiv». Entschieden wird dies bei der FDP durch die Konferenz der kantonalen Parteipräsidenten.
Defensive Wirtschaftsverbände
Die FDP sei interessiert an einem Zusammengehen mit den Wirtschaftsverbänden, sagt Cassis. Allerdings sind die Wirtschaftsverbände noch gebrannt von der Abstimmungsniederlage vom 12. Februar bei der Unternehmenssteuerreform III. Sie gaben sich gestern entsprechend defensiv. Die zuständigen Gremien des Arbeitgeberverbandes würden in den nächsten Tagen das weitere Vorgehen besprechen, sagte Martin Kaiser, beim Verband zuständig für Sozialpolitik. Die Bandbreite reicht bei den Arbeitgebern von der schlichten Nein-Parole bis zur Formierung eines Komitees aus Wirtschaftsverbänden und Parteien.
Doch ob die Arbeitgeber zu einer einheitlichen Haltung finden, ist alles andere als sicher. So unterstützt der Westschweizer Arbeitgeberverband die Rentenreform trotz der Erhöhung der AHV-Renten. Angesichts der demografischen Entwicklung sei ein Scheitern der Reform gravierender als die Annahme der Vorlage, so die Fédération des Entreprises Romandes. Für Cassis sind wegen der unterschiedlichen Befindlichkeiten in den Landesteilen auch regionale Kampagnen eine Option. Schwierig wird die Positionierung auch für den Gewerbeverband, da einige gewichtige Mitglieder wie Gastrosuisse und Hotelleriesuisse die Reform unterstützen. Weitere könnten dazukommen.
Die Bilder zum Altersreform-Krimi im Parlament
Bedeckt hielt sich gestern die SVP. Parteipräsident Albert Rösti schob den Ball den Befürwortern zu. «Die müssen diese Vorlage nun dem Volk verkaufen.» Die SVP werde die Erhöhung der AHV-Renten bekämpfen. In welcher Form, sei offen, sagte Rösti. Die Zurückhaltung der SVP hängt auch damit zusammen, dass ihre Basis erfahrungsgemäss bei der AHV und der zweiten Säule eher linken Argumenten folgt. So trug die SVP-Basis 2010 massgeblich dazu bei, dass die Senkung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule in der Volksabstimmung scheiterte.
Die Linke wiederum hütete sich gestern davor, in einen Siegestaumel zu verfallen. Sie weiss: Die Abstimmung vom Donnerstag war nur ein erster Schritt. «Jetzt geht es darum, das Volk zu überzeugen», sagte SP-Nationalrätin Silvia Schenker. Weniger Zurückhaltung als viele Parteikollegen zeigt indes Gewerkschafter und SP-Nationalrat Corrado Pardini. Harte Bandagen sind für ihn kein Problem; er freut sich auf die Auseinandersetzung mit FDP und SVP. «Jetzt können wir zeigen, dass wir jene sind, die das Volk vertreten.»
Verhärtete Fronten
CVP-Politikerin Barbara Schmid-Federer ist gar der Ansicht, dass die Abstimmung vor dem Volk einfacher zu gewinnen sei als jene vor dem Parlament. Dort seien die Fronten verhärtet gewesen. «Zwar muss man den Stimmbürgern nun genau erklären, worum es geht, ist die Vorlage doch sehr kompliziert.» Dennoch ist sie zuversichtlich, dass das Volk der Reform von AHV und zweiter Säule zustimmt: Eine ausgewogene Vorlage sei das, ein Kompromiss. Doch wird die CVP im Abstimmungskampf nicht in der ungemütlichen Lage sein, dass sie praktisch allein mit der SP im Boot sitzt? Nein, sagt Schmid-Federer und verweist auf die Unterstützung von BDP, Wirtschaftsverbänden wie Gastrosuisse und auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen Basis und Parteizentrale innerhalb der SVP. Vielmehr sei es nun an der SP, die Reihen zu schliessen.
Tatsächlich gibt es besonders bei den Westschweizer Gewerkschaften Widerstand gegen das Frauenrentenalter 65. Bei den grossen Gewerkschaften Unia und VPOD entscheiden die Delegiertenversammlungen morgen Samstag über die Parole. Doris Bianchi vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund, bei dem VPOD und Unia Mitglied sind, ist optimistisch. «Wir haben Anzeichen für ein Ja», sagt sie. «Damit stehen auch die Chancen für ein Volks-Ja gut.»
SP-Fraktionschef Roger Nordmann zeigt sich ebenfalls überzeugt, dass der Abstimmungskampf zu gewinnen ist. Er setzt dabei auch auf die Überzeugungskraft von Bundesrat Alain Berset. Dieser habe im mehrjährigen Kampf um die Reform an Format gewonnen. Bersets Rede, die er gestern vor der entscheidenden Abstimmung hielt, bezeichnet Nordmann als «staatsmännisch».
Video – Zittern, raunen – dann das grosse Aufatmen: Hier wartet Bundesrat Berset auf das Resultat zur Rentenreform.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch